Finanzen

Vermögensteuer: Warum sie zulässig wäre, aber trotzdem nicht kommt

Kaum ein Thema spaltet Ökonomen, Politiker und Juristen so sehr wie die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Gegner warnen vor Kapitalflucht und verfassungsrechtlichen Problemen, Befürworter verweisen auf Gerechtigkeit und fehlende Einnahmen in Milliardenhöhe. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Die Steuer wäre durchaus zulässig – wenn die Politik sie denn wirklich wollte.
07.08.2025 07:31
Lesezeit: 5 min
Vermögensteuer: Warum sie zulässig wäre, aber trotzdem nicht kommt
Vermögenssteuer: Ist sie wirklich verfassungswidrig? (Foto: dpa) Foto: David Davies

Vermögensteuer vs. Verfassung: Zwischen Eigentumsschutz, Gleichheitsgrundsatz und steuerpolitischem Gestaltungswillen

Zwischen Arm und Reich klafft die Schere immer weiter auseinander – so oder so ähnlich lassen sich unter anderem die Ergebnisse einer BCG-Untersuchung 2023, einer Studie der Schweizer Bank UBS und von Oxfams Bericht zur sozialen Ungerechtigkeit 2024 zusammenfassen. Eine hierzulande viel diskutierte Möglichkeit, um dieses Auseinanderdriften zumindest zu verlangsamen, ist die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Diese wurde 1997 ausgesetzt – jedoch nicht, wie Bundeskanzler Friedrich Merz es kürzlich in einem Interview behauptete, „weil jede Form einer Vermögensteuer gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt“ und damit „nicht erhoben werden kann“. Tatsächlich wäre eine Reaktivierung in verfassungsrechtlich überarbeiteter Form juristisch durchaus möglich.

Konflikt ohne Bewegung

In Debatten um die Vermögensteuer fehlt häufig die notwendige Nuanciertheit. Auf der einen Seite die Befürworter: Sie argumentieren im Sinn der sozialen Gerechtigkeit, der Vermögensumverteilung und der Reichenbesteuerung. So pochen sie etwa auf die Wiedereinführung der Abgabe, um finanzklamme Länder und Gemeinden zu entlasten. Schließlich führte der Verzicht auf die 1997 ausgesetzte Vermögensteuer bislang zu 380 Milliarden Euro an Mindereinnahmen. Gleichzeitig stieg das Privatvermögen der Deutschen jedes Jahr – 2024 auf insgesamt 9 Billionen Euro. Das ist allerdings ungleich verteilt. Mit Berufung auf EZB-Daten stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bereits 2023 fest, dass die oberen 10 Prozent der Bevölkerung rund 61,2  Prozent des Gesamtvermögens besitzen, während die unteren 50  lediglich 2,3 Prozent halten. Diese Ungleichheit setzt sich auch beim Thema Abgaben fort. Laut einer OECD-Untersuchung belasten Steuern hierzulande vor allem Arbeitseinkommen, was laut Bericht insbesondere Familien trifft und nicht zuletzt auch Fehlanreize schaffen kann. Fehlanreize, die Schwarz-Rot angesichts leerer Kassen mit ihren Steuerplänen nur bedingt korrigiert. Im Kern, das zeigt eine Studie des Ökonomen Holger Stichnoth vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim, geht es darum, den Motor der deutschen Wirtschaft anzukurbeln, wobei die bisher umgesetzten Maßnahmen Besserverdienende und Unternehmen stärker entlasten – sowohl absolut als auch relativ.

