Politik

Italien am Scheideweg: Diktat der Troika, Schuldenschnitt oder Rückkehr zur Lira

Die wirtschaftlichen Zahlen in Italien sind ein Desaster. Das Land wird um massive Veränderungen nicht herumkommen. Ein bekannter Publizist ruft bereits nach der Troika. Der IWF fordert eine Umschuldung. Und die Briten empfehlen den Italienern die Rückkehr zur Lira, um endlich abwerten zu können.
16.08.2014 00:03
Lesezeit: 2 min

Wenige Tage nach der jüngsten Ratssitzung hat sich EZB-Chef Mario Draghi mit dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi getroffen. Der Premier bestätigte Journalisten, dass er seinen Landsmann am 12. August getroffen habe. Die Zeitung Corriere dell'Umbria hatte berichtet, die beiden Männer hätten sich in einer Kleinstadt nördlich von Rom getroffen. Dort habe der EZB-Chef ein Ferienhaus.

Draghi hatte nach dem Zinsbeschluss der EZB sein Heimatland offen kritisiert: Mangelnde Reformen am Arbeitsmarkt sowie überbordende Bürokratie und ein ineffizientes Gerichtswesen hemmten das Investitionsklima in Italien. Zudem ist die Jugendarbeitslosigkeit auf einen dramatischen Stand (mehr dazu hier).

Die Staatsverschuldung Italiens erreichte im Juni einen neuen Rekordwert von mehr als zwei Billionen Euro (mehr dazu hier). Seit sechs Jahren kämpft Italien mit einem Konjunkturrückgang. Das Land ist im zweiten Quartal zurück in die Rezession gerutscht. Das BIP sank um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal (mehr dazu hier). Die Produktion ist mittlerweile auf einem Niveau wie im Jahr 1980.

Die Schuldenquote kann bis Ende des Jahres 140 Prozent erreichen. Keiner wisse, wie die Märkte reagieren werden, fürchten Experten. Die Rezession frisst die Steuereinnahmen so stark auf, dass Renzi Schnitte von 20 bis 25 Milliarden Euro machen müsste. Die Aufgabe scheint beinahe hoffnungslos. Eine Studie des Think Tanks Bruegel hat ausgerechnet, dass Italien einen Primärüberschuss von 5 Prozent des BIP erreichen müsste, um die Schulden bei 2 Prozent der Inflation zu stabilisieren, berichtet der Telegraph.

Diese Primärüberschüsse sind unmöglich zu erreichen, so Ashoka Mody, der bis vor Kurzem beim IWF für die Rettungspakete für Europa verantwortlich war. Die italienischen Behörden sollten „clevere Anwälte, die auf Staatsschulden spezialisiert sind, konsultieren, um so eine geordnete Umschuldung zu gewährleisten“, zitiert ihn der Telegraph. Dies wäre keine einmalige Katastrophe, da es Möglichkeiten gäbe, die Verpflichtungen über einen längeren Zeitraum auszudehnen. „Es gibt keinen Anlass, darauf zu warten, bis die Verschuldung bei 150 Prozent liegt. Sie sollten damit sofort anfangen“.

Der Rückfall der vergangenen Monate habe jegliche Illusionen getötet, so Eugenio Scalfari, ehemaliger Abgeordneter für die Sozialisten und Gründer der Zeitung La Rebulicca. Er rät Renzi sogar, sich für die Rettung vorzubereiten: „Ich muss die bittere Wahrheit aussprechen, da wir sie alle bereits sehen, als Realität vor unseren Augen. Möglicherweise soll sich Italien selbst unter die Kontrolle der Troika begeben“.

Der Vorschlag hieße, dass in Italien die Demokratie ausgesetzt werden soll, um den Euro zu retten.

Seit seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion geht es Italien wirtschaftlich schlechter. Da muss noch keine direkte Kausalität dahinterstehen. Doch die Währungsunion könnte eine sehr destruktive Dynamik im Land ausgelöst haben.

