Pilotprojekt in Stockholm: Vom Flagshipstore zum Recycling-Hub
Der Markt für Secondhand-Mode wächst kontinuierlich – und H&M will ganz vorne mitspielen. Unter dem Label Pre-loved hat der schwedische Textilkonzern ein kuratiertes Sortiment gebrauchter Kleidung aufgebaut, das sukzessive in Filialen weltweit eingeführt wird. Das berichtet Dagens Industri.
„Wir wollen diejenigen erreichen, die Secondhand noch nicht für sich entdeckt haben“, sagt Sofia Måhlén, Projektleiterin bei H&M. Mitten im Szeneviertel Södermalm, in der H&M-Filiale am Götgatsbacken, wurde das Pre-loved-Konzept erstmals in Schweden umgesetzt – in einem Ladenlokal, das früher der H&M-Marke Monki gehörte. Das neue Store-Format wurde zuvor bereits in London-Chelsea und in New York-SoHo getestet.
„Wir wollten ein neues Format ausprobieren“, so Måhlén, die aus dem Finanzbereich stammt und lange in London tätig war. Nach ihrem Wechsel zu H&M begann sie 2021 als Controllerin mit Fokus auf Sortiment, bevor sie das Projekt Pre-loved übernahm.
Zehn Großstädte, starkes Wachstum – und neue Filialen in Planung
Im Mai 2023 startete Pre-loved in Barcelona, im September 2024 folgte der Launch in Stockholm. Inzwischen gibt es das Konzept in zehn Städten, darunter Berlin, Paris, Kopenhagen, Amsterdam, London, New York und Antwerpen. „Kopenhagen ist unser jüngster Neuzugang. Der Laden liegt mitten auf der Strøget und ist schon jetzt ein Kundenmagnet“, erklärt Måhlén zufrieden.
Kuratierte Auswahl, durchdachtes Konzept – kein Secondhand-Chaos
Der Store auf der Götgatan wirkt hell, aufgeräumt und hochwertig. Kleidungsstücke hängen auf mobilen Kleiderstangen, daneben eine rote Designerbank vor den Umkleidekabinen. „Hier auf Söder brauchen wir ein Konzept, das modische Kundschaft anspricht – mit Gast-Kollektionen und exklusiven Stücken“, ergänzt Marcus Hartmann, H&M-Verantwortlicher für Nachhaltigkeit.
Pre-loved wird bewusst nicht in separaten Läden angeboten, sondern ist direkt ins bestehende Sortiment integriert. „Viele Kundinnen und Kunden kommen eigentlich nicht wegen Secondhand – aber wenn sie diese Ecke entdecken, werden sie neugierig“, so Måhlén. Die Kollektion ist farblich abgestimmt, klar präsentiert und bewusst hochwertig kuratiert.
Luxus zum Schnäppchenpreis: Lagerfeld, Burberry & Co.
Im Sortiment finden sich neben Eigenmarken wie COS, Arket und & Other Stories auch Designerstücke – etwa Jacken von Diesel, Burberry oder Acne Studios. Måhlén zieht ein schwarzes Top aus dem Ständer: „Das ist aus der H&M-Kollaboration mit Karl Lagerfeld – über 20 Jahre alt. Hätten wir ein digitales Produktpasssystem, wäre das faszinierend.“
Secondhand-Lederhosen sind ebenfalls gefragt: „Leder ist ein Klassiker – das darf gerne etwas eingetragen sein“, so Måhlén. Besonders beliebt sei der Mix aus alten und neuen Stücken.
Milliardenpotenzial trotz Kinderkrankheiten
Konkrete Verkaufszahlen gibt H&M nicht preis – doch man sei zufrieden. „Im vergangenen Jahr erzielte Pre-loved 0,6 Prozent des Konzernumsatzes. Das klingt wenig, bedeutet aber eine Verdopplung gegenüber vor zwei Jahren – umgerechnet ein Umsatz zwischen 1 und 1,5 Milliarden Kronen“, so Hartmann.
Entscheidend für die Logistik: das schwedische E-Commerce-Unternehmen Sellpy, an dem H&M zu 80 Prozent beteiligt ist und das in 24 Ländern tätig ist. Dort wird das Sortiment kuratiert, etikettiert und an die Filialen geliefert. In Ländern ohne Sellpy-Präsenz – etwa USA und Großbritannien – nutzt H&M lokale Partner.
Künstliche Intelligenz soll Preisfindung automatisieren
Die Preisgestaltung für gebrauchte Ware bleibt eine Herausforderung. „Wir haben eine eigene Preisspanne definiert – etwa wie viel eine Burberry-Lederjacke kosten darf“, sagt Måhlén. Künftig soll eine schwedische KI-Lösung namens Bencha die Preise dynamisch anhand des Marktwerts berechnen – zunächst in einer Testfiliale, später weltweit.
Da Pre-loved bewusst auf hochwertige Marken und Materialien setzt, liegen die Durchschnittspreise über klassischem Secondhand-Niveau – bleiben aber deutlich unter Neupreisen. „Die Kundschaft ist clever. Als Sellpy versehentlich viele Hemden zu teuer etikettiert hatte, blieb der Absatz aus – wir haben das schnell korrigiert“, sagt Måhlén. Die Nachfrage sei hoch, die Fläche werde täglich neu bestückt.
Skalierung trotz Engpässen: H&M nutzt Größenvorteile
Trotz logistischer Herausforderungen sieht sich H&M gut aufgestellt: „Im Unterschied zu kleineren Anbietern können wir mit Sellpy zentrale Teile des Ökosystems selbst kontrollieren.“ Doch das Geschäft bleibe aufwändig: „Jedes Kleidungsstück ist ein Unikat – beim Pricing, bei der Präsentation. Wir prüfen, wo KI helfen kann, aber wir werden weiterhin fachkundige Modeexperten brauchen“, betont Måhlén.
Steuerpolitik als Hemmschuh für Kreislaufwirtschaft
Ein weiterer Stolperstein: die Mehrwertsteuer. „Eine reduzierte Mehrwertsteuer auf Secondhand-Verkäufe wäre ein wichtiges Signal – politisch wie wirtschaftlich“, fordert Hartmann. Nur so könne die Kreislaufwirtschaft profitabel skaliert werden.
Ausblick: 15 Filialen bis Jahresende – und kein Ende in Sicht
Eine langfristige Rollout-Prognose gibt es offiziell nicht – aber die Richtung ist klar: „Bis Ende des Jahres wollen wir von zehn auf fünfzehn Standorte wachsen. Und 2026 geht es weiter – ohne Begrenzung. Wir haben grünes Licht vom Konzern, und jetzt legen wir los“, so Måhlén.