Nach Anbietern aus dem deutschsprachigen Raum entdecken auch Unternehmer in Mittelosteuropa Pflegeheime und Seniorenresidenzen als lukratives Geschäftsfeld. Dabei gehen sie in der Regel zwei Wege: Sie sanieren mit Hilfe europäischer Fördergelder heruntergekommene Einrichtungen im eigenen Land oder ziehen Großanlagen in attraktiver Lage hoch. Umwarben sie zunächst nur ihre eigenen Landsleute, schauen sie sich heute auch im Westen nach Kunden um. Dabei sind sie deutlich günstiger als deutschsprachige Investoren und damit inzwischen oft auch begehrter. In jüngster Zeit peilen die Pflegeunternehmen aus Mittelosteuropa vermehrt Kroatien und die Ukraine an.
Dienstleistungen rund um die Gesundheit hatten in den Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn lange Zeit einen Beigeschmack von Korruption. Zufriedenstellende ärztliche Behandlungen oder Pflegedienstleistungen gab es zu kommunistischen Zeiten oft nur gegen Schmiergeld, dabei blieb es auch in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Grundlegend geändert haben sich die Dinge erst seit der EU-Osterweiterung im Jahre 2004.
Seither bieten mehr und mehr Ärzte ihre Dienstleistungen in privaten Praxen an. Außerdem haben immer mehr Mediziner aus Westeuropa die Regionen entlang der Grenzen zwischen Deutschland, Österreich und den Visegrad-Staaten für sich entdeckt. Das hat einen Wandel im Umgang der Ärzte in Mittelosteuropa mit ihren Patienten mit sich gebracht. So sind transparente Abrechnungen oder gründliche Aufklärung über gesundheitliche Risiken inzwischen auch im Westen der Slowakei oder Ungarns ein wichtiges Kriterium für den Geschäftserfolg von Medizinern.
Unternehmer aus dem Westen waren die ersten, die ab 2004 für sich als Marktnische entdeckten, was bis dahin bei Polen, Tschechen, Slowaken oder Ungarn üblicherweise nur Frust verursachte: schlechte Ausstattung der gesundheitlichen Einrichtungen, unterdurchschnittliche Bezahlung der medizinischen Fachkräfte und eine geradezu sträfliche Vernachlässigung von Senioren. Damit war die Idee geboren, in den Visegrad-Staaten das zu schaffen, was in Deutschland oder Österreich längst nicht mehr zu haben ist: bezahlbare Pflege.
Im vergangenen Jahrzehnt sind vor allem in Grenzregionen zu Deutschland oder Österreich oder in der Nähe bekannter Kurorte wie Piešťany im Westen der Slowakei eine Reihe von Seniorenheimen entstanden, in denen Pflegebededürftige aus dem deutschsprachigen Raum für 1.000 bis 1.400 Euro im Monat mindestens annähernd so gut versorgt werden wie in Spitzenhäusern ihrer Herkunftsländer. Waren es zunächst jedes Jahr einige hundert Menschen, die in diesen Einrichtungen unterkamen, sind es heute schon mehr als 1.000.
Die ersten Gesundheitsunternehmer aus dem Westen wurden belächelt oder galten schnell als herzlos. In den Visegrad-Staaten, wo eine intakte Familie lange das Wichtigste war, schickte es sich einfach nicht, pflegebedürftige Angehörige in ein Heim zu geben, noch dazu in ein ausländisches.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Im Zuge der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union hat auch der traditionell starke Familienzusammenhalt in den Visegrad-Staaten gelitten. So wird inzwischen jede dritte Ehe in der Slowakei geschieden, vor zehn Jahren waren es gerade einmal halb so viele. Viele Menschen sind dauerhaft erwerbstätig im Ausland und dabei getrennt von ihren Familien. Deshalb stellt sich auch für immer mehr Slowaken die Frage nach einer auswärtigen Unterbringung älterer Angehöriger. Gleiches gilt für die Menschen in den anderen drei Visegrad-Staaten. Dabei fällt immer mehr ins Gewicht, dass die mittelosteuropäischen Gesellschaft einer rapiden Überalterung entgegensehen. Noch gelten die Polen als eines der jüngsten Völker der Welt, Slowaken als relativ jung. Doch nach Berechnungen der Slowakischen Akademie der Wissenschaften ist auch die slowakische Bevölkerung spätestens ab 2050 hoffnungslos überaltert, weil auf eine Frau im gebärfähigen Alter derzeit gerade einmal 0,75 Kinder kommen, wie die Deutschen Wirtschafts Nachrichten beim Soziologischen Institut erfuhren.
