Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Als Leiter des Schweizer Instituts für Friedensforschung und Energie (SIPER) beschäftigen Sie sich mit der Knappheit von Rohstoffen und den daraus resultierenden Konflikten. Würden Sie sagen, dass sich weltweit Konflikte um Ressourcen in den letzten zehn Jahren verschärft haben?
Daniele Ganser: Ja, für mich ist das ganz klar ersichtlich. 2003 der Einmarsch in das Erdöl-Land Irak, 2011 der Angriff auf das OPEC-Land Libyen und aktuell der Konflikt in der Ukraine, ein wichtiges Transitland für Erdgas. Dabei wird Putin natürlich als neuer Feind dämonisiert und auch Russland ist ein großer Erdöl und Erdgas-Produzent. Also ich denke, man darf die Ressourcen-Dimension nicht weglassen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In ihrem aktuellen Buch „Europa im Erdölrausch“ führen Sie die Peak-Oil-These als einen ausschlaggebenden Grund für die steigende Zahl der Energiekonflikte an. Wie erklären Sie, dass der Ölpreis trotz der Verknappung des Erdöls und einer wachsenden zahl von Krisenherden so tief steht?
Daniele Ganser: Tief ist immer relativ. Zurzeit liegt der Erdölpreis zwischen 90 und 100 Dollar. Und in den letzten 15 Jahren haben wir alles erlebt. Wir hatten 1999 einen Erdölpreis von 10 Dollar. Dann ging er rauf auf 30, 40, 50 Dollar und so weiter. Im Sommer 2008 war die Spitze mit 140 Dollar erreicht. Dann ist er wieder auf 40 Dollar gefallen und danach wieder auf 100 Dollar angestiegen. Das heißt, wir leben einfach in einer Zeit sehr volatiler Erdölpreise. Und in der letzten Zeit hatten wir einen Jahresdurchschnittspreis von um die 100 Dollar. Und das ist eindeutig ein sehr hoher Preis, wenn Sie das mit den fünfziger und sechziger Jahren vergleichen, denn da lag der Preis bei zwei Dollar. Deshalb rate ich immer, nicht nur die letzten Monate vom Erdölpreis im Kopf zu behalten, sondern die letzten Jahre. Und dann sieht man: Wir sind nicht in einer Tiefpreiszone, sondern in einer volatilen Hochpreiszone. Und dies aus zwei Gründen: Erstens: Der Dollar verliert an Wert, weshalb die OPEC Staaten mehr Dollars für ihren wertvollen Rohstoff haben. Und zweitens, weil die Zeit des billigen Erdöls, das einfach gefördert werden kann, vorbei ist.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Internationale Energie Behörde (IEA) hat bereits 2008 den sogenannten „Peak-Oil“ verkündet. Was bedeutet das für die Weltwirtschaft?
Daniele Ganser: Der Peak-Oil – also das Fördermaximum – ist bei der wichtigsten Erdölsorte erreicht, nämlich beim sogenannten konventionellen Erdöl. Da stagniert die Produktion bei 75 Millionen Fass pro Tag. Die Weltwirtschaft benötigt aber zurzeit 90 Millionen Fass pro Tag. Die fehlenden 15 Millionen Fass bestehen aus Erdölsorten, die noch ausgeweitet werden können: Ölsande, Fracking, Tiefseeöl, Polaröl und Gaskondensate, die aus der Gasförderung stammen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In den USA haben Fracking-Firmen bereits ernsthafte wirtschaftliche Probleme. Sollte der Erdölpreis weiter fallen, steht Fracking dann endgültig vor dem Aus?
Daniele Ganser: Fracking ist vorallem dann für die Firmen interessant, wenn der Erdölpreis hoch ist. Es ist aber noch umstritten wie tief er fallen muss, um das Fracking - beispielsweise in der Bakken-Formation – unrentabel zu machen. Das kommt dann auf das jeweilige Feld an. Im Moment scheint der Preis noch hoch genug für das Fracking zu sein. Aber die Fracking-Firmen stehen vor einem anderen Problem: Sie haben mit den sogenannten „sweet spots“ - also den einfachen Feldern – angefangen. Dort hatten sie in den ersten Jahren auch eine gute Produktion. Dann hat man die Förderraten der „sweet spots“ für Prognosen anderer Gebiete angesetzt. Und da zeigt sich jetzt, dass das falsch war. Das ist als wenn sie die Leistungen des besten Schülers einer Klasse nehmen und aus diesen Daten den Durchschnitt der Klasse der nächsten Jahre ableiten. Das ist nicht seriös. Tatsächlich gibt es viele schwierige Felder, in denen die Produktion schnell abfällt. Und das bedeutet wiederum, dass die Bohrungen teurer werden. Wenn dann der Erdölpreis weiter runterkommt, dann drückt das die wirtschaftlichen Aussichten der Firmen noch mehr. Das ist beim Gaspreis schon passiert, der in den USA in den letzten Jahren stark gesunken ist und somit das Fracking von Erdgas stark erschwert hat. Der amerikanische Geologe Arthur Berman hat daher richtig gesagt, dass Fracking keine Revolution, sondern eine Abschiedsfeier ist.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die USA sehen sich als künftigen Erdöl-Exporteur. Ist die Vision von der Energie-Autarkie der Amerikaner realistisch?
