Wirtschaft

Israel und Iran: Der wahre Preis von Krieg, Öl und Exodus

Raketenhagel, Krieg mit dem Iran, massive Auswanderung – und trotzdem explodieren Börse und Rüstungsexporte. Wie lange kann das gutgehen?
20.06.2025 14:07
Lesezeit: 4 min
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Israel und Iran: Der wahre Preis von Krieg, Öl und Exodus
Auswanderung, Defizit und Kriegswirtschaft zeigen den wahren Preis des Konflikts. (Foto: dpa | Ilia Yefimovich) Foto: Ilia Yefimovich

Israels Wirtschaft boomt – während das Land blutet

Trotz dramatischer Bilder von nächtlichen Raketenhageln, brennenden Straßen in Tel Aviv, Verwüstung in Iran und Israel, Hunderten Toten und der realen Gefahr, dass der schwerwiegendste Krieg zwischen den militärischen Supermächten des Nahen Ostens eskaliert – die globale wirtschaftliche Auswirkung des Krieges zwischen Iran und Israel lässt sich auf ein einziges Wort verdichten: Öl. Oder genauer gesagt: den Ölpreis.

Wenig überraschend sind die Ölpreise bereits gestiegen. Eine weitere Eskalation – vor allem mit direkter US-Beteiligung – könnte zu Preissprüngen führen, die den bisherigen Anstieg von 10,7 % in der ersten Kriegswoche deutlich übertreffen. Das berichtet die Business Post.

Israels Wirtschaft im Dauerkriegsmodus

Doch wie wirkt sich der Krieg auf Israels eigene Wirtschaft aus? De facto befindet sich das Land seit zwei Jahren im Kriegsmodus – der längsten durchgehenden Kriegsperiode in der 77-jährigen Geschichte des Landes. Zehntausende Reservisten stehen im Dienst, Beschäftigte im öffentlichen Dienst erhielten zuletzt Gehaltskürzungen – offiziell, um die steigenden Kriegskosten zu decken. Die finanziellen und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Iran-Krieges lassen sich kaum seriös beziffern – zu viele Unbekannte prägen die Lage. Einen einzigen Maßstab zur Bewertung gibt es ohnehin nicht. Der Status Israels als internationale Paria-Nation – eine Tatsache, die im eigenen Land kaum diskutiert wird – ist ein kaum quantifizierbarer Kostenfaktor.

Einzelne Indikatoren sind greifbarer. Laut einem Bericht des israelischen Mediums Ynet belaufen sich die täglichen Kriegskosten mit dem Iran auf 725 Mio. US-Dollar. Jede Abfangrakete des Arrow-Systems, das zum Schutz gegen iranische Angriffe dient, kostet rund zwei Millionen Dollar. Israel hat laut Schätzungen innerhalb von 20 Kriegsmonaten bis zu 1,5 Mrd. Dollar allein für Arrow-Abwehrmaßnahmen ausgegeben. Das israelische Finanzministerium rechnet wegen der Kriegsfolgen mit einem Haushaltsdefizit von 4,9 % für das laufende Fiskaljahr – wobei der Iran-Krieg in dieser Zahl noch gar nicht enthalten ist. Dennoch prognostiziert das Ministerium ein robustes Wachstum von 3,6 % für das Jahr 2025.

Ein Corona-ähnlicher Ausnahmezustand

In Israels Kernland herrscht seit Beginn der jüngsten Eskalation faktisch ein Ausnahmezustand, der stark an die Corona-Zeit erinnert: Wer kann, arbeitet im Homeoffice, nur essentielle Dienste bleiben geöffnet. Schulen, Büros und Einkaufszentren sind geschlossen, Menschen bleiben in ihren Wohnungen. Massenversammlungen sind juristisch diffus geregelt und unterliegen ständigen Änderungen. Der Flughafen war die ersten fünf Tage komplett geschlossen. Der ohnehin geschwächte Tourismussektor ist endgültig zum Erliegen gekommen. Ironischerweise bleibt ein Sektor davon nahezu unberührt: die Bauwirtschaft. Diese Woche arbeiteten in Tel Aviv Bauarbeiter unweit eines Wohnblocks, der direkt von einer iranischen Rakete getroffen worden war – scheinbar unbeeindruckt vom Sirenengeheul und den Einsatzfahrzeugen nur wenige Straßen weiter.

