Technologie

Wenn Klimarettung zur Illusion wird: Die Selbsttäuschung der Tech-Eliten

Sie predigen Nachhaltigkeit, verbrauchen aber gigantische Energiemengen: Während Tech-Milliardäre den Planeten retten wollen, heizen ihre KI-Rechenzentren das Klima weiter an. Fortschritt oder Selbsttäuschung?
12.06.2025 16:03
Lesezeit: 4 min
Wenn Klimarettung zur Illusion wird: Die Selbsttäuschung der Tech-Eliten
Bill Gates sieht Innovation als Allheilmittel. (Foto: dpa/PA Wire | Jeff J Mitchell) Foto: Jeff J Mitchell

Diese Welt ist bereits kaputt

Jeder, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, weiß: Der technologische Fortschritt der Menschheit seit der industriellen Revolution hat auch seine Schattenseiten – etwa die durch Emissionen verursachte Erderwärmung. Der Klimawandel hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, das kaum noch rückgängig zu machen scheint.

Doch wie so oft in einer Welt, die Gegensätze liebt, stehen sich auch hier zwei Denkweisen gegenüber, schreibt Verslo žinios: Die eine sieht in Technologie die Ursache des Problems, die andere ihren potenziellen Retter. Fast so, wie der Unternehmer Bryan Johnson versucht, mit Biotechnologie den Alterungsprozess seines Körpers rückgängig zu machen.

Auch im Kampf gegen die Erderwärmung gibt es zwei Wege: Der eine führt – ganz im Sinne von Elon Musk – ins All, zur Vorbereitung der Marskolonisierung. Der andere bleibt irdisch – etwa durch Bill Gates, der massiv in ökologische Innovationen investiert. Über seinen „Breakthrough Energy“-Fonds finanzierte Gates im vergangenen Jahr etwa das Startup „Deep Sky“ mit 40 Millionen US-Dollar – ein Unternehmen, das CO₂ direkt aus der Luft filtern will.

Hoffnungsträger CO₂-Filterung

Das sogenannte Direct Air Capture (DAC) gilt als vielversprechende Methode zur Reduktion von CO₂. Doch bislang ist sie energieintensiv, teuer und schwer skalierbar. Gates zeigt dennoch Interesse – auch an kurioseren Projekten, etwa der Entwicklung neuartiger Toiletten. Seine „Reinvent the Toilet Challenge“ sucht seit 2011 nach Lösungen, die ohne Kanalisation oder fließendes Wasser funktionieren – etwa Toiletten, die Fäkalien in Trinkwasser, Dünger oder Strom umwandeln.

Gates engagiert sich ebenfalls für neue Atomkrafttechnologien wie „TerraPower“, wo flüssiges Natrium als Kühlmittel für emissionsfreie Energie genutzt wird.

Er sieht Innovation als Allheilmittel – selbst dort, wo Künstliche Intelligenz (KI) als Klimasünder gilt. Große Tech-Konzerne investieren verstärkt in sauberen Strom, um sich als „grün“ zu präsentieren. Doch der Energiehunger der KI ist immens – Strategien zur Klimaneutralität geraten ins Wanken.

Energiehunger der Rechenzentren

Wie der „MIT Technology Review“ berichtet, haben sich die Emissionen von US-Rechenzentren seit 2018 verdreifacht. Laut US-Energieministerium wird sich der Strombedarf dieser KI-Zentren in den kommenden drei Jahren nochmals verdreifachen.

Google etwa will bis 2030 netto null Emissionen erreichen – doch dieser Plan wird durch die steigenden Energiebedarfe massiv gefährdet. Zwischen 2022 und 2023 stiegen die Emissionen Googles um 13 Prozent auf 14,3 Millionen Tonnen. Seit 2019 beträgt das Plus sogar 48 Prozent – vor allem durch Rechenzentren und Lieferketten.

Auch Microsoft verzeichnet ein Emissionsplus von fast 30 Prozent seit 2020 – ein Effekt neuer Rechenzentren. Microsoft-Präsident Brad Smith erklärte, der Weg zur Klimaneutralität werde durch KI erschwert: „Der Mond hat sich verschoben“, so seine Metapher.

Kipppunkt bei Emissionen und Gesundheit

Die Entwicklung der KI treibt den Energiebedarf weiter in die Höhe. Laut „Goldman Sachs“ benötigt eine ChatGPT-Anfrage etwa zehnmal mehr Strom als eine Google-Suche. Zwischen 2022 und 2030 könnten sich die CO₂-Emissionen von Rechenzentren verdoppeln.

Die Internationale Energieagentur prognostiziert bis 2026 einen Stromverbrauch von 1000 TWh – so viel wie derzeit ganz Japan. Bis 2030 könnte KI laut „SemiAnalysis“ für 4,5 Prozent des globalen Strombedarfs verantwortlich sein.

