Politik

Ukraine, Russland und Europa: Der Kampf um Donald Trumps Aufmerksamkeit

Russland und die Ukraine befinden sich nicht nur auf dem Schlachtfeld im Krieg, sondern auch auf dem diplomatischen Schachbrett. Die Ukraine, unterstützt von europäischen Verbündeten, versucht, die Aufmerksamkeit der US-Regierung unter Präsident Donald Trump zu gewinnen. Für den Kreml ist klar: Donald Trumps Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges ist erheblich.
21.05.2025 18:03
Lesezeit: 4 min
Ukraine, Russland und Europa: Der Kampf um Donald Trumps Aufmerksamkeit
Ukrainische Politiker geben offen zu: Die derzeitige diplomatische Choreografie dient vor allem dem Zweck, Trumps Sympathie zu sichern – in der Hoffnung, dass er die Kriegsziele des Kremls richtig einschätzt. (Fotodpa/AP | Manuel Balce Ceneta) Foto: Manuel Balce Ceneta

Russland und Ukraine: Der Kampf um Donald Trumps Aufmerksamkeit

Russland und die Ukraine befinden sich nicht nur auf dem Schlachtfeld im Krieg, sondern auch auf dem diplomatischen Schachbrett. Die Ukraine, unterstützt von europäischen Verbündeten, versucht, die Aufmerksamkeit der US-Regierung unter Präsident Donald Trump zu gewinnen – doch auch der Kreml verfolgt dieses Ziel. Kaum gelingt Kyjiw ein diplomatischer Vorstoß, scheint Trumps Wohlwollen gegenüber dem russischen Autokraten die Lage wieder zu kippen.

„Die entscheidende Schlacht, die beide Seiten und ihre Verbündeten schlagen müssen, ist der Kampf um Donald Trumps Aufmerksamkeit – ein Präsident, der zunehmend frustriert über den Stillstand in den Friedensgesprächen wirkt“, analysiert Matthew Chance, außenpolitischer Kommentator bei CNN.

Europa und die Ukraine sind sich darüber im Klaren: Die eigentliche Hürde für den Frieden heißt Russland. Doch genau das gilt es auch Trump zu vermitteln.

Friedensabkommen: Trump, der entscheidende Akteur

Mehrfach mussten europäische Diplomaten feststellen, dass Trumps Sicht auf den Krieg oft vom letzten Gesprächspartner des Tages geprägt wird. So äußerte er sich nach einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Beisetzung von Papst Franziskus schärfer denn je über Wladimir Putin – verurteilte Raketenangriffe auf Kyjiw und stellte infrage, ob Putin wirklich Frieden wolle. Doch nach dem mit Spannung erwarteten Telefonat zwischen Trump und dem Kreml-Chef wich diese Kritik wieder: Trump ließ Russland erneut freie Hand, den Waffenstillstand zu blockieren und Zeit zu gewinnen.

Trump und Putin glauben offenbar gleichermaßen, dass nur sie persönlich in der Lage seien, den Krieg in der Ukraine zu beenden – während Europäer und Ukrainer am Ende lediglich Befehle entgegenzunehmen hätten.

Die kürzlich in Istanbul stattgefundenen – und gescheiterten – Gespräche zwischen ukrainischen und russischen Delegationen bestätigten Trumps Überzeugung, dass er der entscheidende Akteur für ein Abkommen sei. Zwar hatte Trump zeitweise angedeutet, sich ganz aus dem Vermittlungsprozess zurückzuziehen – doch die Gespräche weckten seinen Ehrgeiz erneut. Fortschritte blieben aus. Trump erklärte, es könne nur zu einer Einigung kommen, wenn er persönlich mit Putin zusammentreffe. Konkrete Planungen gab es aber keine. Selenskyj schlug hingegen ein erweitertes Gesprächsformat unter Einbeziehung Europas und der Ukraine vor.

Russland setzt auf Trump

Für den Kreml ist klar: Donald Trumps Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges ist erheblich. Angesichts steigender Verluste und einer angeschlagenen Wirtschaft hat Moskau ein Interesse daran, Trumps Gunst nicht zu verspielen – denn ein enttäuschter US-Präsident könnte die amerikanische Militärhilfe für Kyjiw wieder verstärken. Doch bislang hat Trump dieses Drohpotenzial kaum genutzt.

Putin wiederum hofft laut einem Insider aus seinem Umfeld, bis Jahresende militärisch die Kontrolle über die vier annektierten ukrainischen Regionen vollständig zu übernehmen. Laut dem ehemaligen Russland-Berater des Weißen Hauses, Eric Green, verfolgt Moskau mit Gesprächen mit Trump auch wirtschaftliche Ziele. Finnlands Präsident Alexander Stubb betonte unterdessen, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs Trump vor Augen führen wollten, wie schwach Russlands Position in Wahrheit sei.