Die Silhouette Tel Avivs ist geprägt von Hunderten Kränen. Laut Zahlen des Stadtrats, die dem Business Post vorliegen, gibt es derzeit rund 1.000 aktive Baustellen – ein Anstieg um 42 % seit 2021. 2024 wurden 18.700 neue Wohneinheiten gebaut – ein Jahr, in dem Tel Aviv wiederholt von Raketen der Hamas, der Hisbollah, den Huthi-Rebellen aus dem Jemen und zeitweise von iranischen Marschflugkörpern getroffen wurde. Gleichzeitig wurde das unterirdische Nahverkehrsnetz weiter ausgebaut, neue U-Bahn-Stationen eröffnet. Für europäische Infrastrukturplaner ergeben sich hier womöglich unbequeme Vergleichsmaßstäbe.

Robuste Währung, boomende Börse

Der Neue Israelische Schekel (NIS) erlebte in den vergangenen 20 Monaten heftige Ausschläge gegenüber Euro und Dollar. Nach dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 verlor die Währung zunächst 6,7 % gegenüber dem Euro. Doch zwischen Oktober 2023 und Januar 2025 legte sie um 14,5 % zu – trotz anhaltendem Krieg. Seit Beginn des Konflikts mit Iran, der erst zehn Tage andauert, stieg der NIS überraschend um weitere 3,4 % gegenüber dem Euro. Auch die Börse trotzt der Krise. Der Tel Aviv Stock Exchange (TASE) legte seit Oktober 2023 um 225 % zu – im Vergleich dazu stieg der Dow Jones im selben Zeitraum lediglich um 44 %. Allein in der ersten Kriegswoche verzeichnete TASE ein Plus von 7 %.

Die Widerstandskraft von Börse, Währung und Wirtschaft lässt sich unter anderem durch Israels militärtechnologisches Know-how erklären. Rüstungs- und Cybersecurity-Exporte boomen. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute lag Israels Anteil am globalen Waffenexport zwischen 2020 und 2024 bei 3,1 % – Platz acht weltweit. Im Pro-Kopf-Vergleich liegt Israel sogar auf Rang eins. Zum Vergleich: Großbritannien, mit siebenfacher Bevölkerungsgröße, lag bei 3,6 %. Besonders auffällig sind die Exportziele: Indien nahm 34 % der israelischen Waffen ab, die USA 13 %, die Philippinen 8,1 %.

Asien wird für Israel wirtschaftlich immer relevanter. Ein Indiz: Baustellen in Tel Aviv werben in Englisch und Chinesisch für Projekte der „China State Construction Engineering Corporation Ltd“ – eine Form von Infrastrukturkooperation, die in Europa für politische Kontroversen sorgen würde. Ein von Irland initiiertes Importverbot für Obst und Gemüse aus israelischen Siedlungen dürfte die Wirtschaft kaum tangieren – symbolträchtig, aber folgenlos.

Trotz Boom in Rüstungs- und Hightech-Industrie bleibt eines klar: Kein Staat – auch nicht Israel – kann dauerhaft im Kriegszustand leben. Zu hoch ist die psychische Belastung für die Bevölkerung. Der direkte Einschlag iranischer Raketen in Tel Aviv hat viele Israelis schockiert – solche Zerstörung im eigenen Land hat es in der jüngeren Geschichte nicht gegeben. (Freilich dürften manche irische Leser angesichts der Verwüstung des Gazastreifens durch Israel über diese Formulierung die Stirn runzeln.)

Auswanderung nimmt dramatisch zu

Ein oft ausgeblendeter Preis des Krieges ist die massive Auswanderung. Seit Oktober 2023 haben laut Statistikbehörde 83.000 Israelis das Land verlassen – knapp 1 % der Bevölkerung. Das ist doppelt so viel wie im Vorjahr. Besonders viele Junge und Familien wanderten aus, überproportional auch wohlhabende und gut ausgebildete Bürger. Laut einer Umfrage des Senders Kanal 13 unterstützen zwar 67 % der Israelis den Präventivschlag gegen Irans Nuklearanlagen, zugleich aber äußerten 66 % der jüdischen und 89 % der arabischen Israelis große Sorgen um ihre Sicherheit und die ihrer Familien.

Noch ernüchternder: Einer aktuellen Umfrage der Tageszeitung Haaretz zufolge denken vier von zehn Israelis derzeit darüber nach, das Land dauerhaft zu verlassen. Ein Trend, den auch eine boomende Wirtschaft kaum aufhalten dürfte.

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