Verteidigung: Merz ruft Unternehmen zur Unterstützung der Bundeswehr-Reserve auf
Bundeskanzler Friedrich Merz will wegen der Bedrohung durch Russland die Reserve für die Bundeswehr deutlich aufstocken. Dafür braucht er die Unterstützung deutscher Unternehmen. Das sagte der Bundeskanzler beim Tag der Industrie. Denn Teil seiner Strategie ist es, dass Unternehmen Mitarbeitende als Reservisten gelegentlich bei den Streitkräften üben lassen – und sie für die Reserve freistellen. Für eine deutliche Aufstockung des Personals sind allerdings Zehntausende neue Reservisten nötig, Jahr für Jahr.
BVMW: Reservisten haben besondere Eigenschaften
Viele seien mit dem Vorschlag von Bundeskanzler Merz zufrieden, sagt Hans-Jürgen Völz, vom Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW). Völz ist selbst Reservist und unterrichtet an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
Seiner Erfahrung nach bringen Reservistinnen und Reservisten besondere Qualifikationen mit – wie Disziplin, Belastbarkeit, Führungsstärke, Krisenerfahrung, Flexibilität oder auch Verantwortungsbewusstsein. „Das sind alles Eigenschaften, die in Unternehmen eine große Rolle spielen“, sagt Völz. „Und diese Anforderungen passen zu vielen mittelständischen Unternehmen. Sowohl im Handwerk, im produzierenden Gewerbe, aber auch in Industrieunternehmen.“
Freiwilliges Engagement statt Zwang
Auch Matthias Bauer, Pressesprecher bei der Mittelstands- und Wirtschaftsunion in Thüringen, findet die Idee von Bundeskanzler Merz nicht abwegig. „Denn es ist schon heute in vielen kleinen und großen Unternehmen selbstverständlich, dass Mitarbeitende für gesellschaftlich relevante Aufgaben freigestellt werden“, sagt er. Beispielsweise im Katastrophenschutz, bei der freiwilligen Feuerwehr oder für die Pflege von Angehörigen.
Bauer hofft allerdings darauf, dass es bei einem freiwilligen Engagement bleibt und kein gesetzlicher Zwang zurückkehrt.
Aber irgendwie müsse die personelle Stärke der Bundeswehr unterstützt werden, betont Völz vom BVMW. Aktuell gebe es 34.000 Reservisten in Deutschland – rund ein Fünftel der Anzahl, die im Land im Konfliktfall benötigt würde. Der Wirtschaftsökonom glaubt, dass viele Unternehmen gar nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollten, wenn Mitarbeitende Interesse daran haben als Reservistin oder Reservist zu üben.
Unternehmen werden finanziell entlastet
„Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft unterstützt seine Mitgliedsunternehmen, wenn sie diesbezüglich Fragen haben“, erklärt Bauer. Häufig gehe es beispielsweise darum, wie es mit der Lohnfortzahlung aussehe. „Einige Unternehmen wissen nicht, dass das Unternehmen vollständig für die Lohnkosten entlastet wird, wenn ein Reservist oder eine Reservistin für die Übung eingezogen wird. Der Aufwand ist natürlich administrativ gegeben, aber die finanzielle Absicherung ist vorhanden.“
Die Diskussion, angestoßen durch Friedrich Merz, würde mindestens dafür sorgen, dass diese bürokratischen Eckpfeiler nun besser bekannt sind.
Bundeswehr-Reservisten: lukrativer Nebenjob in Uniform
Während viele Unternehmen mit Fachkräftemangel kämpfen, lockt die Truppe mit steuerfreien Prämien und vollständigem Verdienstausfall-Ausgleich. Bis zu 10.600 Euro für 35 Tage Dienst sind möglich. Gerade für Spezialisten wie Testflugingenieure oder IT-Experten öffnet sich ein paralleles Karrierefeld mit flexiblen Einsatzzeiten und attraktiver Vergütung.
Gehaltspakete mit Überraschungspotenzial
Die finanziellen Anreize für Reservistendienste wurden deutlich aufgestockt. Laut bundeswehrkarriere.de kann ein 30-jähriger Hauptmann mit Familie für 35 Tage Reservistendienst bis zu 10.631,85 Euro erhalten. Diese Summe setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Neben der Erstattung des Nettoverdienstausfalls von bis zu 8.500 Euro kommen steuerfreie Prämien und Zuschläge hinzu.
