Was noch vor einem Jahr undenkbar schien, wird nun Realität: Die Europäische Union und China nehmen ihre Beziehungen wieder auf – unter dem Druck aus Washington. Der eskalierende Zollkonflikt zwischen den USA und China verändert das geopolitische Kräfteverhältnis – und Europa gerät zwischen die Fronten.
Ein neuer EU-China-Gipfel ist für Juli angesetzt. Es ist das erste Treffen auf höchster Ebene seit über einem Jahr. Ein diplomatisches Tauwetter, das allerdings nicht aus Überzeugung, sondern aus ökonomischem Zwang erfolgt.
Denn der Handelskrieg, den Donald Trump mit neuer Wucht gegen Peking führt, öffnet ein Ventil – und dieses führt direkt in den europäischen Markt.
Von der Risikominimierung zur Schadensbegrenzung
Noch vor kurzem sprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von „De-Risking“ – also einer bewussten strategischen Distanzierung von China. Heute jedoch scheint von dieser Haltung wenig übrig: Die Gespräche mit Peking nehmen wieder Fahrt auf, und Brüssel scheint mehr an Schadensbegrenzung als an strategischer Unabhängigkeit interessiert.
Analysten sprechen bereits von einem Paradigmenwechsel. Alexander Davey vom China-fokussierten Berliner MERICS-Institut erklärt:
„Von der Leyens China-Strategie war der transatlantischen Partnerschaft verpflichtet. Doch die USA sind keine verlässlichen Partner mehr – spätestens seit Trump mit 145-Prozent-Zöllen auf chinesische Waren droht.“
Die EU steht damit vor einem Dilemma: Sie kann den Konflikt nicht beeinflussen, aber sie wird zum Hauptbetroffenen.
Die Folgen der Eskalation: Billigflut in der EU
Washingtons Zollschranken machen den amerikanischen Markt für chinesische Exporteure unattraktiv – oder gar unzugänglich. Doch die Produktion läuft weiter, und die Waren brauchen ein Ziel.
Die EU wird zur logischen Ausweichadresse. Bereits heute liegt das Handelsdefizit der EU gegenüber China bei über 300 Milliarden Euro jährlich. Kommt es zu einem weiteren Zufluss subventionierter Waren – von E-Autos über Solarpanels bis hin zu Stahl –, droht eine massive Marktverzerrung in der Union.
Ein gefährliches Szenario, das nicht nur die europäische Industrie unter Druck setzt, sondern auch politische Spannungen innerhalb der EU verschärft.
Zölle gegen Cognac, Drohungen gegen Schweinefleisch – China kennt die Schwächen der EU
Der letzte Streitpunkt – die Zölle auf chinesische E-Autos – hatte im Sommer 2024 beinahe zu einem Handelskrieg geführt. Peking reagierte gezielt mit Strafzöllen auf Cognac und drohte mit Sanktionen gegen europäische Agrarprodukte wie Schweinefleisch und Milchpulver.
China weiß genau, wo es die EU verwunden kann. Die Antwort der EU: neue Schutzinstrumente wie Mindestpreise für Importe – statt pauschaler Zölle. Eine politische Kapitulation? Vielleicht. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit? Möglicherweise.
Bruchstellen innerhalb der EU: Kein gemeinsamer Kurs
Die EU-Staaten sind sich über ihren Kurs gegenüber China zutiefst uneinig.
- Italien zog sich kürzlich aus der Belt-and-Road-Initiative zurück – doch der Kurs bleibt wankelmütig.
- Deutschland, Polen und Tschechien sind auf den Handel mit China angewiesen.
- Ungarn und die Slowakei pflegen enge Beziehungen zu Peking.
- Währenddessen fordern Länder wie Schweden und die Niederlande eine härtere Gangart.
Ein einheitlicher Kurs ist nicht in Sicht – und genau das nutzt China konsequent aus.
Der Sicherheitsfaktor: Sanktionen und Raketen im Schatten des Handels
Komplizierend kommt hinzu, dass der Ukraine-Krieg eine neue Dimension eröffnet:
Selenskyj hat kürzlich Sanktionen gegen China verhängt, nachdem Hinweise auf chinesische Waffenlieferungen an Russland aufgetaucht waren – darunter mutmaßlich auch Iskander-Raketen, die bei Angriffen auf Charkiw eingesetzt wurden.
„Das ist kein Handelsstreit mehr“, sagt Ex-Handelskommissarin Cecilia Malmström. „Zölle kann man verhandeln. Raketenlieferungen nicht.“
Irland, Intel – und das geopolitische Schlupfloch
Doch selbst in der Grauzone zwischen Wirtschaft und Sicherheit entstehen neue Allianzen:
Irlands Intel-Fabrik in Leixlip könnte zum geopolitischen Joker werden – so argumentieren Analysten.
„Made in USA“ – produziert in der EU – könnte chinesischen Unternehmen ermöglichen, amerikanische Zölle zu umgehen. Ein Fall, der bezeichnend dafür ist, wie eng verflochten und wie leicht manipulierbar das globalisierte System geblieben ist.
Fazit: Europa als Spielball – oder als Gegengewicht?
Der Handelskrieg zwischen den USA und China eskaliert – und die EU steht dazwischen. Nicht als souveräner Akteur, sondern als ökonomischer Puffer und politischer Spielball. Die Frage ist nicht, ob sich die EU wieder auf China zubewegt – das passiert längst. Die Frage ist, zu welchem Preis. Wenn Brüssel keinen klaren, geeinten Kurs findet, wird Europa nicht Gestalter, sondern Getriebener der neuen Weltordnung sein.