Strategiewechsel unter staatlicher Regie
Die Meyer Werft – bekannt für luxuriöse Kreuzfahrtschiffe – steht möglicherweise vor einem tiefgreifenden Wandel. Seitdem Bund und das Land Niedersachsen 80 Prozent der Anteile übernommen haben, werden Pläne diskutiert, den Werftstandort Papenburg perspektivisch in die militärische Schiffbauproduktion einzubinden.
Der litauische Zulieferer „MS Maritime“, eine Tochter der Meyer Werft mit Sitz in Skaidiškės, liefert Wand- und Deckenpaneele für Schiffskabinen. Das Unternehmen steigerte 2024 seinen Umsatz um neun Prozent auf 24,5 Millionen Euro und den Gewinn um ganze 60 Prozent auf vier Millionen Euro. Der erwirtschaftete Gewinn soll vollständig als Dividende ausgeschüttet werden.
Der Staat greift ein – aus doppeltem Interesse
Offiziell wurden 400 Millionen Euro Eigenkapital sowie Kreditgarantien über 2,6 Milliarden Euro in die angeschlagene Werft investiert, um sie vor dem Kollaps zu bewahren. Auslöser waren die hohen Energie- und Materialpreise. Doch wie das Handelsblatt berichtet, liegen den Rettungsmaßnahmen auch strategisch-militärische Überlegungen zugrunde.
Ein vertrauliches Papier des Bundesfinanzministeriums nennt die Möglichkeit, dass die Meyer Werft „bei einer Verschärfung der geopolitischen Lage eine zentrale Rolle im deutschen Marinebau übernehmen könnte“.
Meyer-CEO Ralf Schmitz bestätigt im Interview mit dem Handelsblatt, dass die Option geprüft wird. Die Werft verfügt über überdachte Docks, die sich laut Schmitz ideal für sensible Rüstungsprojekte eignen – geschützt vor Aufklärung durch Satelliten und Drohnen. Schon heute kooperiert das Unternehmen mit der Lürssen-Werft beim Bau von Versorgungsschiffen für die Marine.
Rückkehr ins Private möglich – aber unwahrscheinlich?
Trotz staatlichen Engagements betont Niedersachsens Finanzminister Gerald Heere, dass die Verstaatlichung nur temporär sei. Die Werft solle nach erfolgreicher Stabilisierung wieder in die Hände der Meyer-Familie übergehen können. Eine Rückkaufoption ist Teil des Deals.
Branchenkenner äußern jedoch Zweifel: Bei fortschreitender Militarisierung des Standortes dürfte die politische Einflussnahme zunehmen – und damit auch die strategische Abhängigkeit von sicherheitspolitischen Entwicklungen.
Deutsche Schiffbauindustrie im Aufwind
Laut dem Präsidenten des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik, Harald Fassmer, ist die Branche insgesamt gut ausgelastet. 200.000 Menschen arbeiten in deutschen Werften, die einen Jahresumsatz von rund 40 Milliarden Euro erzielen. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt, insbesondere für den militärischen Sektor.
Europaweit bilden Fincantieri (Italien), Meyer Werft (Deutschland) und STX France das Triumvirat der großen Kreuzfahrtwerften. Dass nun einer dieser Player in den militärischen Schiffbau wechselt, zeigt die tektonischen Verschiebungen innerhalb der Industrie.
Industrie im sicherheitspolitischen Umbau
Für Deutschland steht mehr als nur eine Werft auf dem Spiel. Der Einstieg des Staates in das zivile Kerngeschäft der Meyer Werft offenbart eine neue Stoßrichtung der Industriepolitik: strategische Infrastruktur unter staatliche Kontrolle zu bringen – mit Blick auf potenzielle militärische Nutzung.
Das Modell könnte Schule machen: Gerade in Sektoren wie Luftfahrt, Halbleiter oder Telekommunikation ist die Tendenz zur staatlichen Ko-Steuerung unverkennbar. Für die deutsche Rüstungsindustrie eröffnet sich damit auch eine neue Chance, zivile Kapazitäten effizient in militärische Wertschöpfungsketten einzubinden.
Fazit: Von der Kreuzfahrt zur Küstenverteidigung
Der Fall Meyer Werft steht exemplarisch für eine Zeitenwende im deutschen Industrie- und Sicherheitsverständnis. Aus einstigen Prestigeprojekten für den Massentourismus könnte schon bald kritische Infrastruktur für die nationale Verteidigung werden. Die Industrie wird politisiert – und der Staat wird zum strategischen Unternehmer. Ein Signal, das weit über Papenburg hinausstrahlt.