Politik

Machtverschiebung in Warschau: Der Aufstieg der Nationalisten bringt Polen an den Abgrund

In Polen übernimmt ein ultrakonservativer Präsident die Macht – während die liberale Regierung um Donald Tusk bereits ins Wanken gerät. Die innenpolitischen Spannungen und die europapolitische Kursverschiebung könnten das Land an den Rand einer Systemkrise führen.
15.06.2025 06:08
Lesezeit: 3 min
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Ein Präsidentenwechsel mit Sprengkraft

Der Ton wird rauer, die Fronten klarer: Mit dem nationalkonservativen Karol Nawrocki übernimmt in Polen ein Präsident das Amt, der nicht nur ideologisch dem EU-kritischen Lager angehört, sondern zudem als radikaler gilt als sein Vorgänger Andrzej Duda. Die liberale Regierung unter Donald Tusk wird damit zur direkten Zielscheibe. Ein politischer Machtkampf zeichnet sich ab – mit ungewissem Ausgang.

Am 6. August übernimmt Nawrocki offiziell das Präsidentenamt, nachdem er sich in der Stichwahl am 1. Juni mit knappem Vorsprung gegen den proeuropäischen Kandidaten Rafal Trzaskowski durchgesetzt hatte. Der Wahlausgang spiegelte einmal mehr die politische und gesellschaftliche Spaltung des Landes – und er dürfte die innenpolitischen Konflikte weiter verschärfen.

Vertrauensfrage und Koalitionsstress

Premierminister Donald Tusk hat nach dem Wahldebakel angekündigt, sich am 11. Juni im Parlament einer Vertrauensabstimmung zu stellen. Zwar verfügt seine dreiparteiliche Koalition über eine knappe Mehrheit (242 von 460 Sitzen), doch das Bündnis ist fragil – insbesondere angesichts möglicher Absetzbewegungen aus der linken Allianz und der konservativen Bauernpartei.

Selbst bei erfolgreicher Bestätigung bleibt die Regierung geschwächt. Analysten wie Joanna Sawicka vom Thinktank Polityka Insight erwarten ein konfrontatives Verhältnis zwischen Staatsoberhaupt und Regierung, bei dem der Präsident mit seinem Vetorecht viele Reformvorhaben blockieren könnte.

Institutionelle Pattsituation droht

Auch wenn der polnische Präsident vor allem symbolische Funktionen erfüllt, ist sein Einfluss nicht zu unterschätzen. Er verfügt über bedeutende Befugnisse im Verteidigungsbereich und in der Außenpolitik – und insbesondere über das Recht, Gesetze zu blockieren. Die dafür nötige 60-Prozent-Hürde zur Aufhebung eines Vetos kann Tusks Koalition nicht erreichen.

Konflikte sind damit programmiert – etwa bei Themen wie Rechtsstaatsreformen, der Rolle der Justiz oder bei gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Abtreibungsrecht. Dass Nawrocki als Trump-Anhänger und EU-Skeptiker auftritt, erhöht das Risiko weiterer innen- wie außenpolitischer Spannungen.

Gefahr für den wirtschaftspolitischen Kurs

Die Wirtschaft reagiert bereits nervös. Ökonomen wie Piotr Bielski von Santander Bank Polska warnen vor einem Rückfall in populistische Ausgabenpolitik. Nawrockis Vetooption könnte die Regierung zu sozialpolitischen Zugeständnissen zwingen, um ihre Position zu sichern – etwa durch neue Transferleistungen, die der Präsident mutmaßlich unterstützen würde.

Ein weiteres Opfer dieser Entwicklung: Tusks geplanter fiskalischer Konsolidierungskurs. Dieser dürfte angesichts der neuen politischen Kräfteverhältnisse überarbeitet werden müssen.

Verunsicherung an den Märkten

Auch an den Finanzmärkten mehren sich die Sorgen. Analysten beobachten bereits eine Schwächung des Zloty und einen Anstieg der Renditen polnischer Staatsanleihen. Die Ungewissheit über die Stabilität der Regierungsmehrheit und die künftige Blockadehaltung des Präsidenten schlagen sich direkt auf die Risikoprämien nieder.

Monika Kurtek von Bank Pocztowy sieht in Nawrockis Wahlsieg ein klares Signal wachsender Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung. Sollte es zu anhaltendem institutionellen Stillstand kommen, könnte das nicht nur Investoren abschrecken, sondern auch die wirtschaftliche Dynamik gefährden.

Risiko für Europa – und den EU-Reformprozess

Auch geopolitisch ist der Wahlausgang ein Rückschlag für Brüssel. Die Europäische Kommission hatte gehofft, mit einem Präsidenten Trzaskowski die EU-Verträge reformieren und die Vetorechte der Mitgliedstaaten einschränken zu können. Diese sogenannte „Föderalisierung“ der EU ist nun deutlich schwerer durchsetzbar – zumal auch aus Ungarn, Italien und der Slowakei Widerstand kommt.

Tomasz Wroblewski vom Institut für Unternehmertum in Warschau warnt: Mit Nawrocki als Präsidenten und einer weiter erstarkenden PiS in der Opposition könnten die proeuropäischen Kräfte in Polen marginalisiert werden. Die Blockade des EU-Reformkurses sei damit realistischer denn je.

Wirtschaft hofft auf Pragmatismus – trotz Biografie mit Makeln

Vertreter der Wirtschaft fordern daher ein Mindestmaß an institutioneller Kooperation. VeloBank-Chef Adam Marciniak appelliert an beide Seiten, strategisch relevante Projekte wie die Nutzung von EU-Mitteln nicht zu gefährden. Auch Maciej Ptaszynski vom Handelsverband wünscht sich ein „nicht-mechanistisches“ Gesetzgebungsverfahren – mit wirtschaftlicher Folgenabschätzung.

Dass Nawrocki diese Rolle ausfüllen kann, bleibt abzuwarten. Der 42-Jährige ist Historiker, leitete unter anderem das Institut für Nationales Gedenken und das Weltkriegsmuseum in Danzig. Seine Biografie ist jedoch nicht unumstritten: Medien werfen ihm zwielichtige Kontakte, Beteiligung an Skandalen und moralisch fragwürdige Geschäftspraktiken vor – allesamt Vorwürfe, die er zurückweist.

Konservative Wähler schätzten ihn dennoch – auch, weil sie dem LGBTQ-freundlichen Kurs Trzaskowskis als Warschauer Bürgermeister ablehnend gegenüberstehen.

Polens Machtbalance kippt – und Europa droht der nächste Rückschlag

Mit der Wahl Karol Nawrockis verschiebt sich Polens politisches Gleichgewicht in Richtung nationalistischer Konfrontation. Das Staatsoberhaupt wird vom Hüter der Verfassung zum potenziellen Blockierer europäischer Reformen. Für Donald Tusk und seine fragile Regierung beginnt ein politischer Überlebenskampf, der schnell in Neuwahlen münden könnte.

Gleichzeitig wächst die strategische Unsicherheit für Europa: Die neue Konstellation schwächt die Integrationsfähigkeit der EU, vertieft die Ost-West-Spaltung und erschwert jede Form supranationaler Einigung. Polen, einst Hoffnungsträger der Demokratisierung in Osteuropa, wird zum Prüfstein für die Belastbarkeit liberaler Regierungsformen unter autoritärem Gegenwind. Das Gleichgewicht ist brüchiger denn je.

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