Burn-On-Syndrom: Wenn Stress zum Dauerzustand wird
Frauke Hoch* ist 40 Jahre alt und arbeitet als Projektmanagerin. Ihr Job macht ihr sehr viel Spaß und sie geht eigentlich gerne zur Arbeit. Wäre da nicht diese große Masse an Aufgaben, die sie zu bewältigen hat. Ihre Projekte stapeln sich, sie hetzt von Termin zu Termin und kommt dabei kaum hinterher. Sie hat hohe Ansprüche an sich und ihre Arbeitsqualität und möchte alles möglichst perfekt machen. Auch privat funktioniert sie nur noch: Haushalt, sich um ihre zwei Söhne kümmern, … . Für sie selbst bleibt dabei wenig Zeit. Seit einiger Zeit leidet sie unter Bluthochdruck und hat immer wieder Kopfschmerzen.
Frauke Hochs Geschichte mag sich auf den ersten Blick wie ein Fallbeispiel für Burnout anhören. Ist es aber nicht! Personen, auf die diese Beschreibung zutrifft, könnten unter einem Burn On leiden. Die Betroffenen wirken immer gestresst und so, als wären sie kurz vor einem Zusammenbruch. Ob die Stressauslöser für Außenstehende sichtbar sind oder nicht, ist dabei nicht relevant. Vielmehr gilt die subjektiv empfundene Überlastung, nicht nur auf der Arbeit, sondern auch im Privatleben beziehungsweise der Kombination aus beidem. Das Phänomen ist (noch) nicht als Diagnose anerkannt, aber in unserer stressigen Leistungsgesellschaft relevanter denn je.
Im Unterschied zum Burnout, bei dem es meist zu einem Zusammenbruch kommt, setzen Burn On Betroffene ihre Arbeit unermüdlich fort. Ihnen geht es schlecht, aber sie gehen nicht zum Arzt und brennen stattdessen weiter. Sie weisen eine hohe Identifikation mit ihrem Job auf, während Burnout-Betroffene lustlos erscheinen und sich von ihrer Arbeit entfremden. Die Begründer des Konzepts, Timo Schiele (leitender Psychologe) und Berndt te Wildt (Chefarzt der psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee) fassen zusammen: „Wir würden das Burnout-Syndrom als akute, das Burn-on-Syndrom als chronische Erschöpfungsdepression definieren“.
Der starke innere Druck zeigt sich häufig auch körperlich in vielfältiger Erscheinung: Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Tinnitus, chronische Schmerzen, Verspannungen und Schlafstörungen sind möglich.
Häufig gestehen Betroffene sich ihr Leiden aber nicht ein und beschwichtigen andere und sich selbst mit „das geht schon“ oder „ist nur eine kurze Stressphase“. Zudem gilt Erschöpfung und Stress in unserer heutigen Leistungsgesellschaft häufig als Statussymbol. Wer kein Stress hat, scheint etwas falsch zu machen.
Daher bleiben viele Betroffene teils jahrelang in der Endlosspirale ihres Hamsterrads, bis es dann eines Tages in einem Burnout oder einer anderen psychischen Erkrankungen mündet, sie selbst aktiv Veränderungen vornehmen oder sich die äußeren Umstände wandeln.
Vermeidung eines Burn Ons – auch im Interesse des Arbeitgebers
Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass betroffene Mitarbeiter bei negativem Verlauf des Burn Ons längere Zeit, im schlechtesten Fall sogar für immer, ausfallen können. Zudem arbeiten Menschen, die dauerhaft gestresst sind, nicht so effizient, innovativ und konzentriert wie entspannte Mitarbeiter. Fehler passieren häufiger, während es zu weniger kreativen Ideen kommt. So gaben in einer Studie von Wellnow 57 % der knapp 1000 Befragten an, dass sie aufgrund von Stress weniger Leistung auf der Arbeit erbringen. Dies betrifft vor allem die Pharma- und IT-Branche, sowie die Kreativwirtschaft. „Durch anhaltenden Stress ohne Erholungspausen leidet die Konzentrationsfähigkeit und die Aufmerksamkeit. Unsere Produktivität und Leistungsfähigkeit sinken, die Fehlergefahr steigt, wir verlieren mitunter den Fokus und den Überblick“, erklärt Wirtschaftstrainerin Brigitte Zadrobilek den Einfluss von Stress auf die Arbeitsleistung. Umso wichtiger, als Führungskraft rechtzeitig zu reagieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Warnzeichen ernst nehmen
Nur, wer nah an den eigenen Mitarbeitern dran ist, weiß, was sie bewegt. Auf folgende Punkte sollten Führungskräfte bei Arbeitnehmern achten:
- Scheint die Person übermäßig lange zu arbeiten (zum Beispiel Überstunden oder abends lange im Büro)?