Auf der anderen Seite stehen die Gegner der Vermögensteuer. Sie kontern mit Steuer- oder Kapitalflucht und dem internationalen Steuerwettbewerb. Empirische Studien scheinen das auch zu stützen. Ein Beispiel aus der Schweiz zeigt, dass eine Erhöhung der Vermögensteuer um 0,1 Prozentpunkt zu einem Rückgang des ausgewiesenen Vermögens um 3,4 Prozent führen kann, was auf Kapitalabflüsse hindeutet. Henley & Partners sprachen in diesem Zusammenhang von einer beispiellosen Vermögens- und Investitionsmigration, die vor allem für Niedrigsteuerländer wie die Vereinigten Arabischen Emirate eine Chance darstellt. Allein im letzten Jahr, so die Studienmacher, sollen sich 6.700 Millionäre weltweit auf den Weg in dieses Steuerparadies gemacht haben. Hinzu kommt speziell hierzulande der bürokratische Aufwand, der laut ifo Institut jährlich bis zu 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung verschlingt. Die zentrale Herausforderung? Eine genaue und gerechte Bewertung von Vermögenswerten erhöht den administrativen Aufwand und sorgt aufgrund unterschiedlicher Modelle für Unsicherheiten, so das Argument des ifo Instituts. Entsprechend lehnen die Gegner der Vermögensteuer sie kategorisch als Ausdruck einer Neiddebatte, als Zeichen überbordender Bürokratie und überhaupt als verfassungswidrig ab.

Vermögensteuer im Faktencheck

Vor allem der vermeintliche Verstoß gegen das Grundgesetz wird häufig als Totschlagargument vorgebacht – rhetorisch wirksam, aber faktisch inkorrekt. Schließlich wird die Vermögensteuer explizit als Steuerart im Grundgesetz genannt (Art. 106 GG). Was also steckt hinter der vermeintlichen Verfassungswidrigkeit? Juristen verwenden in ihren Ausführungen häufig den Ausdruck „im Einzelfall“ – er signalisiert, dass eine pauschale Aussage nicht automatisch auf alle Fälle übertragbar ist. Das Recht operiert zwar mit allgemeinen Regeln, diese können jedoch in jedem konkreten Fall unterschiedlich ausgelegt werden. So geschehen 1995, als das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Fall zur Vermögensteuer entschied. Dabei ging es inhaltlich um die steuerliche Ungleichbehandlung von bestimmten Vermögenswerten. Steuerpflichtige, die Vermögensteuer auf Unternehmenswerte zahlen sollten, sahen sich gegenüber jenen benachteiligt, die Abgaben auf Immobilienwerte leisten mussten. Mit Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 GG entschieden die Richter damals, dass die Vermögensteuer in Bezug auf die Bewertung von Immobilien verfassungswidrig sei. Der Grund: Ein veraltetes Bewertungsverfahren schuf eine Bemessungsgrundlage für Immobilienbesitz, die Werte weit unter dem Marktwert ergab. Dadurch wurden Aktien, Unternehmensbeteiligungen und andere Vermögenswerte im Verhältnis mit deutlich höheren Steuern belastet, während Immobilieninvestoren einen Vorteil genossen.

An dieser Stelle hätte die Legislative das Vermögensteuergesetz an die neue Rechtsprechung anpassen müssen – etwa durch die Änderung der Bemessungsgrundlage für Immobilienwerte. Die damalige Regierung – das Kabinett Kohl V – unterließ eine solche Änderung jedoch, vor dem Hintergrund interner parteipolitischer Divergenzen, technischer und administrativer Herausforderungen sowie der sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Post Wiedervereinigung schien eine Reform des Vermögensteuergesetzes politisch zu riskant und organisatorisch zu komplex. Stattdessen wurde das Vermögensteuergesetz 1997 insgesamt als verfassungswidrig ausgesetzt und seitdem nicht mehr angewendet.