„Russland versucht seit drei Jahren, die Ukraine zu besetzen – in diesem Jahr hat es nicht einmal ein Prozent des Territoriums neu eingenommen“, so Stubb.

Auch wirtschaftlich sei Russland schwächer als es erscheine. Trump hat mehrfach mit neuen Sanktionen gegen Russland gedroht – doch trotz anhaltender Blockadehaltung des Kremls blieb er bisher tatenlos.

Selenskyj will den Draht zu Trump nicht verlieren

Am 11. März stimmte die Ukraine einem US-Vorschlag für eine bedingungslose 30-tägige Waffenruhe zu – Russland lehnt weiterhin ab. Trump machte Putin dafür weder öffentlich noch im bilateralen Gespräch Druck. Damit wird deutlich: Der Kreml sieht keinen Anlass, Trump im Gegenzug substanzielle Zugeständnisse zu machen.

„Angesichts der aktuellen Lage gibt es für Russland kaum Anreize, einem Waffenstillstand zuzustimmen“, meint Michael Kofman von der Denkfabrik Carnegie Endowment.

Analysten betonen: Trumps Verhalten ermutigt Putin. „Putin fühlt sich sicher, weil er der Ukraine Maximalforderungen diktieren kann – ohne ernsthaften Widerstand aus den USA. Er wird Trump unter Druck setzen, seine Vision eines Waffenstillstands zu übernehmen“, erklärt Bota Iliyas, Analyst beim britischen Sicherheitsdienstleister Prism.

Putins Optimismus steht im Widerspruch zu westlichen Einschätzungen. Experten aus Europa verweisen auf die hohen Verluste Russlands nach drei Jahren Krieg – und auf fehlende militärische Kapazitäten zur Realisierung seiner Ziele.

„Die Chance, dass Russland bis Jahresende vier Regionen vollständig erobert, ist äußerst gering“, sagt Ben Barry vom International Institute for Strategic Studies. Auch Soldaten vor Ort teilen laut einem Insider aus dem russischen Verteidigungsministerium diese Skepsis. Die ukrainische Drohnenabwehr habe großangelegte russische Offensiven teuer und ineffektiv gemacht.

Ein diplomatischer Drahtseilakt

„Russland kann uns nicht vernichten, aber wir können die besetzten Gebiete auch nicht befreien. Ohne die USA ist keine Wende möglich. Und je länger es dauert, desto mehr könnte sich das Blatt zugunsten Moskaus wenden. Wir werden überleben, aber den Preis zahlen“, sagte ein ranghoher ukrainischer Offizieller gegenüber dem Guardian.

Ukrainische Politiker geben offen zu: Die derzeitige diplomatische Choreographie dient vor allem dem Zweck, Trumps Sympathie zu sichern – in der Hoffnung, dass er die Kriegsziele des Kremls richtig einschätzt.

„Präsident Selenskyj steht unter gewaltigem Druck – hinter ihm steht ein ganzes leidendes Volk. Wir richten uns nach den Spielregeln der USA, weil wir die Unterstützung nicht verlieren wollen. Wir dürfen nicht die sein, die an einem Scheitern der Friedensgespräche schuld sind“, sagte Oleksandr Merezhko von Selenskyjs Partei Diener des Volkes.

Die Juristin und frühere Vizeverteidigungsministerin Hanna Maliar konstatierte, dass Trump und Putin völlig unterschiedlichen politischen Kulturen entsprächen – was eine Verständigung erschwere. Ihrer Einschätzung nach könnte der Krieg noch Jahre dauern:

„Ich sehe eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg ein bis zwei Jahre weitergeht“, so Maliar.

Am wahrscheinlichsten sei ein Waffenstillstand entlang der Frontlinien – ohne politische Lösung. Das könne Russland nützen, um sich für neue Angriffe zu rüsten, aber auch der Ukraine helfen, ihre Streitkräfte zu konsolidieren und die Rüstungsproduktion auszubauen.

„Es ist ein Wunder, dass wir nach über drei Jahren Krieg überhaupt noch sprechen können. Ich hoffe insgeheim, dass Russland etwas wirklich Dummes tut – das könnte uns helfen“, fügte Merezhko hinzu.

Fazit: Kleine Fortschritte, trotz großer Unsicherheit

Europa und Kyjiw kämpfen weiter um die Aufmerksamkeit der USA – und darum, das letzte Wort mit Donald Trump zu haben. Zwar ist es der Ukraine bisher nicht gelungen, den US-Präsidenten von Russlands Hinhaltetaktik zu überzeugen. Doch der schlimmste Fall – ein völliger Bruch Washingtons mit Kyjiw – ist ebenfalls nicht eingetreten. Die Zahl der Kontakte zwischen der Ukraine und den USA hat zuletzt wieder zugenommen, europäische Diplomatie zeigt mehr Selbstbewusstsein. Es ist ein kleiner, aber nicht unbedeutender Erfolg.

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