Politik

Dünne Suppe: BND präsentiert „Plausibilitäten“ statt Beweise zu MH17

Der Bundesnachrichtendienst (BND) tappt bei der Aufklärung des Abschusses von Flug MH17 im Dunklen: Dem parlamentarischen Kontrollgremium wurden keine handfesten Beweise, sondern nur „Plausibilitäten“ vorgelegt. Die Bundesregierung hat die geheimen Erkenntnisse offenbar gezielt jetzt geleakt: Die Steuerzahler sollen von den enormen Kosten abgelenkt werden, die im Zuge der Rettung der bankrotten Ukraine auf sie zukommen.
19.10.2014 23:10
Lesezeit: 3 min

Im Zuge der Aufklärung des immer noch völlig rätselhaften Abschusses von Flug MH17 über der Ostukraine spielen die Geheimdienste jene Rolle, die sie spielen müssen: Ihr Geschäft ist das der Desinformation. Geheimdienste spionieren um Auftrag der Regierungen. Ihr Geschäft besteht darin, Märchen und Legenden in die Welt zu setzen, um die politischen Ziele ihrer Regierungen zu unterstützen. Der BND-Chef unterliegt nicht der Wahrheitspflicht.

Daher sind Geheimdienst-Informationen grundsätzlich nicht glaubwürdig. Doch im Fall der massiven Desinformationswellen, die den aktuellen Kalten Krieg mit Russland begleiten, werden Berichte von Geheimdiensten gerne für bare Münze genommen - vor allem von Medien, die vorschnell Dinge behauptet haben, die sich nicht sauber belegen lassen.

So hat der Spiegel - entweder vom BND oder der Bundesregierung - nun einen kleinen Hinweis bekommen, was der BND den Bundestagsabgeordneten über den Abschuss von MH17 zu erzählen wusste. Die Ausbeute ist, gelinde gesagt, ziemlich mager: Der BND hat nämlich überhaupt keine Beweise dafür, dass die Rebellen im Osten den Flieger abgeschossen haben. Weil das jedoch die offizielle Lesart ist, hat der BND-Präsident Gerhard Schindler offenbar bei seinem Auftritt eine schön PowerPoint-Präsentation vorgelegt, aus der hervorgeht: Wenn man bestimmte Hinweise in einer bestimmten Richtung interpretiert, dann kann man zu einem bestimmten Schluss kommen, wenn man will.

Die Tagesschau hat ihren Reporter Rainald Becker um eine Interpretation gebeten. Im TV klingt das alles ganz nett, aufgeschrieben ist es eher dürftig:

Frage: Was sind das genau für Belege, die da präsentiert wurden?

Rainald Becker: Ja, das ist das Wichtigste. Es sind eben Belege. Es sind keine Beweise. Der Bundesnachrichtendienst legt Wert auf die Feststellung, dass der BND-Präsident –, dass Gerhard Schindler eine Reihe von Plausibilitäten, nämlich diese Belege vorgelegt hat, die einen bestimmten Schluss sehr, sehr nahe legen.

Das ist so in etwa, wie der BND sich einlässt. Es deutet alles darauf hin, dass diese BUK-Luftabwehr-Rakete von den pro-russischen Separatisten abgefeuert wurde. Das sind im wesentlichen Satelliten-Aufnahmen. Das sind Fotos, das sind Recherchen, das sind Gespräche, die natürlich ohne Angaben von Quellen jetzt dem Parlamentarischen Gremium vorgelegt wurden.

Das Ganze hat ja schon am 8. Oktober stattgefunden. Also der Schluss liegt sehr nahe: Es waren die pro-russischen Separatisten.

Frage: Nun unterliegen diese Sitzungen normalerweise der Geheimhaltung. Warum kommt die Information des BND gerade jetzt an die Öffentlichkeit?

Rainald Becker: Ja, weil jetzt elf Tage später irgendjemand - vermutlich einer der Mitglieder des Parlamentarischen Kontroll-Gremiums -, wie man so schön sagt, das Wasser nicht halten konnte. Also es durchgestochen hat, es dem Nachrichtenmagazin, was berichtet hat, gesteckt hat. So kommt vieles raus, was in diesem eigentlich wirklich geheim tagenden Parlamentarischen Kontroll-Gremium besprochen wird.

Beckers Umgang mit den Belegen dürfte ihm ein Sonderlob des BND eintragen: Er kommt, wie gewünscht, in wenigen Sekunden von der Aussage "Es sind keine Beweise" zum Schluss: "Es waren die pro-russischen Separatisten." Die Erklärung vom nicht gehaltenen Wasser ist absurd - in einem Thema, das längst zur Achilles-Ferse der Merkel-Regierung geworden ist, weil die deutsche Öffentlichkeit Beweise fordert statt bloßer Behauptungen.

