Russische Drohkulisse: Medwedews Worte verstärken die Angst
Die südliche Region Südkarelien, näher an St. Petersburg gelegen als an Helsinki, hat stets im Schatten großer Politik gelebt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erschütterte die Menschen tief, doch immer häufiger stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? „Vor einem Jahr hätte ich gesagt, ich habe keine Angst. Jetzt sind meine Beine etwas weich geworden“, sagt der 73-jährige Jarmo Ikävalko, Betreiber eines Veteranenmuseums im Grenzstädtchen Imatra.
Die Nervosität wächst auch wegen der jüngsten Äußerungen des früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, der bei einem Besuch im nahegelegenen Swetogorsk in einer Tonlage, die der gegen die Ukraine ähnelt, Drohungen gegen Finnland aussprach. Experten rechnen zwar nicht mit einem direkten Angriff Russlands auf Finnland. Doch Moskau setzt zunehmend auf hybride Methoden:
- gesteuerte Migrationsbewegungen
- Vorfälle mit Drohnen
- eine aggressive historische und politische Rhetorik
„Die Ostsee ist heute praktisch von der NATO umschlossen. Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass Russland nicht reagiert“, sagt Ikävalko.
Grenzregion bricht wirtschaftlich ein, Arbeitslosigkeit explodiert
Finnland besitzt die längste Landgrenze zu Russland aller NATO-Staaten mit mehr als 1.300 Kilometern. Das ist etwa die Hälfte der gesamten Ostflanke des Bündnisses.
Für Imatra war die Grenze einst ein Motor des Wachstums. Russisches Holz versorgte die Papierindustrie und Besucher aus Russland ließen in Geschäften, Restaurants sowie Spas viel Geld. Lastwagen stauten sich kilometerlang und Winterjacken waren oft schon im August ausverkauft. Doch mit der Grenzschließung 2023 und Russlands Versuch, Migranten gezielt zur finnischen Grenze zu lenken, brach der Grenzverkehr vollständig zusammen.
Die wirtschaftlichen Folgen sind dramatisch:
- Die Region verliert rund eine Million Euro pro Tag an Tourismuseinnahmen
- Immer mehr Geschäfte schließen
- Hotels und Kurzentren kämpfen ums Überleben
- Industrieunternehmen wie UPM, Stora Enso und Metsä Group reduzierten die Belegschaften
- In Imatra liegt die Arbeitslosigkeit bei 15 Prozent, deutlich über dem Landesdurchschnitt
Besonders schwierig ist die Lage für junge Menschen. Viele zieht es zum Studieren oder Arbeiten in größere Städte, denn in Südkarelien fehlen Perspektiven. Die Stadt arbeitet dennoch an einer neuen Strategie: Naturtourismus, grüne Technologien, Wasserstoffprojekte. Die Fabrik der Nordc Nano Group entsteht, zudem hofft die Region auf den Status einer Sonderwirtschaftszone. „Das russische Geld war leicht verdient, aber es hat uns eine überdimensionierte Dienstleistungswirtschaft hinterlassen. Diese Zeit ist vorbei“, sagt Jaakko Jäppinen, Leiter der Standortförderung.
Trotz aller Unsicherheit glauben viele noch an die Zukunft des Ortes. Ein lokaler Tourismusunternehmer sagt: „Die Welt steht einen Schritt vor dem Dritten Weltkrieg. So fühlt es sich für mich an. Aber Imatra bleibt für mich der beste Ort zum Leben und ich werde weiter investieren.“
NATO-Ostflanke unter Druck
Für Deutschland ist Finnlands Lage aus zwei Gründen zentral: Sicherheitspolitisch steuert Finnland nun die Hälfte der NATO-Ostgrenze: ein sicherheitspolitischer Umbruch, der Berlin direkt betrifft. Aber auch wirtschaftlich zeigt Finnland, wie schnell gesamte Regionen kollabieren, wenn der Handel mit Russland wegbricht. Ähnliche Effekte spüren deutsche Ostseehäfen, Holzimporteure und Logistikunternehmen, deren Geschäftsmodelle einst eng mit Russland verbunden waren. Darüber hinaus verstärkt Finnlands Abschottung die strategische Bedeutung deutscher Infrastruktur in der Ostsee, von LNG-Terminals über Marinepräsenz bis zu kritischen Datenleitungen.
Der Fall Südkarelien zeigt exemplarisch, wie hybride Konflikte heute funktionieren. Russland setzt auf eine Mischung aus wirtschaftlichem Druck, Desinformation, Migrationslenkung und gezielter Einschüchterung. Finnland wird damit (neben Polen und dem Baltikum) zu einem Testfeld russischer Einflussoperationen.
Gleichzeitig verdeutlicht die Lage, dass die Erweiterung der NATO um Finnland und Schweden den russischen Handlungsspielraum in der Ostsee erheblich reduziert. Moskau reagiert mit asymmetrischen Methoden, weil klassische Machtprojektion kaum noch möglich ist. Für Europa bedeutet das: Die Ostflanke bleibt ein kritischer geopolitischer Brennpunkt, an dem Wirtschaft, Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität untrennbar miteinander verbunden sind.
Imatra und Südkarelien stehen beispielhaft für die neue geopolitische Realität Europas: Staaten an der Ostflanke müssen gleichzeitig wirtschaftliche Resilienz und militärische Abwehrfähigkeit stärken. Ob die Ruhe zurückkehrt, ist offen. Sicher ist nur: Die Zeiten der offenen Grenze und des selbstverständlichen Wohlstands an Finnlands Ostgrenze sind vorbei.

