Deutschland muss mehr Neues wagen: Wagniskapital als Jobmotor
Deutschland muss mutiger werden und mehr in neue Vorhaben investieren. Damit das gelingt, braucht es zusätzliches privates Kapital. "Deutschland muss sich neue Wirtschaftszweige erschließen. Das geht nur, wenn auch private Investoren hierzulande mehr investieren. Für junge innovative Unternehmen ist dabei Wagniskapital wichtig, um ihr Wachstum zu beschleunigen", sagt Dr. Dirk Schumacher, Chefvolkswirt der KfW.
Schumacher stellte am Donnerstag in einem Pressegespräch eine umfassende Studie von KfW Research zum Industriestandort Deutschland vor, ergänzt um eine Kurzstudie zu Start-ups hierzulande. Ein Resultat: Wagniskapital (Venture Capital, VC) hebt die Beschäftigung in jungen innovativen Firmen spürbar an. Deutsche Start-ups ohne Wagniskapital bauen in den ersten neun Jahren im Durchschnitt etwa 1,2 Beschäftigte pro Jahr auf. Start-ups, die mindestens einmal durch VC finanziert wurden, wachsen dagegen um durchschnittlich 2,5 Beschäftigte pro Jahr. "Normale" Mittelständler, die nicht auf starkes Wachstum ausgerichtet sind, legen im Mittelstand in Deutschland im Schnitt nur um 0,6 Beschäftigte im Jahr zu. VC-finanzierte Start-ups wachsen beim Personal damit im Durchschnitt mehr als viermal so schnell wie der Mittelstand in Deutschland und mehr als doppelt so schnell wie nicht VC-finanzierte Start-ups.
Warum der Druck auf die Industrie zunimmt
Für Investoren bietet der deutsche Markt jedoch oft keine optimalen Bedingungen, um später wieder auszusteigen. Deshalb führen die "Exit-Wege" vieler erfolgreicher deutscher Start-ups ins Ausland. Seit 2005 wurden insgesamt 986 Transaktionen erfasst, bei denen VC-Investoren aus ihren Beteiligungen in Deutschland ausgestiegen sind. Der mit weitem Abstand wichtigste Exit-Kanal war die Übernahme durch ein anderes Unternehmen: 899 Transaktionen entfielen darauf, und nur bei 43 Prozent davon war der Käufer in Deutschland beheimatet.
"Die regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen für Start-ups sollten in Deutschland so verbessert werden, dass innovative Unternehmen nicht ins Ausland abwandern. Der Gründungs- und Innovationsstandort Deutschland muss stärker gefördert werden", sagt Dr. Dirk Schumacher.
Studie von KfW-Research: Leitlinien zur Stärkung des Industriestandort Deutschland
In der Studie zum Industriestandort Deutschland legen die Autoren von KfW Research weitere Vorschläge vor, wie sich die Wirtschaftskraft des Landes stärken ließe. Alle Daten sprechen dafür, dass die industrielle Wertschöpfung in Deutschland zunächst im Trend weiter schrumpfen wird. Dabei durchläuft die Industrie nicht nur einen normalen Anpassungsprozess, wie es ihn früher bereits gab. Vielmehr sorgen etliche geopolitische Faktoren dafür, dass die Abwärtsdynamik deutlich verstärkt wird.
"Das Schicksal der deutschen Industrie hängt, mehr als in der Vergangenheit, von Faktoren ab, die sich der direkten Einflussnahme der Unternehmen und der Bundesregierung entziehen. Die Schlussfolgerung daraus sollte aber nicht Resignation oder Untätigkeit sein. Deutschland muss alle Anstrengungen unternehmen, an den Stellschrauben zu drehen, die wir selbst kontrollieren können", sagt Dr. Dirk Schumacher.
Ohne günstige Energie kein Industriestandort Deutschland
KfW Research kommt dabei zu folgenden Haupterkenntnissen, zusätzlich zu der Notwendigkeit, den Gründungsstandort Deutschland zu stärken und den Industriestandort Deutschland dauerhaft zu festigen:
Deutschland muss seiner Industrie eine Atempause verschaffen: Der Gegenwind, dem sich die deutsche Industrie ausgesetzt sieht, basiert auch stark auf staatlichen wirtschaftspolitischen Interventionen in anderen Ländern, allen zuvorderst, aber nicht alleine in China. Mit einem reinen "Laissez-faire" gibt Deutschland implizit den wirtschaftspolitischen Entscheidungen anderer Länder Gestaltungsmacht über die deutsche Industrie. "Solange China an seiner merkantilistischen Politik festhält und die USA eine erratische America-First-Politik verfolgen, sollten Zölle Teil des wirtschaftspolitischen Werkzeugkastens sein", sagt Dr. Dirk Schumacher. Zudem muss Deutschland seine starken wirtschaftlichen Abhängigkeiten gegenüber einzelnen Ländern reduzieren. "Die Sicherstellung der Lieferketten etwa für wichtige Rohstoffe ist sowohl eine staatliche als selbstverständlich auch eine unternehmerische Aufgabe. Beide Akteu re sind hier gefragt", sagt Dr. Dirk Schumacher. Damit bleibt der Industriestandort Deutschland auch in Krisenzeiten handlungsfähig.
Traditionelle Standortfaktoren sollten wieder in den Fokus rücken: Hohe Arbeitskosten, ein in Teilen wenig flexibler Arbeitsmarkt, die überbordende Bürokratie und vor allem eine im internationalen Vergleich sehr hohe Steuerlast der Unternehmen belasten Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit enorm. Hier gilt es, wirtschaftspolitisch anzusetzen. "Wie stark die Reformanstrengungen an dieser Stelle sein müssen, hängt auch immer von dem Tempo ab, das andere Länder vorgeben. Und zumindest das Tempo von China und den USA ist sehr hoch!", sagt Dr. Dirk Schumacher. Solche Reformen sind für den Industriestandort Deutschland ebenso zentral wie für den Mittelstand in Deutschland.
Die Energiekosten müssen sinken: Deutschland leidet an deutlich zu hohen Energiekosten und einer mangelnden Energieinfrastruktur. Ein weiterer Ausbau dieser Energieinfrastruktur, insbesondere der erneuerbaren Energien, kann mittelfristig zu Erleichterung in Form sinkender Energiepreise führen. Vorerst kann eine staatliche Subventionierung der Energiepreise geboten sein. "Auf diese Weise erhöhen wir unsere Chancen, energieintensive Industrieunternehmen in Deutschland zu halten. Wenn gleichzeitig die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, ist diese Subvention dann hoffentlich nur eine vorübergehende", sagt Dr. Dirk Schumacher. Auch das ist ein wichtiger Baustein, um den Industriestandort Deutschland zukunftsfest zu machen.



