Brüssel verhandelt, Washington droht – und Europas Industrie zittert
Am Wochenende drohte US-Präsident Trump der EU mit 30-Prozent-Zöllen. Die Verhandlungen laufen weiter. Inzwischen hat das Wirtschaftsportal Finance geprüft, wie die Handelsbeziehungen aussehen, welche Branchen direkt oder indirekt betroffen wären, welche EU-Staaten besonders verletzlich sind – und was genau Europa in die USA exportiert.
1. Der Handelsüberschuss der EU liegt real nur bei 50 Milliarden Euro
In einem Schreiben an die EU erklärte Präsident Donald Trump, das US-Handelsdefizit stelle eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar. Washington weiß jedoch genau: Das US-Defizit betrifft nur den Warenhandel – im Dienstleistungsverkehr erzielen die USA sogar einen Überschuss. Unterm Strich ist das Defizit gegenüber der EU also deutlich geringer als vielfach behauptet – rund 50 Milliarden Euro. Das ist zwar verhandlungstaktisch wertlos, aber wichtig, wenn es um die möglichen Folgen hoher Zölle geht, die den transatlantischen Handel behindern.
Der Warenhandel zwischen EU und USA erreichte 2024 laut Eurostat 867 Milliarden Euro:
532,3 Milliarden Euro betrug der Export europäischer Waren in die USA.
334,8 Milliarden Euro machten US-Warenexporte in die EU aus.
Der europäische Handelsüberschuss belief sich also auf 197,5 Milliarden Euro.
Die USA waren 2024 mit 20,6 Prozent der wichtigste Absatzmarkt der EU.
Neben den USA zählen Großbritannien (13,2 Prozent), China (8,3 Prozent), die Schweiz (7,5 Prozent) und die Türkei (4,3 Prozent) zu den Top-Exportzielen.
Der Dienstleistungshandel zwischen EU und USA erreichte 2024 insgesamt 817 Milliarden Euro:
334,5 Milliarden Euro entfielen auf europäische Exporte in die USA.
482,5 Milliarden Euro betrugen die US-Exporte in die EU.
Im Dienstleistungsbereich hatte die EU also ein Defizit von 148 Milliarden Euro.
2. Der Warenaustausch mit den USA hat sich stark ausgeweitet
Die Ausfuhren in die USA stiegen binnen fünf Jahren um 57 Prozent – von 589 Millionen Euro (2019) auf über 923 Millionen Euro (2024). Die Einfuhren aus den USA nahmen im selben Zeitraum um das 3,9-Fache zu – von 302 Millionen Euro auf 1,185 Milliarden Euro. Damit verzeichneten die USA im Jahr 2024 einen Handelsüberschuss von rund 262 Millionen Euro. Das bilaterale Handelsvolumen belief sich auf 2,107 Milliarden Euro. Noch vor wenigen Jahren lagen die USA knapp außerhalb der Top-20-Handelspartner. Inzwischen rangieren sie auf Platz 12. Der Export ist stark diversifiziert. Wichtigstes Einzelprodukt waren Polyamide (über 35 Mio. €), die u.a. in der Automobil-, Elektronik-, Textil- und Medizintechnik verwendet werden. Danach folgten Holzbearbeitungsmaschinen, Medizintechnik, Fahrzeugteile und Bohrwerkzeuge. An achter Stelle standen Medikamente für den Einzelhandel. Die EU-Kommission verhandelt weiter. EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič warnte am Montag vor einer Eskalation: „30-Prozent-Zölle ab 1. August kämen einem Handelsverbot gleich.“
3. Fünf EU-Länder wären besonders stark betroffen
Laut Eurostat wären folgende EU-Staaten am stärksten exponiert:
- Deutschland: 161,2 Mrd. Euro Export in die USA
- Irland: 72,9 Mrd. Euro
- Italien: 64,8 Mrd. Euro
- Frankreich: 47,1 Mrd. Euro
- Niederlande: 43,3 Mrd. Euro
Vier dieser Länder zählen zugleich zu den fünf wichtigsten EU-Exportmärkten – was auch andere stark abhängige Volkswirtschaften unter Druck setzen könnte. Österreich z.B. lieferte 2024 Waren im Wert von 16,2 Mrd. Euro in die USA.
4. Etwa 15.000 Arbeitsplätze hängen am US-Handel
Dass Deutschland Hauptprofiteur ist, ist bekannt. Doch neue Zölle würden nicht nur Berlin treffen. Auch Staaten mit indirekter Exposition wären betroffen – insbesondere, weil sie stark mit Deutschland verflochten sind. Denn Deutschland ist der größte Exportpartner in Europa. Bereits im Frühjahr hatte die Notenbank gewarnt: „Als kleine und sehr offene Volkswirtschaft kann der zunehmende Protektionismus erhebliche Auswirkungen haben.“ Insgesamt seien rund 15.000 Jobs mit dem Außenhandel mit den USA verknüpft.
5. Arzneimittel und Autos sind Exportschlager
Derzeit gelten bereits 10-Prozent-Zölle auf viele EU-Waren, für Autos und Teile 25 Prozent, auf Stahl und Aluminium sogar 50 Prozent. Laut EU-Kommission betreffen diese Aufschläge etwa 70 Prozent des Exports. Trump will ab 1. August noch eine Schippe drauflegen: 30-Prozent-Zölle für praktisch alle Güter. Die wichtigsten Exportgüter der EU sind Medikamente, Kraftfahrzeuge und Maschinen. Laut Moody’s wären durch neue Zölle nicht nur große Volkswirtschaften betroffen, sondern auch kleinere Exportländer – neben Dänemark, Belgien und Irland auch Länder mit starker pharmazeutischer Industrie.