Finanzsystem unter Druck – aber kein 2008er-Niveau
„Entgegen der Marktmeinung habe ich schon länger vermutet, dass der sogenannte ‚Tag der Befreiung‘ in deutlich spürbare Zölle münden würde“, erklärt Setser bei einer vom Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten organisierten Diskussionsrunde. „Ich rechnete jedoch mit Sätzen zwischen 10 und 20 Prozent – die Zölle von über 40 Prozent in mehreren südostasiatischen Ländern haben mich schockiert.“
Brad Setser ist Senior Fellow beim einflussreichen Thinktank Council on Foreign Relations und war unter anderem Handelsberater des Weißen Hauses sowie im US-Finanzministerium tätig. Die jüngsten Kurskorrekturen in der Zollpolitik wertet er als Reaktion auf „dramatische Marktreaktionen“ – auch wenn die genauen Hintergründe schwer zu durchschauen seien.
„Der Präsident sagt, es liege an der Reaktion des Anleihemarkts – das mag sein. Aber ich glaube, auch die Entwicklung am Aktienmarkt spielt für ihn eine Rolle.“
Tatsächlich sei das aktuelle Marktverhalten ungewöhnlich: Während steigende Zinsen normalerweise zu einem Kapitalzufluss in die USA und damit zu einem stärkeren Dollar führten, sehe man nun das Gegenteil – steigende Zinsen, fallende Aktienkurse und ein gleichzeitig schwächerer Dollar. „Das deutet auf eine Flucht aus US-Vermögenswerten hin“, so Setser.
Rezession wahrscheinlich – Fed wird spät reagieren
Wie angespannt ist das amerikanische Finanzsystem derzeit? Setser zieht den Vergleich mit früheren Krisen: „In etwa so stark wie nach den ersten Wochen der Pandemie – aber längst nicht auf dem Niveau des Herbstes 2008. Vielleicht eher vergleichbar mit dem Frühjahr 2008, als Bear Stearns zusammenbrach.“
Für die kommenden Monate zeichnet Setser ein düsteres Bild: „Ich glaube nicht, dass der Einbruch bereits vorbei ist. Die 90-tägige Pause ist zwar zu begrüßen, aber die Kombination aus neuen Zöllen und der Eskalation mit China bleibt ein schwerer Schock für die Wirtschaft.“ Er rechnet mit einem Rückgang des US-BIP um etwa 2,5 Prozentpunkte – ein „echter Schock“.
Zwar ist die Federal Reserve grundsätzlich dazu verpflichtet, Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu gewährleisten – doch ein Eingreifen erwartet Setser erst spät. „Die Fed wird verhindern wollen, dass ein einmaliger Preisanstieg sich ausweitet. Doch bei schwacher Nachfrage wird sie sich gezwungen sehen, die Zinsen zu senken – allerdings erst dann, wenn ein deutlicher wirtschaftlicher Rückgang sichtbar wird und sich der inflationsbedingte Druck abschwächt.“
Ab 6 Prozent wird es kritisch
Auf die Frage, bei welchem Zinsniveau die Fed voraussichtlich aktiv wird, sagt Setser: „Sollte die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen auf über 6 Prozent steigen, dürfte die Fed eingreifen. Das würde das Finanzsystem stark belasten. Je nach Geschwindigkeit des Anstiegs könnte eine Reaktion aber auch schon bei 5 bis 6 Prozent erfolgen.“