Bill Gates befürchtet, dass die Welt ihre Klimaziele bis 2050 verfehlen wird: „Es gibt schlichtweg nicht genug grünen Strom, um den Übergang rechtzeitig zu schaffen.“

Der Energiehunger hat auch gesundheitliche Folgen: Eine Studie von US-Forschern kommt zu dem Schluss, dass die Luftverschmutzung durch Dieselgeneratoren und Kraftwerke für KI-Rechenzentren bis 2030 jährlich 1300 vorzeitige Todesfälle in den USA verursachen und 20 Milliarden Dollar an Gesundheitskosten erzeugen könnte – vor allem in wirtschaftlich benachteiligten Regionen.

In den letzten fünf Jahren beliefen sich die gesundheitsbedingten Kosten durch die Expansion der Rechenzentren auf 5,4 Milliarden Dollar – Google, Microsoft und Meta gelten als Hauptverursacher. Betroffen sind vor allem einkommensschwache Haushalte nahe dieser Infrastrukturen.

Nicht nur Strom – auch Wasser

Die Umweltauswirkungen der KI gehen über Strom hinaus. Die Herstellung und der Transport der nötigen Server und Chips erhöhen den CO₂-Fußabdruck weiter. Zudem steigt der Wasserverbrauch rapide – allein für die Kühlung der Rechenzentren.

Bis 2027 könnte KI laut Studien bis zu 6,6 Milliarden Kubikmeter Wasser benötigen – fast zwei Drittel des jährlichen Wasserverbrauchs von England. 2022 verbrauchten Google und Microsoft gemeinsam 32 Milliarden Liter Wasser.

KI – Teil des Problems und der Lösung

Trotzdem kann KI helfen, Ressourcen effizienter zu nutzen. Laut einer 2024 veröffentlichten Studie erzeugt generative KI bei Text- und Bildaufgaben 130- bis 2900-mal weniger CO₂ als ein Mensch.

Auch Google meldete 2016 Erfolge: Durch KI-gestützte Kühlung mit „DeepMind“-Technologie sanken die Stromkosten um 40 Prozent, der Stromverbrauch für Nicht-IT-Aufgaben um 15 Prozent.

Am Rand des Wahnsinns

Doch das reicht nicht. Solange wirtschaftlicher Erfolg wichtiger ist als ökologische Verantwortung, werden Tech-Konzerne weiter expandieren. Leidtragende werden weiterhin die Ärmsten sein – sie sind die ersten, die das Schmelzwasser zu spüren bekommen.

Ist der Verzicht auf Konsum oder Technologie die Lösung? Wohl kaum. Auch Radikalproteste wie Greenpeace-Aktionen oder „Fridays for Future“ wirken oft hilflos oder kontraproduktiv. Selbst wenn sie Bewusstsein schaffen – ein Umdenken gelingt nachhaltiger durch Innovation.

Beispiel Indien – technologische Gegenmaßnahmen

Ein Beispiel aus Indien zeigt, dass technologische Maßnahmen durchaus sinnvoll sein können: Die Behörden in Delhi – der am stärksten verschmutzten Stadt der Welt – setzen im Winter auf Drohnenüberwachung, künstlichen Regen, Nebelkanonen und Staubreduktionskampagnen.

Doch Verfahren wie „cloud seeding“ (künstlicher Regen) sind teuer, von Wetterbedingungen abhängig und bieten nur kurzfristige Linderung. Ein indischer Experte erklärte gegenüber „The Wired“, dass solche Maßnahmen lediglich Symptome lindern – nicht die Ursachen bekämpfen.

Transformation statt Verzicht

Die Lösung liegt nicht im Rückschritt, sondern in der Transformation: ökologische Haushalte mit Solarbetrieb, Wasserrecycling und umweltfreundlichen Waschmitteln. Nicht der Verzicht auf Flugreisen ist zielführend, sondern die Entwicklung emissionsarmer Flugzeuge.

Technologie kann Problem – und Lösung – zugleich sein. Entscheidend ist der politische Wille, Unternehmen zur Investition in nachhaltige Innovationen zu zwingen – auch wenn der Druck manchmal über Proteste erfolgen muss.

Hoffnung aus der Erdgeschichte

2023 lieferten Klimaforscher neue Hoffnung: Die Erde hat über Millionen Jahre zwischen „Treibhaus“- und „Eishaus“-Perioden gewechselt. In den wärmsten Phasen war es über 16 Grad heißer als heute, in den kältesten dominierten Gletscher. Die Artenvielfalt erlitt schwere Rückschläge – doch Leben überlebte stets.

Eine Studie der Universität Arizona widerspricht allerdings dem Optimismus: Der Klimawandel der letzten 150 Jahre übersteigt Tempo und Ausmaß aller Veränderungen der letzten 24.000 Jahre.

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