Politik

EU und Russland: Steuerzahler werden zur Finanzierung des Krieges gezwungen

Die Regierungen in der EU und in Russland mögen zerstritten sein. In einem Punkt verfolgen sie die exakt selbe Strategie: Sie greifen ihren Steuerzahlern in die Tasche, damit diese den Schaden bezahlen, den der neue Handelskrieg in der Wirtschaft auslöst. In Europa bekommen die Bauern mindestens 400 Millionen Euro. In Russland wollen zwei Großbanken 4 Milliarden Dollar. Über entsprechende Diäten-Kürzungen für die kriegswilligen Regierungen wurde weder hier noch dort bisher diskutiert.
09.08.2014 01:06
Lesezeit: 3 min

Die von den Sanktionen betroffenen Unternehmen fordern von ihren Regierungen, dass sie für ihre Verluste entschädigt werden. Die Bürger in Russland und in der EU müssen sich also nicht nur auf höhere Preise einstellen, sondern auch auf massive Hilfsgelder an geschädigte Unternehmen. Auf beiden Seiten müssen die Bürger für den Kriegs-Irrsinn der Politiker bezahlen.

Das russische Import-Verbot für Lebensmittel ist ein harter Schlag für die Landwirtschaft in der EU. Im vergangenen Jahr exportierte die EU landwirtschaftliche Produkte im Wert von 11,9 Milliarden Euro nach Russland, so die Financial Times. Das entspricht 42 Prozent der russischen Lebensmittelimporte. Die EU führt vor allem Milchprodukte und Schweinefleisch nach Russland aus. Zudem liefert sie 46 Prozent ihre Apfel- und Birnenexporte nach Russland.

Die USA sind weitaus weniger von dem russischen Embargo betroffen. Sie exportierten im vergangenen Jahr lediglich landwirtschaftliche Produkte im Umfang von 1,2 Milliarden Dollar nach Russland. Das ist nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums weniger als 1 Prozent der landwirtschaftlichen Exporte der USA.

Die EU ist offenbar dazu bereit, die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe in den Mitgliedstaaten zu unterstützen. Landwirtschafts-Kommissar Dacian Ciolos wird in der kommenden Woche entsprechende Gespräche führen. Die Kosten für den Steuerzahler sind unabsehbar.

Zwar hat die EU im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik Krisenreserven im Umfang von 420 Millionen Euro, die zur Unterstützung der Bauern genutzt werden könnten. Doch dieses Geld reicht noch nicht einmal aus, um die Schadenersatz-Forderungen der polnischen Apfel-Bauern zu erfüllen (mehr hier).

Doch die Forderungen nach Entschädigung für die Folgen der Sanktionen kommen aus allen Richtungen. Finnlands Hersteller von Milchprodukten sind schwer getroffen. Norwegens Fisch-Industrie haben einen ihrer wichtigsten Exportmärkte verloren.

Zudem wird das russische Embargo die niederländischen Betriebe treffen, die auf die großen Käsemärkte in China und Russland abzielen. Milchprodukte sind ein besonders anfälliger Sektor mit sehr schmalen Gewinnmargen, sagt Sieta van Keimpema, die Vizepräsidentin des European Milk Board, einer europaweiten Vereinigung mehrerer Landesorganisationen von Milchviehhaltern.

Einige EU-Hersteller werden möglicherweise versuchen, die russischen Sanktionen zu umgehen, indem sie ihre Produkte durch die Schweiz exportieren. Diese ist nicht von den russischen Sanktionen betroffen, weil sie ihrerseits die Sanktionen des Westens gegen Russland nicht mitgetragen hatte (mehr hier).

Auch die Türkei ist nicht von den russischen Sanktionen betroffen. Finanzminister Mehmet Simsek erwartet nun einen Impuls für die türkische Landwirtschaft. Diese wird nun voraussichtlich mehr Obst und Gemüse nach Russland exportieren. Entsprechende Verhandlungen laufen bereits. Simek kommentierte dies über Twitter: „Geopolitik – eine gute Nachricht.“

Doch die russischen Sanktionen schaden nicht nur der Wirtschaft und den Steuerzahlern in der EU. Wenn Russland nun teurere Lebensmittel aus anderen Teilen der Welt importiert, zahlen die russischen Bürger die höheren Preise. Möglicherweise muss die Regierung mit Hilfsprogrammen für Hungernde einspringen, welche aber letztlich auch von den Steuerzahlern zu finanzieren sind.

Es ist fraglich, ob die starke Unterstützung der Russen für ihren Präsidenten Wladimir Putin anhält, wenn sie nun aufgrund der Sanktionen deutlich mehr für Lebensmittel zahlen müssen. Bisher war die Mehrheit der Russen mit Putins Politik einverstanden. Nach Angaben des unabhängigen Meinungsinstituts Levada ist die Zustimmung der Russen für ihren Präsidenten in den letzten sechs Monaten auf 87 Prozent angestiegen. Das ist so hoch wie nie zuvor.

