China verlagert die Produktion – Marokko wird Umschlagplatz
Marokko hat sich in den letzten Jahren zu einem der zentralen Knotenpunkte im globalen Automobilhandel entwickelt – unterstützt durch massive Investitionen aus China. Besonders im boomenden Markt für Elektrofahrzeuge wird das nordafrikanische Königreich zunehmend als Brückenkopf genutzt, um Zölle der USA und der EU zu umgehen. Doch der geopolitische Rückenwind könnte schnell drehen.
Während die USA und die EU drastische Zölle auf chinesische Elektroautos verhängen – zuletzt bis zu 100 Prozent in den Vereinigten Staaten, 45 Prozent in der EU – hat sich Marokko als strategisches Ausweichziel etabliert. Rund 10 Milliarden US-Dollar chinesischer Direktinvestitionen flossen laut Schätzungen bereits in den marokkanischen Energiesektor, die Batterieherstellung und den Automobilbau.
Chinesische Firmen wie Gotion High-Tech, Huayou Cobalt oder die Yahua Group errichten Fertigungsstätten und nutzen Marokkos Freihandelsabkommen mit der EU gezielt, um ihre Waren unter europäische Zollschwellen zu bringen. Der Standortvorteil ist evident: Der Hafen Tanger Med erlaubt es, Fahrzeuge innerhalb eines Tages nach Europa zu verschiffen.
Drohende Vergeltung aus Washington
Doch diese strategische Diversifikation bleibt nicht unbeobachtet. Analysten wie Ahmed Aboudouh von Chatham House warnen: Washington könnte gezielt Druck auf Länder wie Marokko ausüben – mit der Forderung, sich klar „für oder gegen China“ zu positionieren. Höhere Zölle oder politische Sanktionen sind nicht ausgeschlossen.
Marokko selbst steckt in einem geopolitischen Spagat: Einerseits profitiert das Land massiv von chinesischen Investitionen im Rahmen der Belt and Road Initiative – darunter Hochgeschwindigkeitsstrecken, Solarkraftwerke und ein geplanter Technopark in Tanger im Wert von 10 Milliarden US-Dollar. Andererseits ist Marokko sicherheitspolitisch eng mit der NATO und den USA verbunden, nimmt an gemeinsamen Manövern teil und strebt den Erwerb amerikanischer F-35-Kampfjets an.
Strategisches Dilemma: Zwischen Peking und dem Westen
Für Marokko birgt die Rolle als geostrategische Drehscheibe enorme Chancen – aber auch erhebliche Risiken. Einerseits verspricht das Engagement chinesischer Konzerne Arbeitsplätze, Technologie und Exportwachstum. Andererseits steigt der außenpolitische Druck, zumal Brüssel und Washington wachsam beobachten, ob Marokko zur Transitplattform für Produkte wird, die eigentlich mit Sanktionen oder Strafzöllen belegt sind.
Ein Rückfall in protektionistische Reflexe könnte die marokkanische Erfolgsbilanz gefährden. Schon jetzt wird hinter den Kulissen in EU-Institutionen diskutiert, ob künftig auch Produkte, die zwar aus Drittländern wie Marokko stammen, aber chinesische Komponenten enthalten, mit Strafzöllen belegt werden sollen.
Industrieoffensive mit globaler Reichweite
Trotz der Unsicherheit bleibt Marokko vorerst auf Wachstumskurs. Laut dem marokkanischen Botschafter in China, Abdelkader El Ansari, produziert das Land jährlich rund 900.000 Fahrzeuge, von denen 85 Prozent in 75 Länder exportiert werden. Über 250 internationale Unternehmen seien Teil der marokkanischen Lieferkette. Das Land hat inzwischen 56 Freihandelsabkommen, darunter mit der EU, den USA und afrikanischen Partnerstaaten.
Marokkos Energie- und Infrastrukturpolitik gilt als entscheidender Standortvorteil. Das Königreich setzt zunehmend auf erneuerbare Energie, verfügt über strategische Phosphatreserven – entscheidend für die Batterieproduktion – und bietet großzügige Steueranreize für ausländische Investoren.
Fazit: Strategische Offenheit als Wagnis
Marokkos Status als Investitionsmagnet im Herzen eines fragmentierten globalen Handelssystems ist zweischneidig. Die wirtschaftliche Anbindung an China stärkt die Industriestruktur, birgt jedoch die Gefahr geopolitischer Retorsionen – insbesondere, wenn sich die westliche Handelspolitik weiter in Richtung Abschottung bewegt. Der Konflikt zwischen Freihandel und Sicherheitsinteressen wird sich an Knotenpunkten wie Marokko entscheiden.
Die Zukunft Marokkos als Industrieplattform hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der geopolitischen Rivalität zwischen China, den USA und der EU ab. Sollte die Globalisierung weiter durch Sanktionen, Zölle und Blockbildung ersetzt werden, könnte Marokko zwischen die Fronten geraten – mit unklaren Folgen für seine wirtschaftliche Souveränität.