Selbst ohne Verdienstausfall greift eine Mindestleistung, die bei diesem Beispiel immerhin 6.559,70 Euro beträgt. Auch für jüngere Reservisten ohne Führungsverantwortung sind die Bezüge attraktiv. Ein 23-jähriger Stabsunteroffizier erhält für zwei Wochen Dienst mindestens 1.476,09 Euro. Bei einem Verdienstausfall von 1.500 Euro steigt die Gesamtvergütung auf 1.828,30 Euro – ein Plus von über 20 Prozent.
Zusatzleistungen als Attraktivitätsbooster
Das Vergütungspaket geht über die reinen Geldleistungen hinaus. Reservisten erhalten laut Bundeswehr zusätzlich eine kostenlose truppenärztliche Versorgung während des Dienstes. Außerdem werden Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung übernommen, was die Gesamtattraktivität weiter steigert.
Für längere Dienste ab dem 15. Tag gibt es Zuschläge von 70 Euro täglich – bei einem 28-tägigen Einsatz summiert sich das auf zusätzliche 700 Euro. Wer eine Verpflichtungsvereinbarung unterzeichnet, erhält weitere 35 Euro pro Tag. Diese Prämien sind steuerfrei, was den Nettowert nochmals erhöht.
Wirtschaftspolitischer Balanceakt
Einerseits benötigt die Bundeswehr dringend qualifizierte Reservisten, andererseits können sich viele Unternehmen längere Ausfallzeiten ihrer Fachkräfte kaum leisten. Besonders der Mittelstand zeigt sich skeptisch. Die Kompensation des Verdienstausfalls deckt zwar die Personalkosten, nicht aber die betrieblichen Folgekosten durch fehlende Spezialisten. Für große Konzerne mit redundanten Personalstrukturen ist die Freistellung einfacher umzusetzen als für kleine und mittlere Unternehmen. Mitarbeiter als Reservisten, bringen für Arbeitgeber tiefgreifende Veränderungen mit sich: Plötzlich wird aus dem Kollegen im Büro nebenan ein potenzieller Soldat, dessen Abwesenheit eingeplant werden muss. Wer entscheidet, welche Informationen über Reservisten gespeichert werden? Und was passiert mit Mitarbeitern, die sich weigern, ihren Reservistenstatus offenzulegen?
Erfassung aller Bundeswehr-Reservisten in Unternehmen geplant
Der oberste Vertreter der deutschen Wirtschaft, DIHK-Präsidenten Peter Adrian, fordert eine systematische Erfassung aller Bundeswehr-Reservisten in deutschen Unternehmen. Dass viele Arbeitnehmer neben dem Job noch Bundeswehr-Reservisten sind, nannte Adrian „eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft“, und er versprach: „Wir als Unternehmer werden versuchen, da mitzuhelfen. Wir müssen wissen: Wer im Unternehmen ist Reservist? Wer könnte eingezogen werden? Das wird auf uns zukommen.“
Gegenüber der Regierung habe die DIHK bereits Bereitschaft signalisiert, koordinierend über die 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland mitzuwirken. Doch welche Bedrohungslage rechtfertigt es, dass Arbeitgeber künftig genau wissen sollen, welche ihrer Mitarbeiter im Ernstfall die Uniform anziehen könnten?
Fazit: Zwischen Arbeit und Militär – das Arbeitsverhältnis wird ein anderes
Neben einer astronomischen Staatsverschuldung durch das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, plant die Große Koalition unter Friedrich Merz, die Wirtschaft immer mehr in die Verteidigungspolitik einzubinden. Viele Firmen stellen in Zeiten der Wirtschaftskrise auf Rüstungsindustrie um, jetzt soll die Militarisierung in den Arbeitsalltag integriert werden. Doch sollte sich die deutsche Wirtschaft nicht auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen: Arbeitsplätze schaffen, Innovation fördern und Wohlstand sichern? Wenn Unternehmen beginnen, ihre Mitarbeiter nach militärischen Kriterien zu kategorisieren, verändert das fundamental das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und zu guter Letzt führen diese Maßnahmen zu noch mehr Bürokratie und administrativen Aufwand in den Unternehmen.

