Staatswirtschaft contra Marktlogik
In Belarus, wo die tägliche Ernährung der Bevölkerung stärker als in fast jedem anderen europäischen Land auf Kartoffeln basiert, herrscht seit Wochen akuter Mangel. Die Versorgungslage hat sich derart verschlechtert, dass Bürger zunehmend auf Tiefkühlware zurückgreifen müssen – wenn sie denn verfügbar ist. Die staatlich verordnete Preisbindung macht das Produkt für Landwirte und Händler unrentabel, während Exporte nach Russland florieren.
Wie das belarussische Kartoffelinstitut gegenüber dw.com erklärte, hat sich die Krise über Monate aufgebaut. Neben einer schwachen Ernte und gestiegenen Betriebskosten sind es vor allem die staatlich festgelegten Höchstpreise, die zur Marktverzerrung führten. Landwirte müssen ihre Produkte für 76 Kopeken (0,20 EUR) pro Kilo verkaufen – ein Preis unterhalb der Produktionskosten. Gleichzeitig erzielen Exporte nach Russland nahezu das Doppelte, was viele Produzenten dazu veranlasst hat, die heimischen Märkte zu umgehen.
Hinzu kommt ein gravierender Infrastrukturmangel. Infolge schlechter Lagerbedingungen verderben bis zu 40 Prozent der Ernte – ein erheblicher Verlust, den keine staatliche Kontrolle kompensieren kann.
Die Grenzen der Planwirtschaft
Trotz Exportlizenzpflichten und verstärkter Grenzkontrollen gelingt es der Regierung nicht, die Abwanderung der Kartoffeln zu stoppen. Die Versorgungslage verschlechtert sich zusehends – nicht nur bei Kartoffeln. Auch Zwiebeln, Kohl und Gurken sind knapp. Besonders brisant: Belarus ist mittlerweile Russlands wichtigster Kartoffellieferant und hat Ägypten von Platz eins verdrängt. Das erklärt, warum russische Händler bereit sind, überhöhte Preise zu zahlen – während die belarussische Bevölkerung leer ausgeht.
Selbst die Staatsmedien können die Krise nicht länger beschönigen. Halina Matus, Leiterin des landwirtschaftlichen Großbetriebs Fortuna-Agro, kritisiert in der Regierungszeitung Belarusija Segodnia, dass sich der Kartoffelanbau unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht mehr lohne. Ihr Betrieb reduzierte die Anbaufläche von 300 auf 200 Hektar – ein Rückgang von über 30 Prozent.
Symptomatische Engpässe bei weiteren Lebensmitteln
Die Preiskrise bleibt nicht auf Kartoffeln beschränkt. Ein Schreiben des Kartellministeriums an das Landwirtschaftsministerium – das dem unabhängigen Medium zerkalo.io vorliegt – warnt frühzeitig vor einem Engpass bei Gurken. Große Handelsketten wie Eurotorg erhielten laut dem Dokument nur rund die Hälfte der vereinbarten Liefermengen.
Das Problem ist nicht neu: Bereits im Herbst 2024 kam es zu einem Versorgungsengpass, weil nur 30 Prozent der bestellten Mengen geliefert wurden – der Rest wurde exportiert. Die Regierung reagierte mit Exportbeschränkungen, doch der Effekt blieb marginal.
Ein Kommentator von belmarket.by bringt es pointiert auf den Punkt: „Preiskontrolle ist in Belarus zu einem Nationalsport geworden.“
Bürokratische Repression ersetzt marktwirtschaftliche Korrektur
Die Reaktion des Staates? Repression. Im ersten Quartal dieses Jahres führte das Ministerium für Kartellregulierung elf Inspektionen zur Preisdisziplin durch, deckte 74 Verstöße auf und verhängte Sanktionen gegen 122 Personen. Das Grundproblem bleibt jedoch ungelöst: Eine Wirtschaftsordnung, die den Marktmechanismus systematisch unterdrückt, führt unweigerlich zur Mangelwirtschaft.
Fazit: Staatslenkung in Belarus erreicht ihre Grenzen
Die belarussische Wirtschaftspolitik illustriert exemplarisch das Dilemma zentralplanerischer Systeme: Anstatt Anreize zu schaffen, schafft die Regierung Knappheit – in einem Land, das auf stabile Lebensmittelversorgung angewiesen ist. Die Verschiebung von Grundnahrungsmitteln ins Ausland offenbart zudem eine brisante geopolitische Komponente: Lukaschenko versorgt den Kreml – und lässt die eigene Bevölkerung im Stich.
Die belarussische Regierung gefährdet durch ihre Politik nicht nur die Versorgungslage, sondern auch die gesellschaftliche Stabilität. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland vertieft sich, während innenpolitisch die Akzeptanz des autoritären Systems schwindet. In Krisenzeiten zeigt sich, dass Marktverzerrungen durch politische Eingriffe keine Versorgungssicherheit garantieren – im Gegenteil: Sie zerstören sie.