Endet die Privatsphäre im Büro?
Selbstverständlich ist, dass ein Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine volle Privatsphäre erwarten kann, da er in dieser Zeit dem Arbeitgeber für die Erfüllung dienstlicher Verpflichtungen zur Verfügung steht. Doch diese Bindung gegenüber dem Arbeitgeber ist nicht absolut, und auch am Arbeitsplatz hat der Arbeitnehmer ein Recht auf ein gewisses Maß an Privatsphäre.
Ein interessantes Beispiel behandelte das Obergericht in Ljubljana im Fall Urteil und Beschluss I Cp 811/2021 vom 16. September 2021. Ja, das ist schon einige Jahre her und betrifft nicht Deutschland direkt. Das Ganze ist aber nach wie vor gültig, brisant geradzu – und auf die gesamte europäische Union anzuwenden. In diesem Verfahren verlangte die klagende Partei (Arbeitnehmerin), dass dem Arbeitgeber der Einblick in ihr E-Mail-Postfach untersagt wird, insbesondere das Öffnen, Lesen, Kopieren, Drucken, Weiterleiten an Dritte oder die Verarbeitung von E-Mails des Arbeitgebers von dieser Adresse.
Sie verlangte die Löschung des gesamten Inhalts des Postfachs sowie die Vernichtung aller möglichen Kopien. Zudem forderte sie vom Arbeitgeber eine Entschuldigung für die unrechtmäßigen Eingriffe in ihr E-Mail-Postfach und die unrechtmäßige Weitergabe von E-Mails an ein anderes Unternehmen. Im Verfahren beantragte sie den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Das erstinstanzliche Gericht gab dem Antrag der Arbeitnehmerin statt und erließ eine einstweilige Verfügung, mit der dem Arbeitgeber unter Androhung eines Bußgeldes von 5.000 Euro der Zugriff auf ihr E-Mail-Postfach untersagt wurde.
Der Widerspruch des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber legte Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein, und mit Beschluss vom 5. Januar 2021 gab das Gericht dem Widerspruch statt, hob die einstweilige Verfügung auf und wies den Antrag auf Sicherung durch einstweilige Verfügung zurück.
Die Arbeitnehmerin legte gegen diesen Beschluss Berufung ein. Darin wiederholte sie den Verlauf der Ereignisse im Zusammenhang mit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses als Vorstandsberaterin sowie mit der Unterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung. Kernfrage der gerichtlichen Beurteilung war, ob die Klägerin unter den Umständen des Falles berechtigterweise erwarten konnte, dass die Beklagte als ehemalige Arbeitgeberin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Zugriff mehr auf ihr dienstliches Postfach nehmen würde.
In der Vereinbarung war ihr zugesichert worden, dass sämtliche Nutzerrechte, das dienstliche Postfach und die Zugänge gelöscht würden. Daher konnte sie berechtigterweise erwarten, dass der Arbeitgeber keinen Einblick mehr in ihr Postfach nehmen würde. Der Arbeitgeber behauptete, die Klägerin hätte wissen müssen, dass die „Löschung“ lediglich bedeute, dass sie keinen Zugriff mehr habe, während der Arbeitgeber weiterhin unbeschränkten Zugriff auf das Postfach besitze.
Arbeitnehmerin verlangte Löschung, nicht nur Deaktivierung
Die ehemalige Arbeitnehmerin vertrat hingegen die Auffassung, dass die gesamte Vereinbarung und die Umstände ihrer Ausarbeitung und Unterzeichnung so zu verstehen seien, dass ihr Postfach vollständig gelöscht und nicht nur deaktiviert werde. Dies ergebe sich auch aus der berechtigten Erwartung an Privatsphäre in Bezug auf den Inhalt des Postfachs.
Sie argumentierte, dass nicht nur ihr eigener Zugang blockiert werden müsse, sondern auch der Zugang des Arbeitgebers ausdrücklich hätte vereinbart und schriftlich festgehalten werden müssen. Da dies nicht im Vertrag stehe, sei der Zugriff unzulässig. Ein Einblick des Arbeitgebers ohne Zustimmung des Arbeitnehmers sei nur ausnahmsweise zulässig – nicht jedoch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da der Arbeitnehmer dann keinerlei Kontrolle mehr habe. Die Klägerin kritisierte außerdem die Auffassung des Gerichts, wonach die Regelung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses „milder“ sei, als falsch. Der Arbeitnehmer müsse stets über die Speicherung und Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nach Ende des Arbeitsverhältnisses informiert werden und auch seine Zustimmung zur Archivierung des Postfachs geben. Das sei hier nicht geschehen.