Seit 30 Jahren Wartehaltung

Die Vermögensteuer könnte jederzeit wieder reaktiviert werden. Das Bewertungsgesetz wurde in den vergangen drei Jahrzehnten modernisiert, sodass eine der neuen Bewertungsmethoden für Immobilien Pate stehen könnte, um das Vermögensteuergesetz verfassungskonform anzupassen. Außerdem wurde kürzlich auch die Wegzugsbesteuerung mit dem Ziel verschärft, Steuervermeidung durch Abwanderung zu verhindern und versteckte Unternehmenswerte zu besteuern. Anders als bisher betrifft die Neuregelung daher nicht mehr nur im Privatvermögen gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaftsanteile ab einer Beteiligungshöhe von 1 Prozent. Künftig gilt: Halten Steuerpflichtige Anteile an Investmentfonds im Privatvermögen, unterliegen die in dem Investmentanteil ruhenden stillen Reserven bei einem Wegzug aus Deutschland der Wegzugsbesteuerung. Voraussetzung dafür ist, dass der Steuerpflichtige innerhalb der letzten 5 Jahre mindestens 1 Prozent der ausgegebenen Investmentanteile gehalten hat oder die Anschaffungskosten mindestens 500.000 Euro betragen haben. Zwar ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen, Kritiker bemängeln jedoch, die neuen Regeln würden über das Ziel hinausschießen und in der Praxis auch Fälle betreffen, die nicht missbräuchlich sind. Besonders problematisch sei die Verknüpfung mit den Anschaffungskosten, wobei grundsätzliche Zweifel bestehen, ob die neuen Vorschriften mit EU-Recht vereinbar sind.

Steuern im Standortwettbewerb

Mit Blick auf eine mögliche Wiedereinführung der Vermögensteuer müsste die Regierung abwägen: Eigentumsschutz (Art. 14 GG), Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) oder das Prinzip der progressiven Besteuerung, das es auch im internationalen Kontext zu bewerten gilt. Hohe Abgaben können den Anreiz zur Reinvestition von Gewinnen schwächen, was langfristig zu einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit und zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums führt. Das zeigen nicht nur Studien des ifo Instituts und Berichte der OECD, sondern auch die aktuellen Zahlen der Deutschen Bundesbank: 2025 dürfte das kalenderbereinigte BIP zunächst stagnieren, wobei sich die Erholung der deutschen Wirtschaft aufgrund der Unsicherheit über die internationale Handelspolitik verzögern würde. Angesichts dieser wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hätte es also, ähnlich wie in den 1990er-Jahren, gezielte Reformen gebraucht, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern und Investitionen nicht unnötig zu erschweren. Ob das prowirtschaftliche Steuerentlastungspakt der Regierung Merz genau diese Ziele erreichen kann, bleibt abzuwarten. Sicher setzen die Maßnahmen ein politisches Signal, gefährden aber den ohnehin engen finanziellen Spielraum für Länder und Kommunen weiter.

Deshalb fordert der Bundesrat bereits jetzt einen finanziellen Ausgleich. Laut Wirtschaftsexperten von DIW, ifo Institut und IW Köln reicht das Paket ohne weitere Reformschritte jedoch nicht, um Deutschlands Konjunktur nachhaltig zu stärken. Ziel sollte es sein, einen Ausgleich zu finden, der fiskalisch notwendige Einnahmen generiert, aber zugleich Investitionsanreize und die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt. Neben der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechtsschutzes müssen dabei auch internationale steuerrechtliche Rahmenbedingungen und die wirtschaftlichen Auswirkungen in den Mittelpunkt der Überlegungen rücken. Ohne strukturelle Reformen dürfte das kaum möglich sein.

Weitere Informationen unter www.juhn.com

Zum Autor:

Prof. Dr. Christoph Juhn ist Professor für Steuerrecht, Steuerberater und besitzt einen Master of Laws. Seine Schwerpunkte in der Gestaltungsberatung liegen auf Umwandlungen und Umstrukturierungen, Unternehmen- und Konzernsteuerrecht, internationalem Steuerrecht, Unternehmenstransaktionen (M&A), Beratung für Berater sowie der laufenden Steuerberatung. Nachdem er 2011 seinen LL.M. an der Universität zu Köln erwarb, wurde er 2013 zum Steuerberater bestellt. Im Jahr 2020 promovierte er zum Dr. jur. im internationalen Unternehmen- & Umwandlungssteuerrecht und wurde noch im selben Jahr zum Professor für Steuerrecht an der FOM Hochschule Bonn berufen. Parallel dazu gründete er – nach Anstellungen in zwei Steuerberatungsgesellschaften – im Jahr 2015 die JUHN Partner GmbH und 2017 die JUHN BESAU GmbH. Außerdem betreibt der Steuerprofi unter @juhnsteuerberater einen erfolgreichen YouTube-Kanal.

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