Politik

Spar- und Investitionsunion: Brüssel will die unsichtbare Zollmauer einreißen – und den Finanzsektor revolutionieren

Brüssels stille Revolution: Wie Kommissarin Albuquerque den europäischen Finanzmarkt neu ordnen will – und dabei an den Grundfesten der EU-Wirtschaftspolitik rüttelt.
23.04.2025 11:03
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Spar- und Investitionsunion: Brüssel will die unsichtbare Zollmauer einreißen – und den Finanzsektor revolutionieren
EU-Kommissarin Maria Luís Albuquerque will Europas Finanzmarkt entbürokratisieren – und stößt dabei auf Widerstand wie auch Hoffnung gleichermaßen. (Foto: EU-Rat) Foto: Alexandros MICHAILIDIS

Während sich die internationale Aufmerksamkeit auf den Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China richtet, läuft in der EU eine stille, aber nicht weniger bedeutende Operation an.

So will Brüssel die unsichtbare Zollmauer einreißen – und den Finanzsektor revolutionieren

Die Portugiesin Maria Luís Albuquerque, Kommissarin mit Ambitionen, hat sich ein Ziel gesetzt, das kaum weniger Sprengkraft birgt als Trumps Zölle: Die Abschaffung inner-europäischer Handelshemmnisse im Finanzdienstleistungssektor – ein System, das laut IWF faktisch Zöllen von über 100 Prozent gleichkommt.

In einem Exklusivgespräch mit Di skizziert Albuquerque einen Plan, der nicht weniger vorsieht als die wirtschaftspolitische Neuausrichtung Europas. Der Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen, so ihre Analyse, ist de facto fragmentiert – und das koste Europa Wachstum, Innovation und Souveränität.

„Wenn wir über Freihandel sprechen, dann dürfen wir uns nicht auf Güter beschränken. Dienstleistungen sind das Rückgrat der modernen Wirtschaft – und genau hier versagt unser Binnenmarkt bislang“, sagt sie.

Spar- und Investitionsunion: Ein Gegenschlag gegen wirtschaftliche Selbstblockade

Mit ihrem Plan zur Spar- und Investitionsunion will Albuquerque nicht nur Kapital mobilisieren, sondern auch ein Signal gegen die wirtschaftliche Abschottung setzen, die sich zunehmend innerhalb der EU selbst zeigt. Ihr Modell: Schweden – ein Land, das mit seinen ISK-Konten Millionen Bürger zu Kleinanlegern gemacht hat.

„Wir wollen das schwedische Erfolgsmodell europaweit ausrollen“, sagt Albuquerque. „Unsere Bürger müssen zu Mitgestaltern des Wirtschaftsraums werden – nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Investoren.“

Allein auf Sparkonten liegen laut EU-Kommission derzeit über 110 Milliarden schwedische Kronen (rund 10 Milliarden Euro) brach – unproduktiv, inflationsgefährdet, wirtschaftlich ungenutzt.

Die Lösung? Steuerlich begünstigte Anlagekonten, verbunden mit Anreizen und Transparenz. Kein Zwang, keine Staatslenkung – sondern, wie sie betont, „finanzielle Eigenverantwortung mit europäischem Rahmen“.

Ein alter Plan in neuer Weltlage

Die Idee einer Kapitalmarktunion ist nicht neu – doch während sie 2015 noch an nationalen Egoismen scheiterte, glaubt Albuquerque nun an eine historische Gelegenheit. Die geopolitische Realität hat sich verschoben: Wirtschaftlicher Druck von außen, Unsicherheiten an den Rohstoffmärkten, eine aggressive Handelspolitik der USA und die Dominanz Chinas bei strategischen Technologien.

„Europa steht mit dem Rücken zur Wand. Der Luxus des Zögerns ist vorbei“, warnt die Kommissarin. „Wir haben jahrelang darüber diskutiert, jetzt müssen wir handeln – oder wir werden abgehängt.“

Europäische Finanzaufsicht: Weniger Fragmentierung, mehr Schlagkraft

Ein zentrales Element ihres Vorhabens ist die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Finanzmarktaufsicht. Bislang wehren sich die Mitgliedstaaten – zu groß sei die Angst vor Souveränitätsverlust. Doch in einer Ära von Kryptowährungen, globalem Kapitalfluss und Schattenbanken sei dieser Widerstand nicht mehr tragbar.

