Finanzen

Spar- und Investitionsunion (SIU): Enteignung durch die EU oder Chance für europäische Sparer?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein neues Projekt angekündigt: die Spar- und Investitionsunion (SIU). Ziel sei es, private Ersparnisse in dringend benötigte Investitionen zu lenken. Private Ersparnisse als ungenutztes Potenzial für die EU? Die EU-Kommission gibt jetzt erste Details bekannt.
21.03.2025 05:55
Aktualisiert: 21.03.2025 06:08
Lesezeit: 4 min

SIU: EU-Kommission plant Initiative für private Investitionen

Hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Enteignung privater Sparguthaben angekündigt? Ihre jüngste Initiative sorgt jedenfalls für Aufregung im Netz: In einem etwas missverständlichen Beitrag auf der Nachrichtenplattform X kündigt sie an, private Ersparnisse in Investitionen überführen zu wollen. Ihr Tweet bezieht sich auf die geplante Einführung der Spar- und Investitionsunion (SIU) der Europäischen Union. Der Plan geht auf einen Bericht des ehemaligen italienischen Premierministers Enrico Letta aus dem April 2024 zurück.

Wer sich nun Sorgen um sein privates Vermögen macht, sollte einen Blick auf die offizielle SIU-Pressemitteilung der Europäischen Kommission werfen. Dort wird von der Leyen zitiert: „Mit dem heutigen Vorschlag für eine Spar- und Investitionsunion gewinnen wir zweifach. Die privaten Haushalte können auf vielfältigere und sicherere Weise in Kapitalmärkte investieren und Vermögen aufbauen. Gleichzeitig erhalten Unternehmen leichteren Zugang zu Kapital, mit dem sie Innovationen vorantreiben, wachsen und hochwertige Arbeitsplätze in Europa schaffen können.“

Spar- und Investitionsunion (SIU): Was steckt dahinter?

Hinter der Bezeichnung „Spar- und Investitionsunion“ (SIU) verbirgt sich ein weitreichender Plan der EU-Kommission. Auf der Webseite der EU-Kommission wurden dafür Informationen zur Leitlinie der sogenannten Europäischen Spar- und Investitionsunion (SIU) veröffentlicht. Demnach soll Geld beschafft werden, „insbesondere indem Kleinanleger mit einfachen und kostengünstigen Spar- und Anlageprodukten und durch geeignete steuerliche oder sonstige Anreize dazu angeregt werden, sich am Kapitalmarkt zu beteiligen“.

Darüber, ob die EU-Kommission etwa Privatvermögen gegen den Willen der Eigentümer nutzen oder verwenden will, ist nichts in dem Dokument zu lesen. „Ich möchte, dass die europäischen Sparer eine faire Rendite auf ihre Ersparnisse erhalten. Und ich möchte, dass europäische Unternehmen und Innovatoren Zugang zu den Finanzmitteln haben, die sie brauchen, um unsere Wirtschaft voranzubringen“, fasst Maria Luís Albuquerque, EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, das SUI-Konzept zusammen.

Im Zuge dessen wurden Interessenvertreter um Feedback gebeten; über ein Portal konnten sich Experten, Unternehmen, Organisationen oder etwa Banken zu dem Vorhaben äußern und Anmerkungen machen. Bis zum Einsendeschluss wurden dort 241 Kommentare eingereicht. Sie sind öffentlich einsehbar, ebenso das Vorhaben und die Bitte zur Stellungnahme.

Die Pläne zur SIU wurden bereits im Juli 2024 in von der Leyens „Politischen Leitlinien“ vor ihrer Wiederwahl zur EU-Kommissionspräsidentin benannt. Die Konsultationsphase endete am 3. März. Nun muss der Vorschlag von der Kommission genehmigt werden. Dies ist für das zweite Quartal 2025 vorgesehen. Danach wird das Konzept an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat weitergeleitet.

„Enteignung“ durch den Staat nur gegen Entschädigung

Der Staat kann – mit rechtlichen Hürden – in Sonderfällen Privateigentum entziehen, wenn es dem „Wohl der Allgemeinheit“ dient. Etwa, wenn eine Autobahn neu gebaut wird und die geplante Strecke über Privatgrundstücke verläuft.