Daniele Ganser: Ich glaube nicht an diese These. Wenn man die Zahlen des BP Statistical Review nimmt, dann sieht man, dass die USA pro Tag 19 Millionen Fass verbrauchen, aber nur 11 Millionen Fass produzieren. Und da sind sowohl Fracking als auch die NGL Gaskondensate aus der Gasförderung miteingerechnet. Die USA haben also einen Importbedarf von 8 Millionen Fass jeden Tag. Das ist eine riesige Menge. Das Land ist hochgradig erdölsüchtig und von Unabhängigkeit kann einfach keine Rede sein, egal was die Wall Street schreibt, um die Fracking-Euphorie zu schüren. Mit Fracking bekommt man diese Lücke von 8 Millionen Fass nicht geschlossen. Die USA haben schon 1970 beim konventionellen Erdöl das Fördermaximum erreicht und haben dort seit 40 Jahren eine einbrechende Produktion. Wenn sie beispielsweise nach Alaska schauen, dann gibt es dort ein großes Erölfeld namens Prudhoe Bay und die Produktion dort bricht ein. Die US-Medien haben immer nur über Fracking berichtet und die einbrechenden Förderraten beim konventionellen Erdöl ausgeblendet. Allerdings muss man beide addieren und sehen, was Netto übrig bleibt. Und dann sieht es meiner Meinung nach so aus, dass die USA nie mehr zu einem Erdölexporteur werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In einem früheren Interview haben wir bereits über die geopolitische Dimension des Ukraine-Konflikts und die Rolle der Nato gesprochen. Welche energiepolitischen Aspekte sehen Sie in dem Konflikt?
Daniele Ganser: Die Russen produzieren zehn Millionen Fass Erdöl am Tag, genau wie Saudi Arabien. Das heißt, diese beiden Länder sind die wichtigsten Erdöl-Produzenten auf der Welt. Russland ist zudem der zweitgrößte Gasproduzent hinter den USA. Im Kontext von „Peak-Oil“ und sich verknappenden Rohstoffen gelangt Russland also zunehmend ins strategische Visier. Die Menschen denken häufig, das Dämonisieren von Putin sei völlig unabhängig von Öl und Gas. Ich sehe das anders. Ich denke, dass die Nato das Thema Ressourcenkriege ganz oben auf der Agenda führt, es aber der Bevölkerung der Nato-Staaten nicht klar sagt, weil die Bürger sonst vermutlich sagen würden: „Also wenn die Nato aktiv Ressourcenkriege führt, dann ist es Zeit die Nato aufzulösen“. Stattdessen heißt es, die Nato müsse sich ausdehnen und Russland umschließen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum macht die Nato das?
Daniele Ganser: Nun ich denke, so wie ich die Nato-Stratgie beobachte, macht man das, um alle Exportwege aus Russland zu kontrollieren. Diesen Kampf um die Exportrouten – also die Pipelines, die aus dem Land rausführen – konnte man beim Konflikt um die Nabucco-Pipeline und die Northstream-Pipeline sehen. Dabei ging es darum, dass man eine Pipeline aus dem Kaspischen Meer mit Erdgas und Erdöl bis nach Europa führen wollte, ohne dass sie russischen Boden berührt. Das war die Nabucco-Pipeline. Die Russen haben dann reagiert und die Northstream-Pipeline gebaut. Diese geht von Russland durch die Ostsee, ohne die Ukraine oder Polen zu passieren, direkt nach Deutschland. Und damit ist die Nabucco-Pipeline im Moment gescheitert und wird vermutlich nie gebaut. Die Northstream ist gebaut und jetzt bauen die Russen auch noch die Southstream. Und unterm Strich ist natürlich ganz klar, dass die Russen auch unbedingt ihre Pipeline-Routen kontrollieren wollen und die Kontrolle dieser Pipelines auf keinen Fall der NATO überlassen wollen. Und das läuft ja jetzt schon zehn Jahre und hat nicht nur etwas mit dem Ukraine-Konflikt zu tun, aber das gehört meiner Meinung nach alles auf das gleiche Schachfeld. Das ist ein Kampf um Pipelines und Einflusssphären und hat mit Menschenrechten nichts zu tun.
Mehr zu den weltweiten Energiekonflikten erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews.