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Wöchentliche Höchstarbeitszeit geplant: Schub für die Wirtschaft oder kontraproduktiv?

Steht der 8-Stunden-Arbeitstag auf der Kippe? Die Bundesregierung will statt einer täglichen Höchstarbeitszeit eine wöchentliche einführen. Die Folge: Die neue Wochenarbeitszeit könnte Zwölf-Stunden-Tage bringen. Welche kontraproduktiven Folgen Arbeitsrechtler nun befürchten.
04.06.2025 05:53
Lesezeit: 3 min
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Im internationalen Vergleich landet Deutschland bei den Arbeitsstunden auf dem drittletzten Platz. Beschäftigte anderer Länder arbeiten deutlich mehr, heißt es. Das sollen die Deutschen jetzt auch – mit einer Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit. So plant Kanzler Merz, die Deutschen zu mehr Arbeit zu motivieren. Was eine Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes für Arbeitgeber und Beschäftigte bedeuten würde.

Neue Höchstarbeitszeit: Wird der 8-Stunden-Tag abgeschafft?

Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die Möglichkeit „einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen“. Vor der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes, warnen nun Arbeitsrechtler: Die mögliche Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit „dürfte wirtschaftlich sogar kontraproduktiv wirken“, heißt es in einer gerade veröffentlichten Studie des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Warum?

Studie: Neue Wochenarbeitszeit bringt Zwölf-Stunden-Tage

Die geplante Umstellung auf eine Wochenarbeitszeit würde nach Darstellung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu überlangen Arbeitstagen von bis zu zwölf Stunden und 15 Minuten führen. Die Folgen wären Gesundheitsrisiken.

Im Koalitionsvertrag heißt es, die Neuerung wäre „im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Die HSI-Analyse widerspricht: Überlange Arbeitszeiten gefährdeten die Gesundheit der Beschäftigten, erhöhten das Unfallrisiko und verschlechterten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zu befürchten sei zudem eine Zunahme von stressbedingten Erkrankungen wie Burnout, Erschöpfungszuständen oder Schlaganfällen. Die Verschärfung der Probleme bei der Kinderbetreuung schränke vor allem die Erwerbsarbeit von Frauen ein.

Kritik: Gesunkene Jahresarbeitszeit alleine nicht aussagefähig

Die Forschenden halten zudem den alleinigen Blick auf die gesunkene Jahresarbeitszeit pro Kopf für zu einseitig. Sowohl die Zahl der Erwerbstätigen als auch das Gesamtarbeitszeitvolumen hätten im Jahr 2023 Rekordwerte erreicht.

Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag die Zahl der Erwerbstätigen bei 46 Millionen. Das Gesamtarbeitszeitvolumen von abhängig Beschäftigten, Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen lag bei 61,44 Milliarden Stunden. Beides sei wesentlich auf eine gestiegene Frauenerwerbsquote zurückzuführen.

Grund für den Rückgang: Gestiegene Teilzeitquoten

Der gleichzeitige Rückgang der Pro-Kopf-Jahresarbeitszeit hängt laut Studie mit den kontinuierlich gestiegenen Teilzeitquoten zusammen. „Die Entwicklung der Arbeitszeit zeigt, dass wir uns zunehmend weg vom traditionellen Alleinverdienermodell zu einem Zweiverdienerhaushalt hinbewegen“, heißt es in der Analyse.

Knapp ein Drittel der Beschäftigten arbeitete demnach 2023 in Teilzeit, unter den erwerbstätigen Frauen sogar fast jede zweite, und das nicht immer freiwillig. Gerade bei Müttern schränkten unbezahlte Sorgearbeit und unzureichende Betreuungsmöglichkeiten die Kapazitäten für den Erwerbsjob ein. Eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes würde nach Einschätzung der Experten daran nichts verbessern.

BDA: Arbeitgeber halten dagegen

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält in dem Punkt dagegen, viele Beschäftigte wünschten sich mehr Flexibilität aus familiären Gründen. „Gefährdungen werden durch die fortbestehenden Pflichten, Ruhezeiten zu gewähren, ausgeschlossen“, erklärte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Ein neuer Rechtsrahmen ändere auch nichts an individuell oder tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeiten. „Die Kritik ist an den Haaren herbeigezogen“, sagte er.

Änderung Höchstarbeitszeit: Mehr Befürworter als Gegner

In der Bevölkerung sehen viele die Koalitionspläne weniger skeptisch als die Gewerkschaften. In einer Yougov-Umfrage im Auftrag der DPA befürworteten kürzlich 38 Prozent der Befragten den Vorstoß für eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit. Jeder Fünfte (20 Prozent) lehnt den Plan ab, 37 Prozent sehen das neutral. Anhänger einer Wochenarbeitszeit hoffen zum Beispiel darauf, statt fünfmal acht viermal zehn Stunden zu arbeiten und ein verlängertes Wochenende zu haben.

Fazit: Arbeitsrechtlicher „Rück- statt Fortschritt“?

Die Gewerkschaften laufen seit Wochen Sturm gegen den Abschied vom seit 1918 üblichen Acht-Stunden-Tag. DGB-Chefin Yasmin Fahimi erneuerte in der Rheinischen Post ihre Kritik: „Es geht wohl eher darum, rechtlich fragwürdige Geschäftsmodelle zu legalisieren, wie regelmäßige Zwölf-Stunden-Schichten bei Subunternehmern im Paketdienst oder die fehlenden Ruhezeiten im Hotel- und Gastgewerbe.“

Im Koalitionsvertrag ist dazu festgehalten, dass „die hohen Standards im Arbeitsschutz“ beibehalten würden. Und: „Kein Beschäftigter darf gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden.“ Allerdings erlaubt bereits das geltende Recht flexible Arbeitstage von bis zu zehn Stunden – unter bestimmten Bedingungen.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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