Wenn Vorschriften nerven und Unternehmen an der Bürokratie verzweifeln
Die Belastung durch Bürokratie ist für Unternehmen in den letzten Jahren enorm gewachsen – bei vielen ist der Kipppunkt erreicht. Der Wunsch, die Bürokratielast zu begrenzen, wird immer lauter. Vor einem Jahr wurde von der früheren Bundesregierung zwar das vierte Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet. Doch es ist nicht sichtbar, dass dadurch der Aufwand für Unternehmen weniger geworden ist.
Wird ein neues Gesetz beschlossen, gibt es in der Begründung einen Absatz, der sich mit dem Erfüllungsaufwand beschäftigt: Welche Kosten, welcher Zeitaufwand kommt auf diejenigen zu, die von dem Gesetz betroffen sind? Doch diese Definition greife zu kurz, meinen Wissenschaftler des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn. Denn nach Ansicht der Forscher wird etwas ganz Wesentliches vernachlässigt, wenn es um die Folgen von Bürokratie für die Wirtschaft geht: die psychologischen Kosten.
Bürokratie stresst Unternehmer – mit fatalen Folgen
Bürokratie ist seit Jahren ein Top-Thema für Politik und Wirtschaft. Die kontinuierlich vorgetragenen politischen Absichtserklärungen spiegeln sich allerdings nicht im Alltag der Unternehmen wider. Die Bürokratiebelastung ist enorm und die tatsächlichen Kosten sind deutlich höher:
- 9 von 10 Unternehmen werden des BIHK-Konjunkturberichts zufolge durch staatliche Bürokratie gehemmt. 46 % sehen sich sogar in erheblichem Umfang beeinträchtigt.
- Mehr als 90 % geben in einer Untersuchung des ifM Bonn an, dass die Bürokratielast in den letzten 5 Jahren gestiegen ist
Komponenten der Bürokratiebelastung: Die Unternehmen wurden danach gefragt, wie hoch sie den Aufwand an Zeit, Kosten und persönlicher Kraft und Energie zur Umsetzung bürokratischer Vorgaben einschätzen
IfM Bonn: Bürokratie verursacht psychologische Kosten
Wenn Vorschriften nerven, dann verzweifeln Betriebe, mit psychologischen Folgen: So ergab eine Befragung des IfM von 1.034 Unternehmen, dass der Umgang mit Bürokratie bei mehr als der Hälfte Wut, Zorn und Aggression auslöst. Mehr 40 Prozent fühlen sich ohnmächtig, allein gelassen, verwirrt und spüren einen Fluchtinstinkt. Diese psychologischen Kosten wurden von der großen Mehrheit (87 Prozent) als mindestens gleich belastend bewertet wie der reine Zeit- und Kostenaufwand. Für mehr als die Hälfte der Befragten waren sie sogar stärker belastend.
Die dauerhaft hohe Beanspruchung der persönlichen Kraft und Energie durch Bürokratie kann sich in den Unternehmen – je nach persönlicher Disposition und konkretem Ausmaß der Belastung – in unterschiedlichen Emotionen äußern. Die Unternehmen wurden daher in der Befragung gebeten, Auskunft über die Gefühle zu geben, die die bürokratischen Erfordernisse bei ihnen auslösen. Aus einer Gruppe vorgegebener Emotionen waren Mehrfachnennungen möglich. Komponenten der psychologischen Kosten nach Wahrnehmungstypen:
Die psychologischen Folgekosten durch hohe Bürokratiebelastung kann mit einer Kostenabschätzung nicht beziffert werden. Deshalb hat das IfM Bonn Unternehmen zu den psychologischen Kosten befragt:
- Für 53 % der Unternehmen wiegen die psychologischen Kosten von Bürokratie schwerer, als der eigentliche Erfüllungsaufwand.
- Bei mehr als der Hälfte der befragten Unternehmen löst die Bürokratiebelastung Gefühle von Wut, Zorn und Aggression aus.
- Vermeidung und Frustration sind weitere häufige Reaktionen auf die Bürokratielast und eine schlechte Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum. Insbesondere Kleinunternehmen zeigen sich von der Bürokratie überfordert.
- 8 von 10 Unternehmen fühlen aufgrund der Bürokratiebelastung eine abnehmende Freude an ihrer unternehmerischen Tätigkeit.
Zusammenfassung: Folgen der Regulierungswut
Die Wissenschaftler warnen vor den Folgen: Unternehmen investierten nicht mehr oder nähmen wegen der komplizierten Regelungen nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen teil. Jedes vierte Unternehmen betreibe bereits „autonomen Bürokratieabbau“, schreiben die Forscher. Im Klartext: Einzelne Vorschriften werden bewusst missachtet. Als besonders gefährlich bewertet das IfM, dass mehr als drei Viertel der Unternehmer angaben, die Freude an ihrer Tätigkeit zu verlieren.
Bürokratieabbau sei in diesem Sinne zugleich Gründungs- und Wirtschaftsförderung und sollte stärkeres Augenmerk auf den Abbau der Ursachen der psychologischen Kosten legen, schreibt das IfM in einem Policy-Brief. Die Wissenschaftler schlagen drei zentrale Maßnahmen vor:
- vereinfachte und stabilere Rechtsvorschriften
- weniger Kontrollen und Regulierungen, dafür mehr Vertrauen
- mehr Angebote für effektive (persönliche) Beratungs- und Unterstützungsleistungen.
IfM: Weg von Mikro-Steuerung, hin zu verlässlichen Rahmenbedingungen
Konkret nennt das Papier noch eine durchgehende Digitalisierung und mehr Beteiligung von Unternehmern an der Gesetzgebung – etwa in Form von Praxis-Checks – als weitere wichtige Punkte. Ziel müsse es sein, eine „Ermöglichungskultur“ zu schaffen.
Diese jetzige Situation in den Unternehmen unterstreicht die Forderung und macht deutlich: Die aktuelle Regulierungsdichte produziert genau das Gegenteil. Sie bremst die Produktivität in den Betrieben, verhindert Wettbewerbsfähigkeit und blockiert Innovationen. Sie überfordert und entmutigt insbesondere kleine Unternehmen. Und besonders bizarr: Nicht nur der Mittelstand ist überfordert, auch die staatliche Seite. Der Staat schafft es nicht mehr, seine eigenen Regeln und Vorgaben aufgrund der Fülle von Vorgaben auf Einhaltung in den Betrieben zu überprüfen.
Fazit: Seit Jahren schaffen Bürokratie und Regulierung am Standort Deutschland keine Gewinne, sondern Verluste: Die wirtschaftlichen und psychologischen Kosten sind weitaus höher als der bürokratische Nutzen, die Aufwendungen sind höher als die Erträge.

