Politik

Einigung bei historischem Schuldenpaket: Schwarz-rote Grund­ge­setz­än­de­rungen werden grün

100 Milliarden Sonderschulden für die Grünen und Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz: Nach zähen Verhandlungen haben Union, SPD und Grüne eine Einigung erzielt. Am Sonntag soll der Haushaltsausschuss das absegnen.
14.03.2025 19:48
Lesezeit: 4 min
Einigung bei historischem Schuldenpaket: Schwarz-rote Grund­ge­setz­än­de­rungen werden grün
Katharina Dröge und Britta Haßelmann, beide Co-Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, nach der Fraktionssitzung im Bundestag: Mit vielen ihrer Anliegen konnten sie sich bei den geplanten Grundgesetzänderungen durchsetzen. (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Bis zuletzt war unklar, ob sich Union und SPD mit den Grünen auf eine Lockerung der Schuldenbremse und ein Sondervermögen verständigen können. Nun haben sie sich auf Grundgesetzänderungen geeinigt.

Noch bevor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Freitagnachmittag den Weg für die entscheidende Sondersitzung des Bundestags am Dienstag frei machte, einigten sich wenige Stunden zuvor auch Union und SPD mit den Grünen auf Grundgesetzänderungen zur Lockerung der Schuldenbremse und der Errichtung eines neuen Sondervermögens. Dabei kommt es zu massiven Änderungen des Gesetzentwurfs, den die wahrscheinlich künftige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD ursprünglich in den alten Bundestag eingebracht und der die Grünen zur heftigen Kritik und zur Einbringung eines eigenen Entwurfs veranlasst hatte.

Es sieht so aus, dass sich die Ökopartei mit gleich mehreren ihrer Anliegen durchgesetzt hat. Im Folgenden die Änderungen, die laut einem Informationspapier für die Abgeordneten der Grünen, auf die sich Union, SPD und Grüne im Wesentlichen geeinigt haben:

  • Zusätzlichkeit vereinbart: Es wird nun im Grundgesetz verankert, dass alle Ausgaben aus dem neu geschaffenen Sondervermögen tatsächlich zusätzliche Investitionen in Klimaschutz, Infrastruktur und Wirtschaft sein müssen. Einen Verschiebebahnhof für Steuersenkungen, die Union und SPD ihren Wählern als Geschenke machen wollten, kann es damit nicht mehr geben.

"Klimaneutralität" kommt ins GG

  • Klimaneutralität bis 2045 ist Ziel von Investitionen: Erstmals findet der Begriff der Klimaneutralität nun ausdrücklich Eingang in das Grundgesetz. Das Sondervermögen wird präzisiert als Sondervermögen für Infrastruktur und Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045.
  • 100 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds: 100 Milliarden aus dem Sondervermögen werden für den Klimaschutz bereitgestellt und in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) überführt. Damit gehen mindestens ein Viertel der Bundesmittel aus dem Sondervermögen direkt in Projekte für den Klimaschutz. Dabei wichtig: Die Kosten für die EEG-Umlage werden dabei aus dem Kernbundeshaushalt bezahlt und nicht aus dem KTF. Das ist entscheidend dafür, dass das Geld wirklich für Klimaschutzinvestitionen genutzt wird.

Erweiterter Sicherheitsbegriff

  • Sicherheit wird breiter definiert: "Mit dieser Einigung investieren wir in Frieden, Sicherheit und unsere Verteidigung – nicht nur bei der Bundeswehr. Ein wesentliches Ergebnis der Verhandlungen ist die Anwendung eines erweiterten Sicherheitsbegriffs für die Bemessung der Verteidigungsausgaben", heißt es in dem Papier. "Sicherheit" soll demnach nicht nur die militärische Verteidigung, sondern schließt auch Bereiche wie Zivil- und Bevölkerungsschutz, Cybersicherheit, Nachrichtendienste und Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten umfassen.
  • Unterstützung für die Ukraine wird ausgeweitet: In der kommenden Woche soll der Bundestag drei zusätzliche Milliarden an Unterstützung für die Ukraine kurzfristig freigeben.
  • Beteiligung der Bundesländer: Die Einbeziehung der Länder in die Investitionsstrategien haben Union, SPD und Grüne fest vereinbart. Da die Länder einen Großteil der Infrastrukturmaßnahmen umsetzen, ist ihre angemessene finanzielle Ausstattung laut dem Papier unerlässlich. So könnten sie ihre Aufgaben effektiver erfüllen und somit einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der Infrastruktur leisten. Insbesondere sollen Wärmenetze und andere Energienetze, “die entscheidend für die klimaneutrale Zukunft unseres Landes sind”, aus den Mitteln des Sondervermögens finanziert werden.