Doch nicht nur die höheren Lebensmittelpreise werden in Russland zum Problem. Die Gazprombank und die Rosselkhozbank haben staatliche Hilfen im Umfang von fast 4 Milliarden Dollar beantragt, berichtet die Moscow Times. Dies sind Russlands drittgrößte und fünftgrößte Bank. Sie wurden im Juli von den westlichen Kapitalmärkten ausgeschlossen.

Die Gazprombank hat angeboten, Vorzugsaktien im Umfang von1,1 Milliarden Dollar an Russlands Nationalen Wohlfahrts-Fonds zu verkaufen, der mit Einnahmen aus Ölverkäufen gefüllt ist. Die Gazprombank hat keinen Anspruch auf staatliche Hilfen, weil sie nicht direkt dem Staat gehört. Der Staat ist nur über den Gasriesen Gazprom an der Bank beteiligt, der 35,5 der Aktien hält.

Die Bank begründet ihr Ersuchen um staatliche Hilfen damit, dass sie durch die westlichen Sanktionen schwer getroffen ist. Diese Sanktionen seien ein Ergebnis der Handlungen der russischen Regierung.

Die Rosselkhozbank, die russische Landwirtschaftsbank, will 2,8 Milliarden Dollar vom Staat. Ihre ausländischen Kredite haben einen Umfang von 8,7 Milliarden Dollar. Das sind rund 20 Prozent ihrer Verbindlichkeiten – der höchste Wert unter den russischen Staatsbanken, die den Bankensektor des Landes dominieren.

Die Sanktionen der EU verbieten es vier der fünf größten russischen Banken – Sberbank, Gazprombank, Rosselkhozbank und VTB – und der staatlichen Entwicklungsbank VEB den Kauf oder Verkauf neuer Anleihen und Aktien mit einer Laufzeit von mehr als 90 Tagen in der EU. Bis auf Sberbank beinhalten die US-Sanktionen dieselben Banken.

Die russische Zentralbank hatte Ende Juli versprochen, sanktionierte Banken wenn nötig zu unterstützen, nachdem die EU und die USA ihre bisher härtesten Sanktionen gegen Russland seit dem Beginn der Ukraine-Krise verhängt hatten. Die russischen Steuerzahler werden für die Verluste der Banken aufkommen müssen, die durch die Sanktionen verursachten wurden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Bundestagswahl: FDP und BSW laut Hochrechnung im Bundestag - droht erneut eine Dreierkoalition?
23.02.2025

CDU und CSU gehen als klare Sieger aus der Bundestagswahl hervor – für die SPD ist es das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Die...

DWN
Politik
Politik Merz triumphiert, Scholz geschwächt: Die Konsequenzen der Wahl
23.02.2025

Deutschland hat entschieden, und es gibt einen klaren Gewinner. Dennoch dürfte die Regierungsbildung herausfordernd werden, da die Zeit...

DWN
Politik
Politik Wie es nach der Bundestagswahl weitergeht
23.02.2025

Nach der Bundestagswahl beginnt die nächste Phase: die Regierungsbildung. Dabei sind zahlreiche Schritte erforderlich, die sich über...

DWN
Politik
Politik Wahlrecht 2025: Kleinerer Bundestag, größere Auswirkungen – Das ändert sich für Wähler und Parteien
23.02.2025

Am Wahltag selbst werden die meisten Wählerinnen und Wähler keinen Unterschied bemerken. Doch hinter den Kulissen verändert sich...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Schweizer Infrastrukturexperte: "Deutschland war lange der Wirtschaftsmotor Europas – das muss wieder so sein"
23.02.2025

Deutschland kämpft mit maroden Brücken, Straßen, Schienen, Strom- und Kommunikationsnetzen. Der Schweizer Infrastrukturexperte Alexander...

DWN
Finanzen
Finanzen ROI: Return on Investment und warum eine hohe Kapitalrendite wichtig ist
23.02.2025

Eine hohe Kapitalrendite entscheidet über den finanziellen Erfolg von Unternehmen und Investoren. Erfahren Sie, warum sie so wichtig ist...

DWN
Finanzen
Finanzen BlackRock: Die unsichtbare Macht eines Finanzgiganten
23.02.2025

BlackRock ist der weltweit größte Vermögensverwalter – doch wie groß ist sein Einfluss wirklich? Buchautor Werner Rügemer erklärt,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft in der Krise – Welche Pläne haben die Parteien für Deutschland?
23.02.2025

Deutschland steckt in der Wirtschaftskrise – und die Bundestagswahl steht bevor. Wie wollen die Parteien Wachstum fördern, Steuern...