Entscheidung des Obergerichts
Das Obergericht gab der Berufung der ehemaligen Arbeitnehmerin teilweise statt. Es stellte fest, dass das Wesen der Kommunikationsprivatsphäre im Zusammenspiel des Rechts auf Privatsphäre, der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Kommunikationsfreiheit (Art. 35 der Verfassung) liegt. Für die Ausübung des Kommunikationsrechts sei entscheidend, dass der Einzelne sich auf dessen Vertraulichkeit verlassen könne. Wesentlich sei also die Erwartung an Privatsphäre. Maßgeblich könne nicht sein, ob es sich um dienstliche oder private Kommunikation handle, da sich beides im E-Mail-Postfach vermische. Kommunikationsprivatsphäre sei kein absolut uneingeschränktes Recht, sie gelte aber auch für dienstliche Postfächer. Auch nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen könne ein Arbeitnehmer auf ein gewisses Maß an Privatsphäre vertrauen.
Allerdings seien auch die Rechte des Arbeitgebers zu berücksichtigen, da die in dienstlichem Zusammenhang gewonnenen Daten im Eigentum des Arbeitgebers stünden. Der Arbeitgeber habe die Kontrolle über Netzwerk, Rechner und Inhalte, jedoch müsse die Einsichtnahme und deren Verfahren im Voraus klar geregelt sein.
Das Obergericht bestätigte die Feststellung des Erstgerichts, dass die Archivierung von E-Mails eines ehemaligen Mitarbeiters weiterhin eine Sammlung personenbezogener Daten darstellt. Somit gelten Schutzmaßnahmen auch hier als Arbeitgeberpflicht, wobei die Bedingungen für den Zugriff auf archivierte Post milder sind als bei einem aktiven Postfach. Dies bedeute aber nicht, dass jeder auf archivierte Post zugreifen dürfe, sondern nur befugte Personen und nur mit berechtigtem Grund. Das Gericht stellte klar, dass der Inhalt von E-Mails bereits durch Art. 134 ZGB in Verbindung mit Art. 37 der Verfassung geschützt ist.
Es sei unerheblich, ob es sich bei den E-Mails um persönliche, private oder dienstliche Nachrichten handle. Der Arbeitgeber dürfe nur dann Einblick nehmen, wenn dies im Einklang mit Verfassung, Arbeitsgesetz (ZDR-1) und Datenschutzgesetz (ZVOP-1) stehe – also bei Einhaltung interner Regelungen, gesetzlicher Vorgaben oder im Rahmen eines Strafverfahrens. Das Obergericht verwies auch auf die interne Arbeitgeberregelung zum Umgang mit E-Mails nach Ende des Arbeitsverhältnisses. Darin hieß es, dass sich der Arbeitgeber mit dem ausscheidenden Mitarbeiter über den Inhalt des Postfachs einigen müsse. Im konkreten Fall wurde jedoch lediglich die „Löschung“ vereinbart, nicht aber, was mit der Archivierung des Inhalts oder einer Weiterleitung an Dritte geschehen solle. Da diese Fragen ungeklärt blieben, liege eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der ehemaligen Arbeitnehmerin vor – konkret durch unzulässige Einsichtnahmen in ihr Postfach und Weiterleitungen an Dritte.
Privatsphäre auch im E-Mail-Postfach von Ex-Mitarbeitern geschützt
Privatsphäre am Arbeitsplatz ein viel diskutiertes Thema im Arbeitsrecht. Nach ständiger Rechtsprechung gilt: Arbeitnehmer dürfen bei der dienstlichen Nutzung von E-Mails ein Mindestmaß an Privatsphäre erwarten. Arbeitgeber dürfen zwar unter bestimmten Voraussetzungen Kontrollen durchführen, müssen dies aber transparent regeln und datenschutzkonform umsetzen. Besonders kritisch ist die Archivierung von E-Mails nach Ende eines Arbeitsverhältnisses, da hier das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen ist.
Das Urteil zeigt deutlich: Selbst am Arbeitsplatz endet die Privatsphäre nicht an der Bürotür. Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie klare Regelungen zum Umgang mit dienstlichen Postfächern schaffen und die Rechte der Arbeitnehmer respektieren müssen. Arbeitnehmer wiederum sollten darauf achten, welche Absprachen im Aufhebungsvertrag oder in internen Richtlinien festgehalten sind. Unser Tipp aus Erfahrung: Eindeutige Abwesenheitsnotizen auch nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen und/oder automatische Weiterleitungen ab dem Punkt des Ausscheidens an eine Person des Vertrauens. Das Postfach selbst bleibt ein Tabu.