Haushaltsausschuss tagt am Sonntag um 14 Uhr

Die Grünen stellten nach Bekanntgabe der Einigung klar, dass sie "in diesen für die Zukunft unseres Landes zentralen Fragen" lieber eine Entscheidung “mit breiten demokratischen Mehrheiten des neuen Bundestags der 21. Wahlperiode bevorzugt" hätten. "Die Verantwortung für dieses Verfahren tragen allein CDU/CSU und SPD", betonen sie.

Festhalten wollen die Grünen nach wie vor an einer grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse. Dazu wollen sie einen Entschließungsantrag in den neuen Bundestag einbringen, der eine Expertenkommission einsetzt und eine Reform bis Ende 2025 als Ziel festlegt.

Der Zeitplan für die GG-Änderungen im Bundestag sieht nun wie folgt aus: Am Sonntag um 14 Uhr wird der federführende Haushaltsausschuss sie beschließen, zuvor sind um 11 Uhr die mitberatenden Ausschüsse am Zug. Kommenden Dienstag soll das Finanzpaket dann im Plenum final verabschiedet werden.

Einigung über Milliarden für Verteidigung und Infrastruktur

Milliarden für Verteidigung und Infrastruktur mit Stimmen der Grünen? Das milliardenschwere Paket für Verteidigung und Infrastruktur hat eine entscheidende Hürde genommen: Die Fraktionsspitzen von Union, SPD und Grünen einigten sich nach intensiven Diskussionen.

Union, SPD und Grüne verständigten sich nach Presseberichten offenbar darauf, dass 100 Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten, 500 Milliarden Euro umfassenden Infrastrukturtopf in den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen.

Merz berichtet von Einigung

CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz berichtete nach Angaben von Teilnehmern in einer kurzfristig einberufenen Fraktionssitzung von einer Einigung. Details zu den inhaltlichen Kompromissen wurden zunächst nicht bekannt.

Der amtierende Bundestag könnte das Paket am kommenden Dienstag beschließen. Danach wäre allerdings auch eine Zustimmung im Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit erforderlich.

Die Zeit drängte

Im neuen Parlament, das sich am 25. März konstituiert, verfügen Union, SPD und Grüne nicht mehr über die notwendige Zweidrittelmehrheit. Deshalb galt es, das Paket noch mit dem alten Bundestag zu verabschieden.

CDU, CSU und SPD hatten in ihren Sondierungen für eine Koalition vereinbart, die Schuldenbremse für höhere Verteidigungsausgaben zu lockern und ein schuldenfinanziertes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur bereitzustellen. Die Grünen verweigerten jedoch zunächst ihre für einen Beschluss notwendige Zustimmung.

Zahlreiche Treffen

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU), SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge trafen sich wiederholt zu vertraulichen Runden, um nach Lösungen zu suchen.

Merz machte Angebote

Zumindest beim zweiten Punkt rückte man näher zusammen. Merz bot am Donnerstag im Bundestag an, die Schuldenbremse nicht nur für Verteidigung, sondern auch für Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie Nachrichtendienste zu lockern. Zudem schlug er vor, einen Teil der Infrastruktur-Kredite fest für den Klimaschutz zu reservieren. Die Grünen vermissten jedoch Garantien sowohl für zusätzliche Klimaschutzmittel als auch dafür, dass die Klimaschutz-Ausgaben tatsächlich steigen.

Die Grünen brachten auch eine Aufsplittung des Pakets ins Spiel. Besonders beim Thema Verteidigung herrscht Zeitdruck, da Mehrheiten im neuen Bundestag schwerer zu erreichen wären. Bei zusätzlichen Mitteln für Infrastruktur wäre hingegen eine Einigung mit den Linken denkbar. Doch die SPD steckte hier in einem Dilemma: Sie befürchtete, dass die Union bei der Infrastruktur nicht mehr mitziehen würde, wenn die höheren Verteidigungsausgaben erst einmal gesichert wären.

Zusätzlichkeit des Sondervermögens

Das "Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)" berichtet, dass das geplante 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur einer "Zusätzlichkeit" unterliegt. Das Geld darf demnach nicht in laufende Projekte oder konsumtive Staatsausgaben fließen.

Zustimmung im Bundesrat bleibt unsicher

Die Grundgesetzänderungen könnten am Dienstag vom Bundestag beschlossen werden. Die Mehrheiten dafür sind jedoch weniger sicher als üblich, da viele Abgeordnete aus Union, SPD und Grünen aus dem Bundestag ausscheiden und sich daher möglicherweise weniger an die Fraktionsdisziplin gebunden fühlen.

Am Freitag könnte dann der Bundesrat entscheiden – auch hier wäre eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Diese bleibt jedoch unsicher, da Länder nur zustimmen können, wenn ihre Regierungskoalitionen eine gemeinsame Linie gefunden haben.

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