Die ausländischen Investoren haben zumindest ein wenig dazu beigetragen, die Abwanderung qualifizierter Pflegekräfte ins westliche Ausland zu bremsen. Alten- und Krankenpfleger aus der Slowakei waren bis vor kurzem sehr gefragt in Österreich. Angeblich arbeiten rund 25.000 von ihnen im westlichen Nachbarland. Dort verdienen sie im Schnitt 1.800 Euro brutto im Monat und damit etwa dreimal so viel wie üblicherweise in der Slowakei. Mit dem Aufkommen der Heime für deutschsprachige Pflegebedürftige hat sich das geändert. Offizielle Statistiken zu den dortigen Gehältern gibt es zwar keine, inoffiziell ist aber von Löhnen um 1.300 Euro und höher die Rede. Damit entfällt ein wichtiger Anreiz für potenzielle Arbeitsmigranten. Das wiederum kommt österreichischen Einrichtungen entgegen, die immer weniger Kapazitäten für arbeitswillige Pflegekräfte aus dem Ausland haben.
Inzwischen haben auch mittelosteuropäische Geschäftsleute das Geschäft mit der Pflegebedürftigkeit im Alter für sich entdeckt. Erste Erfahrungen sammelten sie, indem sie im vorigen Jahrzehnt vorzugsweise vorhandene Altersheime meist unter Zuhilfenahme von EU-Fördergeldern von Grund auf modernisierten. Damit schufen sie Angebote für Einheimische und schlossen somit eine Lücke, die westlichen Investoren zuvor meist wegen Sprachbarrieren verschlossen blieb. Herausgekommen sind dabei moderne Einrichtungen wie das „Sonnenhaus“ in Senec oder das „Gemütlichkeit“ in Galanta, beide nur wenige Autominuten von der slowakischen Hauptstadt Bratislava entfernt. Längst werben deren Betreiber auch um ausländische Klientel und sind dabei deutlich günstiger als deutschsprachige Anbieter. So ist Rundum-Pflege in Galanta schon ab 450 Euro im Monat zu haben.
Was für deutsche Ohren geradezu traumhaft günstig klingt, können sich viele Slowaken bei einem Bruttodurchschnittslohn von monatlich derzeit etwas mehr als 800 Euro und Renten von deutlich weniger als 500 Euro schlichtweg nicht leisten. Die Pflege- und Gesundheitswirtschaft in Mittelosteuropa hat allerdings schnell von der westlichen Konkurrenz gelernt. Unternehmen wie die zweitgrößte slowakische Finanzgruppe Penta stampfen in pulsierenden Städten wie Bratislava luxuriöse Residenzen aus dem Boden, die wohlhabenden Senioren vorbehalten bleiben. Gleichzeitig schauen sie sich im Ausland nach lukrativem Baugrund um, wo sie Pflegeeinrichtungen für die weniger Betuchten unter ihren Landsleuten schaffen.
Attraktiv nicht erst seit dem EU-Beitritt im vorigen Jahr ist Kroatien, wo viele Slowaken ohnehin gern Urlaub machen und kaum Verständigungsprobleme haben. Das Land hat außerdem den Vorteil, dass es noch nicht allzu viele westeuropäische Investoren aus der Pflege- und Gesundheitsbranche für sich entdeckt haben, sodass beispielsweise Grundstücke vergleichsweise günstig zu haben sind, was durch die anhaltende Wirtschaftskrise noch befördert wird. Im Übrigen sind nicht wenige slowakische Pflegekräfte bereit, zumindest eine Zeit nach Kroatien zu gehen. Medizinisches Fachpersonal ist dort inzwischen so rar, dass qualifizierte medizinische Dienstleistungen zumindest in der Privatwirtschaft teilweise relativ gut bezahlt werden.
Besonders Wagemutige schielten vor Ausbruch des russisch-ukrainischen Konflikts schon eine Zeitlang in Richtung Krim. Offen mag derzeit niemand über entsprechende Pläne sprechen. Man könne nur abwarten, wie sich die Dinge entwickelten, erfuhren die Deutschen Wirtschafts Nachrichten bei einem führenden Bratislavaer Developer. Die Ukraine bleibe aber im Prinzip interessant, weil es wie in Kroatien kaum Verständigungsprobleme und außerdem eine Fülle hervorragend ausgebildeter Pflegekräfte gebe, „die keine unangemessenen Lohnforderungen stellen“.