Eine Enteignung folgt in der Regel auf Absprachen bzw. nach Verhandlungen zwischen Privatperson und Staat: Kommt es zu keiner zufriedenstellenden Einigung, kann der Staat zum Beispiel Grundstücke oder Immobilien enteignen – und den Besitzer dafür entschädigen. Die Beteiligten können die Höhe solcher Entschädigungen juristisch aushandeln. Eine „Enteignung privater Sparguthaben“ ist nicht möglich, denn der Enteignung folgt eine finanzielle Entschädigung. Ende 2024 hatte bereits Friedrich Merz eine ähnliche Behauptung geäußert. Die DPA hatte auch dazu einen Faktencheck veröffentlicht.

Private Ersparnisse als ungenutztes Potenzial

Die Spar- und Investitionsunion (SIU) soll die gesamte EU umfassen, wobei nationale Regulierungsbefugnisse teilweise auf EU-Ebene übertragen werden. Hintergrund der Initiative ist der hohe Anteil privater Ersparnisse, die kaum Rendite bringen. Der Entwurf nennt eine Summe von rund zehn Billionen Euro, die derzeit zu etwa 70 Prozent in Bankeinlagen liegen. Gleichzeitig besteht laut Draghi-Report ein jährlicher Investitionsbedarf von 750 bis 800 Milliarden Euro bis 2030.

Die geplante „Spar- und Investitionsunion“ könnte mit dem Argument „wirtschaftlicher Notwendigkeit“ tiefer in die Souveränität der Mitgliedsstaaten und der finanziellen Freiheit der Bürger eingreifen. Auch wenn von der Leyen beteuert, dass niemand zu Investitionen gezwungen werden soll.

EU-Kommission stellt SIU-Strategie vor: Erste Details

Die Europäische Kommission stellte dazu am Mittwoch (19.03.) eine erste Strategie vor. EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen spricht in einem aktuellen Statement von einem „doppelten Gewinn“: „Haushalte werden mehr und sicherere Möglichkeiten haben, in Kapitalmärkte zu investieren und ihren Wohlstand zu steigern. Gleichzeitig werden die Unternehmen leichteren Zugang zu Kapital haben, um innovativ zu sein, zu wachsen und gute Arbeitsplätze in Europa zu schaffen.“

Die SIU soll ein „Finanzierungsökosystem“ schaffen, das auch strategische Ziele der EU fördern soll. Im Blick der Kommission stehen dabei Herausforderungen durch den Klimawandel, technologische Disruption und geopolitische Entwicklungen. Ihren Plan fasst die Kommission in vier Punkten zusammen:

  • Bürger und Ersparnisse: Kleinanleger sollen zusätzlich zu Bankeinlagen mehr Möglichkeiten erhalten, ihre Ersparnisse in renditestarke Kapitalmarktinstrumente zu investieren, besonders für die Altersvorsorge.
  • Investition und Finanzierung: Die Kommission plant Initiativen, um Kapital für alle Unternehmen, darunter auch kleinere, verfügbar zu machen. So will sie Investitionen in strategisch wichtige Sektoren ankurbeln.
  • Integration und Skalierung: Regulatorische und aufsichtsrechtlicher Hürden sollen niedriger werden, um das grenzüberschreitende Wirtschaften zu erleichtern.
  • Effiziente Aufsicht im Binnenmarkt: Finanzmarktteilnehmer aller EU-Länder sollen gleichbehandelt werden. Die Kompetenzen zwischen nationalen Aufsichten und der Aufsicht auf EU-Ebene sollen neu verteilt werden.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden demnächst mit den Interessenträgern weiterentwickelt. Zur Verwirklichung der Spar- und Investitionsunion bedarf es dann sowohl legislativer als auch nicht legislativer Maßnahmen sowie Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten selbst zu entwickeln sind, heißt es weiter in dem Strategiepapier. Im zweiten Quartal 2027 plant die EU-Kommission eine Halbzeitbilanz der allgemeinen Fortschritte bei der Verwirklichung der Spar- und Investitionsunion zu veröffentlichen.

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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