Vor dem Euro hatte Italien ein Handelsüberschuss gegenüber Deutschland. Die Industrie im Norden galt als starker Konkurrent, wann immer die Lira schwach war.

Antonio Guglielmi von der Mediobanca sagt, dass sich Italien vor der Festsetzung der Lira gegenüber der D-Mark im Jahr 1996 gut behauptet habe. Erst danach setzte eine „negative Produktionsspirale“ ein. In einem vernichtenden Bericht zeigt er auf, wie das Produktivitätswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Italiens in den vergangenen 40 Jahren jedes Mal ins Stocken gerieten, wenn die Lira an die D-Mark gekoppelt wurde. Mit jeder Abwertung erfolgte allerding ein Aufschwung.

Momentan ist Italien ist im Vergleich zu Deutschland um 30 Prozent überbewertet. Der Ruf nach Reformen ist laut, allerdings ist unklar in welche Richtung diese gehen sollen. Somit ist das Land auf sich alleine gestellt.

Einige Stimmen werden laut, die offen mit dem Gedanken spielen, dass Italien seine Souveränität nur dann wiedererlange, wenn es seine Schulden in Lira umwandeln könne.

Der italienische Staat kann seine Rechnungen bei den Unternehmen des Landes offenbar bereits jetzt nicht mehr bezahlen. Viele von der Regierung geprellte Unternehmen mussten bereits Angestellte entlassen, Standorte schließen oder Konkurs anmelden(mehr dazu hier).

Im Jahr 2013 schlossen in Italien jeden Tag rund 54 Unternehmen. Besonders tragisch: Die Zahl der Suizide von Unternehmern in kleinen und mittleren Betrieben steigt dramatisch. Die meisten verzweifeln wegen ihrer Schulden (mehr dazu hier).

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Osterleckereien 2025: Warum Schokolade, Butter & Co. teurer sind denn je
19.04.2025

Ostern 2025 wird für Verbraucher teurer – besonders bei traditionellen Produkten wie Schokohasen, gefärbten Eiern und selbstgebackenem...

DWN
Immobilien
Immobilien Gewerbeimmobilien als Kapitalanlage? Lage matters!
19.04.2025

Gewerbeimmobilien bieten nach wie vor interessante Renditechancen für ausgefuchste Marktkenner. Wer klug investiert, kann von stabilen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Wettbewerbskompass: Kurskorrektur bei Technologiewettbewerb dringend nötig!
19.04.2025

Europa steht vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen: Der globale Technologiewettbewerb spitzt sich zu, geopolitische Krisen...

DWN
Finanzen
Finanzen Digitalisierung im Bürgeramt: Passfotos ab Mai nur noch digital erlaubt
19.04.2025

Ab dem 1. Mai sind in Deutschland im Grunde nur noch digitale Passfotos erlaubt. Das neue Verfahren soll Fälschungen vorbeugen. Wer denkt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Italienische Luxusunternehmen: Prada übernimmt und trägt nun auch Versace
19.04.2025

Über einen möglichen Kauf war seit mehreren Monaten spekuliert worden: Der Luxuskonzern Prada schluckt den Konkurrenten Versace. Damit...

DWN
Technologie
Technologie „Mein alter Job als Softwareentwickler ist weg“ – Jentic-Chef über selbstprogrammierende KI-Agenten
19.04.2025

Der irische Tech-Unternehmer Sean Blanchfield ist überzeugt, dass KI-Agenten menschliche Programmierer und Softwareentwickler zunehmend...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt „We don’t believe in Outsourcing“ – Klöber zeigt, wie Produktion in Deutschland wieder gelingt
18.04.2025

Sitzen, aber richtig: Der Büromöbelhersteller aus Owingen setzt auf Inhouse-Produktion, recycelte Materialien und digitale Innovation –...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 und die Illusion von sicheren, langfristigen Renditen
18.04.2025

Der amerikanische Aktienmarkt befindet sich in turbulenten Zeiten. Angesichts der unvorhersehbaren Handelspolitik von Präsident Donald...