Tatsächlich wäre es im Interesse der Hinterbliebenen von größter Bedeutung, wer das Flugzeug wirklich abgeschossen hat: Ein deutschen Anwalt klagt im Namen der Hinterbliebenen gegen die Regierung in Kiew, weil sie einen solch unsicheren Luftraum für zivile Überflüge hätte schließen müssen. Die Protokolle der Fluglotsen werden von der Bundesregierung unter Verschluss gehalten. Die Amerikaner sind längst zu dem Thema auf Tauchstation gegangen - offenbar, weil sie nicht beweisen können, was sie gerne beweisen würden. Die Russen verlangen als einzige hartnäckig Aufklärung. Die Aufzeichnungen der AWACS-Flugzeuge belasten die Ukraine.

Was der BND in diesem Zusammenhang lanciert, sind wertlose Spekulationen - die den Spionen nur deswegen durchgehen, weil sie sich bei ihren Verdächtigungen und Schlussfolgerungen auf Geheimhaltung und anonyme Quellen zurückziehen können.

Russische Beobachter vermuten, dass der BND die niederländische Untersuchung beeinflussen solle. Die Spekulation des Staatssenders RT scheint weit hergeholt.

Denkbar wäre jedoch, dass Angela Merkel nach dem Gipfel in Mailand versuchen könnte, neuen Druck auf Russland aufzubauen: In Mailand haben sich die Ukraine und Russland zusammengetan, um der EU gemeinsam die Gasrechnung der Ukraine zu präsentieren, die Kiew der Gazprom noch schuldet.

Die Kanzlerin dürfte ein vitales Interesse daran haben, dass die Öffentlichkeit in den kommenden Tagen abgelenkt wird: Denn in dieser Woche wird sich in Brüssel entscheiden, wieviele Milliarden die EU-Steuerzahler zur Unterstützung der Regierung Jazenjuk in die Ukraine pumpen müssen. Die Gasrechnungen, über deren Bezahlung sich Putin freuen wird, sind nur ein Bruchteil des Problems: Ein Minister aus Kiew erwartet, dass die Zahlungen alle bisherigen Vorstellungen übersteigen werden.

Es ist daher für die Kanzlerin ganz praktisch, dass der Spiegel mit der Berichterstattung über den BND-Scoop auch in eigener Sache unterwegs ist: Das Magazin hat mit seinem ohne Fakten präsentierten Titel-Aufruf "Stoppt Putin jetzt!" nach der MH17-Katastrophe einen schweren Reputationsverlust hinnehmen müssen. Erfahrungsgemäß korrigiert der Spiegel jedoch Fehler gerne, indem er versucht, falsche Dinge mit zielgerichteten, nicht ergebnisoffenen Recherchen im Nachhinein zu untermauern.

Dass die Tagesschau auf diesen Zug gerne aufspringt, liegt in der Natur der Sache: Auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben sich bisher bis auf wenige Ausnahmen als treue Lautsprecher der Regierungs-Verlautbarungen in Sachen MH17 erwiesen. In der Berichterstattung über die Schüsse am Maidan ist in einigen Formaten jedoch offenbar mittlerweile wieder der journalistische Sachverstand eingekehrt (siehe Video von Monitor am Ende des Artikels).

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie wird unbezahlbar: Hohe Strom- und Gaskosten überfordern deutsche Haushalte
18.07.2025

Trotz sinkender Großhandelspreise für Energie bleiben die Kosten für Menschen in Deutschland hoch: Strom, Gas und Benzin reißen tiefe...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzen: Deutsche haben Angst um finanzielle Zukunft - Leben in Deutschland immer teurer
18.07.2025

Die Sorgen um die eigenen Finanzen sind einer Umfrage zufolge im europäischen Vergleich in Deutschland besonders hoch: Acht von zehn...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kursgewinne oder Verluste: Anleger hoffen auf drei entscheidende Auslöser für Börsenrally
18.07.2025

Zölle, Zinsen, Gewinne: Neue Daten zeigen, welche drei Faktoren jetzt über Kursgewinne oder Verluste entscheiden. Und warum viele...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wenn Kunden nicht zahlen: So sichern Sie Ihre Liquidität
18.07.2025

Alarmierende Zahlen: Offene Forderungen in Deutschland sprengen die 50-Milliarden-Euro-Marke. Entdecken Sie die Strategien, mit denen Sie...