Russische Wirtschaft steckt in der Rezession: Zentralbank warnt vor Stagflation
Verlässliche Daten in Sachen Russland sind rar, doch als eine der glaubwürdigsten Quellen gilt die Bank of Finland’s Institute for Economies in Transition (BOFIT). In ihrer aktualisierten Prognose für 2025–2027 senkt sie die Erwartungen für Russland drastisch. „Das Wachstumstempo der russischen Wirtschaft hat sich in der ersten Hälfte des Jahres 2025 deutlich stärker verlangsamt als in unserer Märzprognose angenommen. Wir erwarten nun ein Wachstum von höchstens 1 Prozent für das Gesamtjahr“, heißt es in dem Bericht.
Auch Anders Olofsgård, Professor an der Stockholm School of Economics und stellvertretender Direktor des Stockholm Institute of Transition Economics, sieht deutliche Zeichen einer Abschwächung: „Die russische Wirtschaft befindet sich in einer klaren Rezession, mit sehr schwachen Wachstumsraten in den beiden ersten Quartalen 2025“, erklärt er.
Hohe Inflation, steigende Kosten und militärische Überhitzung
Die BOFIT-Analyse benennt eine Reihe struktureller Probleme:
- Kriegskosten: Der Staatshaushalt konzentriert sich fast ausschließlich auf Militär und Sicherheit. Unternehmen außerhalb des Verteidigungssektors leiden unter Arbeitskräftemangel, steigenden Steuern und hohen Zinsen.
- Investitionsstau: Private Investitionen stagnieren. Ausnahmen bilden nur kriegsbezogene Projekte.
- Schwacher Konsum: Das Privatverbrauchswachstum liegt bei kaum 1 Prozent jährlich, während Reallöhne zwar stabil bleiben, die Dynamik jedoch abnimmt.
„Die russische Wirtschaft ist heute zweigeteilt“, sagt Olofsgård. „Kriegsnahe Industrien funktionieren noch, aber fast alle anderen Branchen kämpfen mit massiven Kostensteigerungen insbesondere bei Löhnen, getrieben durch den Mangel an Arbeitskräften.“
Am 24. Oktober bestätigte auch die russische Zentralbank den wirtschaftlichen Druck. Entgegen den Erwartungen einer deutlicheren Lockerung senkte sie den Leitzins lediglich von 17 auf 16,5 Prozent und reduzierte zugleich die Wachstumsprognose für 2025 von 1–2 auf 0,5–1 Prozent. Zentralbankchefin Elvira Nabiullina warnte vor „erheblichen inflationsfördernden Risiken“. Ursache seien vor allem ein steigendes Haushaltsdefizit und höhere Treibstoffpreise.
Risikoszenario: Stagflation bedroht die russische Wirtschaft
Laut Nabiullina könnte sich die Lage noch verschärfen. „Es besteht anhaltende Unsicherheit durch geopolitische Faktoren. Alles hängt davon ab, wie sich die Situation entwickelt.“ Im Risikoszenario rechnet die Zentralbank mit einer Inflation von 10-12 Prozent im Jahr 2026 und einer negativen Wachstumsrate in 2026 und 2027. Die Leitzinsen müssten dann deutlich angehoben werden.
Ökonom Olofsgård sieht Russland bereits am Rand der Stagflation: „Die Kombination aus hoher Inflation und stagnierendem Wachstum ist bereits Realität. Die Zentralbank hat die Kontrolle über die Preisentwicklung weitgehend verloren. Solange der Krieg andauert und der Arbeitsmarkt überhitzt bleibt, werden die Inflationserwartungen hoch bleiben.“ Ein deutlich niedrigeres Zinsniveau sei daher nur bei einem dramatischen Wirtschaftseinbruch vorstellbar.
Sanktionen verschärfen den Druck
Neue US-Sanktionen gegen die Ölriesen Rosneft und Lukoil verschärfen die Lage. Ziel der Maßnahmen, so Ex-Präsident Donald Trump, sei es, „Putins Kriegskasse auszutrocknen“. „Diese Sanktionen können vor allem erhebliche Auswirkungen haben, wenn sie durch strengere Maßnahmen gegen Unternehmen in Indien und China ergänzt werden, die mit russischem Öl handeln“, erklärt Olofsgård. „Rosneft und Lukoil sind zentrale Akteure. Wenn sie keine US-Finanzkanäle mehr nutzen und keine Dollartransaktionen durchführen können, wird der Export deutlich schwieriger.“ Zwar gebe es weiterhin Umgehungswege, doch alles, was den Handel verkompliziere, mache ihn teurer und weniger profitabel: „Das bedeutet geringere Margen und schwächere Verhandlungspositionen gegenüber den wenigen Ländern, die noch bereit sind, russisches Öl zu kaufen.“
Für Deutschland ist die Lage doppelt relevant: Einerseits zeigt sie, dass die russische Wirtschaft trotz Umgehungskanälen in ernste Schwierigkeiten gerät, was den Erfolg westlicher Sanktionen unterstreicht. Andererseits warnen deutsche Exporteure vor sekundären Effekten: Der Einbruch russischer Nachfrage trifft Zulieferer in Maschinenbau, Chemie und Logistik, die teils über Drittstaaten involviert sind. Die anhaltend hohe Inflation in Russland drückt zudem auf die globalen Energiepreise, die über Zwischenmärkte wie China und Indien auch in Europa spürbar bleiben.
Die aktuell wirtschaftliche Schwäche Moskaus verschiebt das geopolitische Gleichgewicht. Eine stagflationäre russische Wirtschaft könnte Putins Handlungsspielraum einschränken, zugleich aber die Abhängigkeit von China vertiefen. Während Peking vergünstigtes Öl bezieht und russische Technologie exportiert, verfestigt sich eine asymmetrische Allianz, in der Russland zum Rohstoffanhängsel der chinesischen Industrie wird. Das wiederum schwächt langfristig Moskaus Autonomie und verändert die Dynamik in Eurasien zugunsten Pekings.
Für den Westen eröffnet das Chancen, aber auch Risiken: Ein wirtschaftlich geschwächtes Russland bleibt unberechenbar.