„Warum sollten wir in jedem Land einzeln um die wenigen Experten konkurrieren, die der Markt ohnehin kaum hergibt?“, fragt Albuquerque.

„Eine zentrale Aufsicht bringt Effizienz, Sicherheit und Verlässlichkeit.“ Der Plan ist ehrgeizig – und wird, wie sie offen einräumt, schmerzhafte Kompromisse erfordern. Doch sie stellt klar: Der Preis des Nichtstuns ist höher.

Das Ziel: Kapitalmobilisierung ohne Umverteilungsmaschinerie

Anders als frühere EU-Pläne, die auf großflächige Transfers setzten, sieht Albuquerques Vision vor allem eine Entfesselung privater Kräfte. Das Vertrauen der Bürger in Banken, Kapitalmärkte und staatliche Aufsicht soll gestärkt, nicht durch dirigistische Maßnahmen untergraben werden.

„Es ist das Geld der Menschen. Sie sollen selbst entscheiden, wo sie investieren – aber sie brauchen einen Rahmen, der das überhaupt erst ermöglicht“, betont sie.

Ein letzter Versuch, Europas wirtschaftliches Rückgrat zu stärken

Während die öffentliche Debatte oft von Klima, Migration und Verteidigung dominiert wird, richtet Albuquerque den Blick auf die wirtschaftlichen Fundamente des Kontinents. Der europäische Binnenmarkt sei in der Theorie vollendet, in der Praxis jedoch voller unsichtbarer Mauern – insbesondere im Dienstleistungs- und Finanzsektor.

„Wir sprechen oft von Solidarität. Doch die größte Form von Solidarität wäre, endlich Barrieren im Binnenmarkt zu beseitigen, die unser eigenes Wachstum lähmen“, so ihr eindringlicher Appell.

Wenn der Plan gelingt, könnte Maria Luís Albuquerque als die Frau in die Geschichte eingehen, die die unsichtbare Zollmauer der EU eingerissen hat. Gelingt es nicht, wird Europa weiter Kapital verlieren – an Bürokratie, politische Kleinstaaterei und die Konkurrenz aus Übersee.

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Trump öffnet Chip-Schleusen für China: Sicherheit nur noch zweitrangig
13.08.2025

Trotz jahrelanger Warnungen vor Pekings Militärambitionen gibt Trump den Verkauf modernster US-Chips an China frei – und stellt Profit...

DWN
Politik
Politik Bedrohung durch Russland? Estland weist russischen Diplomaten aus
13.08.2025

Die Beziehungen zwischen Russland und Estland sind seit Jahren konfliktgeladen und angespannt. Nun weist das EU- und Nato-Land einen...

DWN
Finanzen
Finanzen Wegen EU-Sanktionen: China verhängt Sanktionen gegen zwei EU-Banken
13.08.2025

Im Konflikt um Russland-Sanktionen setzt Peking zwei europäische Geldhäuser auf seine Sanktionsliste. Es handelt sich um eine...

DWN
Politik
Politik 100 Tage schwarz-rote Koalition: SPD kritisiert Union
13.08.2025

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch fordert 100 Tage nach dem Start der schwarz-roten Koalition, Probleme in der Zusammenarbeit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Perplexity AI will Chrome übernehmen: KI-Suchmaschine bietet Milliarden
13.08.2025

Ein KI-Start-up wagt den Angriff auf Google: Perplexity AI will mit seiner KI-Suchmaschine den Chrome-Browser für Milliarden übernehmen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Steuerfreie Arbeitgeberzuschüsse: Attraktive Benefits als Alternative zur Gehaltserhöhung
13.08.2025

Smartphone, Kita-Gebühr, Rad oder Deutschlandticket: Mit diesen zehn Gehaltsextras können Beschäftigte Steuern und Abgaben sparen. Wie...

DWN
Politik
Politik Ukraine vor strategischem Kipp-Punkt: Russlands Vorstoß könnte Verhandlungsmasse für Putin werden
13.08.2025

Während die Front im Donbass unter schwerem Druck steht, dringt Russland kurz vor dem Trump-Putin-Gipfel tief in ukrainisches Gebiet vor...

DWN
Finanzen
Finanzen Renk-Aktie legt kräftig zu: Starke Auftragslage beflügelt Anleger
13.08.2025

Die Renk-Aktie überrascht Anleger mit starken Quartalszahlen und einem klaren Aufwärtstrend. Doch wie nachhaltig ist der Erfolg des...