- Werden Pausen gemacht?
- Scheint der Mitarbeiter Privates zu vernachlässigen (zum Beispiel Freunde und Familie)?
- Wirkt die Person dauerhaft müde und erschöpft?
- Passieren dem vermeintlich Betroffenen in letzter Zeit vermehrt untypische Leichtsinnsfehler?
- Gibt es körperliche Anzeichen, wie Klagen über Kopfschmerzen oder andere physische Probleme?
Burn On-Betroffene weisen zudem ein ähnliches Persönlichkeitsprofil auf. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst, arbeiten perfektionistisch. Sie sind häufig unsicher und versuchen dies, durch gute Leistungen zu kompensieren. Daher streben sie nach Bestätigung durch Lob. Besonders Menschen in sozialen Berufen, Selbstständige und Führungskräfte seien laut Schiele und te Wildt gefährdet. Denn: Sie alle eint eine hohe Verantwortung.
Burn-On-Syndrom: Was Arbeitgeber tun können
Führungskräfte befinden sich oft im Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit. Einerseits soll das Unternehmen weiterhin florieren, andererseits dürfen die Mitarbeiter nicht ausbrennen und womöglich als Folge längere Zeit ausfallen. Nur, wer als Führungskraft verstanden hat, dass gesunde und zufriedene Mitarbeiter mit dem Unternehmenserfolg einhergehen, schafft eine tragfähige Basis. Es gilt also, präventiv vorzubeugen und bei ersten Warnzeichen möglichst früh einzugreifen.
Wie bereits erwähnt, gestehen sich die meisten Betroffenen ihre Problematik zunächst nicht ein. Dabei ist Einsicht der erste Schritt zur Verbesserung. Erkennen Führungskräfte erste Anzeichen für ein Burn On bei einem Mitarbeiter, ist es ratsam, ein offenes Gespräch zu suchen. Möglich wäre zum Beispiel ein Einstieg, wie „mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit gestresst wirkst. Wie geht es dir?“ Dadurch wird dem Mitarbeiter gezeigt, dass der Führungskraft eine Veränderung aufgefallen ist. Dies kann ein erster Anstupser in Richtung Einsicht sein.
Auch wenn ein Mitarbeiter permanent länger arbeitet, sollte er darauf angesprochen werden. Häufig steckt ein zu hohes Arbeitsvolumen oder Überforderung mit den Aufgaben dahinter. Ist dem so, gilt es, den Betroffenen zu entlasten, zum Beispiel durch eine Reduzierung der Aufgaben, bessere Aufgabenverteilung oder eine Weiterbildung zu den Tätigkeiten, die schwerfallen. Macht ein Mitarbeiter regelmäßig keine Pause, isst zum Beispiel am Schreibtisch und arbeitet nebenher, während Kollegen Pause machen, dann sollte dies ebenfalls thematisiert werden.
Eine Unternehmenskultur, in der hustlen und Überstunden als normal und erstrebenswert angesehen wird, kann ebenfalls ein mentales Ungleichgewicht der Mitarbeiter begünstigen. Um solch ungesunden Strukturen entgegenzuwirken, sollte eine Unternehmenskultur mit Work-Life-Balance etabliert werden. Pausen sind kein Zeichen von mangelndem Ehrgeiz, sondern von gesunder Selbstfürsorge, Überstunden nur die Ausnahme.
Auch präventiv kann viel getan werden. Möglich sind zum Beispiel Workshops, Achtsamkeitskurse und Coachings. Dennoch ist es mit einer einmaligen Einheit nicht getan: viel eher empfiehlt es sich, regelmäßig kurze Sessions anzubieten, um eine Konstanz zu erzeugen. So können Mitarbeiter lernen, dass sie nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sie auch Pausen einlegen.
In unserer heutigen Leistungsgesellschaft gilt es als erstrebenswert, dauerhaft im Stress zu sein. Ist die Überlastung aber zu viel und es kommt zu Burn On-Fällen, kann das Unternehmen stark belasten. Daher ist es wichtig, auf Frühwarnzeichen zu achten und rechtzeitig proaktiv zu handeln. Grundsätzlich ist eine Verankerung von Work-Life-Balance und Selbstfürsorge in der Unternehmenskultur ratsam, um eine langfristig gesunde Mitarbeiterschaft zu fördern.
*Name von der Redaktion geändert