Acht Päpste im Leben eines 90-Jährigen
Es ist erstaunlich, wie der Tod einer bedeutenden weltpolitischen Figur sich wie ein persönlicher Einschnitt anfühlen kann. Am Ostersonntag trat Papst Franziskus, deutlich von Krankheit gezeichnet, unter enormer Kraftanstrengung noch einmal öffentlich auf. Wie er hoch oben über dem Petersplatz ein letztes Mal zu den Gläubigen sprach, schien er dem Irdischen schon teilweise entrückt. Als dann keine 24 Stunden später die Nachricht seines Todes die Runde machte, bewegte das auch viele Menschen außerhalb der Kirche.
In solchen Momenten blickt man unwillkürlich zurück und fragt sich etwa, wie viele Päpste man selbst erlebt hat. Bei einem 30-Jährigen sind es drei, ebenso bei einem 45-Jährigen. Ein 50-Jähriger kommt bereits auf fünf Päpste – und ein 90-Jähriger sogar auf acht. Gedanklich ist man da oft schnell bei den eigenen Eltern oder Großeltern. Persönliche Erinnerungen und historische Ereignisse verschmelzen auf besondere Weise.
Andreas Hamburger, Filmpsychoanalytiker und Professor für klinische Psychologie in Berlin, erinnert sich noch gut an den Tod des Reformpapstes Johannes XXIII. im Jahr 1963: "Ich war da neun Jahre alt und weiß noch, wie damals in meiner Heimatstadt München ewig lange die Glocken läuteten." Als dann 1978 Papst Paul VI. starb, läuteten sie erneut – und dann schon wenige Wochen später wieder. "Ich bin damals in der Früh davon aufgewacht, das weiß ich noch genau. Und ich dachte sofort: 'Moment mal, jetzt kann doch nicht schon wieder der Papst gestorben sein?'" Doch so war es: Johannes Paul I. war nur 33 Tage im Amt – 1978 ging als das "Dreipäpstejahr" in die Geschichte ein.
Staatsbegräbnis der Queen bewegte Milliarden
Rückblickend würde Hamburger sein Leben zwar nicht nach den Amtszeiten der Päpste gliedern – das tun wohl eher tief gläubige Menschen. "Aber es waren schon Zäsuren." Ein weiteres Beispiel: der Tod von Queen Elizabeth II. im Jahr 2022. Sie war 70 Jahre lang im Amt, ein komplettes Menschenleben. Das Staatsbegräbnis verfolgten weltweit wohl Milliarden Menschen.
Gerade dieser Umstand erklärt die nachhaltige Wirkung: "Der Tod solcher Weltfiguren wird eben von sehr vielen Menschen zugleich geteilt. Und davon geht die Botschaft aus: Das ist wichtig." Das menschliche Gedächtnis funktioniert eben nicht wie ein Computer, der jedes Detail gleichwertig speichert. Dafür reicht der Speicher nicht. Was bleibt, sind markante Daten – das Dazwischen wird später rekonstruiert.
Dabei spielen medial inszenierte, kulturell bedeutende Ereignisse eine Schlüsselrolle. "Große Figuren sind für uns dementsprechend auch Organisatoren unseres Gedächtnisses", so Hamburger.
Kennedys Tod prägte ganze Generationen
Ein besonders prägender Moment war die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy 1963. Gerade in Westdeutschland, wo er kurz zuvor erklärt hatte, "ein Berliner" zu sein, war das Attentat ein kollektiver Schock – viele wissen bis heute, wo sie die Nachricht zum ersten Mal hörten.
"Das ist noch einmal eine andere Dimension, es ist ähnlich wie 9/11", meint Hamburger. Auch bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erinnern sich viele genau, wann und wie sie erstmals die Bilder der brennenden Türme sahen. "Das ist vergleichbar mit einer traumatischen Erfahrung, die wir uns in quasi eingefrorenen Bildern jederzeit wieder vor Augen rufen können."
Kanzler der Bundesrepublik – weniger emotional?
Und was ist mit den Kanzlern der nüchternen Bundesrepublik? Hier scheint der Effekt deutlich schwächer auszufallen. Ein Grund könnte sein, dass Kanzler in der Regel nicht im Amt versterben, sondern erst Jahre nach dem Abschied. Dennoch können auch hier Abgänge lange im Gedächtnis bleiben. "Ich kann mich noch gut an den Tod von Adenauer 1967 erinnern", erzählt Hamburger.
Damals war er Schüler an einem Gymnasium in München. Am Tag der Beisetzung wurden alle in die Aula geführt, um die Trauerfeier aus dem Kölner Dom zu verfolgen. "Ich weiß noch, dass sich der Kommentator an einer Stelle versprach, er sagte voller Pathos 'Im hohen Köln zu Dom'." Statt: im hohen Dom zu Köln. "Da ging bei uns ein Riesengekicher los."
Kirchliche Rituale – Meister der medialen Wirkung
Dass ihm dieses Ereignis 58 Jahre später noch so präsent ist, erklärt er auch mit der feierlichen Inszenierung. Gerade in solchen Momenten zeigt die katholische Kirche ihre mediale Stärke – mit Riten, Chören und Liturgien. Auch beim bevorstehenden Papstbegräbnis am Samstag werden starke Bilder erwartet: Kardinäle in roten Gewändern, Staatschefs aus aller Welt vor dem imposanten Petersdom aus Kalkstein und Marmor. In der Mitte: ein schlichter Holzsarg auf weitem Platz. Ein bewegendes Schauspiel der Weltgeschichte.