Spanien ist erleichtert und gibt Entwarnung: Die 100 Milliarden Euro, die die EU den Banken geben will, seien „weit entfernt von dem tatsächlichen Bedarf“, sagte der stellvertretende Gouverneur der spanischen Zentralbank, Fernando Restoy. Und Premier Mariano Rajoy (der noch vor wenigen Wochen kategorisch ausgeschlossen hatte, dass Spanien überhaupt einen Cent von den europäischen Brüdern brauchen werde), sagte im brasilianischen São Paulo: „Die Analysen sind korrekt, sie sind glaubwürdig und sie können umgesetzt werden.“
Nun ja. Wenn man den Bericht von Oliver Wyman liest, kann man ins Grübeln kommen. So steht auf Seite 38: „Die Informationen, die andere für diesen Bericht bereit gestellt haben, und auf denen alle Teile dieses Berichts beruhen, wurden nicht überprüft. Für die sachliche Richtigkeit dieser Informationen gibt es keine Garantien.“ Im Klartext heißt das: Rajoy lobt die Zahlen, die er den Beratern selbst gegeben hat, als objektiv richtig. Nachdem Rajoy offenbar noch vor wenigen Wochen über objektiv richtige Zahlen verfügt hat, denen zufolge ein spanischer Banken-Bailout die unnötigste Sache der Welt sei, kann man gewisse Zweifel haben, wie lange die objektive Richtigkeit dieser Zahlen halten werden.
Oliver Wyman hat bei dem als „Stresstest“ verkauften Bericht in einer Hinsicht sicher keinen Fehler gemacht: Wie es sich für gute Berater gehört, haben sie die Zahlen richtig addiert und verglichen. Sie haben dann Modellrechnungen für die kommenden drei Jahre angestellt. Diese Methode wird gerne angewendet, wenn man die Zukunft so darstellt, wie man sie gerne hätte. Auch bei den US-Subprime Krediten haben alle Rechnungen mathematisch gestimmt. Sie hatten nur den kleinen Fehler, dass schwarze Löcher (CDOs) addiert wurden. Rechnerisch gilt: Ein schwarzes Loch + ein schwarzes Loch = zwei schwarze Löcher. In der Realität haben es schwarze Löcher leider so an sich, dass sie meist viel größer sind als auf dem Taschenrechner.
Das Problem der Wyman-Berechnungen ist jedoch genau die Realität: Selbst im „worst case“ gehen die Berater zum Beispiel davon aus, dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2012 ihren Höhepunkt erreicht. Danach verharrt die Quote in etwa auf dem Niveau, geht mit 2013 sogar leicht zurück. Wie viel das wert ist, konnte man in Griechenland sehen: Da wurde zwischendurch prognostiziert, dass es 2013 sogar schon wieder ein Wachstum geben werde. Sechs Monate später sind die Prognostiker wieder näher an der Realität. Von Wachstum im kommenden Jahr spricht in Griechenland keiner mehr. Warum sollte das in Spanien anders sein?
Der Bericht, der ausdrücklich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist und im Internet hier gelesen werden kann, verwendet in allen Projektionen einen Kunstgriff, den jeder kennt, der schon mal einen Business-Plan erstellt hat: Wenn man Investoren gewinnen will, muss man einen sogenannten „Hockey-Stick“ präsentieren: Langsam steigende Umsätze in den ersten Jahren, ein gewaltiger Anstieg zu einem viel späteren Zeitpunkt, wenn das Unternehmen hoffentlich schon verkauft ist.
Für Spanien verwendet Oliver Wyman eine Art negativen Hockey-Stick: 2012 ist alles schlecht, danach wird alles schlagartig besser. Alle Werte, die für Wachstum wichtig sind, steigen ab 2013 – so wird beispielsweise eine Erholung auf dem Immobilienmarkt unterstellt; all diejenigen, die die Freude trüben könnten – wie etwa faule Kredite oder Zwangsversteigerungen – lösen sich langsam, aber sicher in Wohlgefallen auf.
Trotz dieser sehr erfreulichen Arithmetik kommt Oliver Wyman im „worst case“ auf ein Verlustpotenzial von 25 - 274 Milliarden Euro, mit dem die spanischen Banken in den kommenden drei Jahren rechnen müssen. Da kann man sich schon wundern, dass Mariano Rajoy in der brasilianischen Sonne so fröhlich ist.
Die Erklärung für die Zuversicht findet man, wenn man die im Bericht sieht, wie das Problem gelöst wird. Nach Oliver Wymans Berechnungen brauchen die spanischen Banken nämlich nur 51- 62 Milliarden Euro an Rettungs-Geldern von der EU. Dieses fast biblische Wunder der Verlust-Reduktion hat seinen Grund in jenen Positionen, die den Gesamtverlusten gegenüberstehen (siehe Grafik am Ende des Artikels).
Da sind einmal Rückstellungen in Höhe von 98 Milliarden Euro. Rückstellungen sind zwar Bilanz-Größen, sie beruhen jedoch auf Bewertungen, die der Realität meist nicht standhalten. Nicht in Rechnung gestellt wird hierbei die anhaltende Kapitalflucht aus den spanischen Banken, im Gegenteil: Um das abgewanderte Kapital wieder auszugleichen, müsste ab morgen eine regelrechte Investoren-Welle Spanien überrollen.
6-7 Milliarden Euro sind Staatsgarantien. Wieviel die wert sind, weiß kein Mensch, zumal die spanischen Bonds weiter nur mit hohen Zinssätzen an den Mann zu bringen sind. Gekauft werden sie vor allem von jenen, die jetzt gerettet werden müssen, nämlich den spanischen Banken unter Verwendung der von der EZB zur Verfügung gestellten Liquidität.
Besonders interessant sind die Positionen, mit denen die spanischen Banken in den kommenden Jahren auf dem Boom-Markt Spanien Gewinne machen werden: 64-68 Milliarden Euro werden an Profiten gemacht. Woher die kommen sollen in einer von allen erwarteten Rezession mit 27% Arbeitslosigkeit und Immobilienpreisen, die nach Einschätzung aller Beobachter noch lange nicht die Talsohle erreicht haben.
Schließlich gibt es noch einen magischen Zugewinn, der sich bei Oliver Wyman überschüssiger Kapital-Puffer nennt. Er beträgt 33-39 Milliarden Euro. Dies soll dem Bericht zufolge das Core Tire 1 Kernkapital von 6% darstellen, wie es die neuen europäischen Bankenregeln vorschreiben. Welche neuen Assets diese Summe erreichen lassen, weiß niemand. Aber in der Projektion hilft genau jener Posten, um das Loch zu schließen, damit Spanien sagen kann: Es geht uns viel besser, als die Welt glaubt. Für die schwäbische Hausfrau erklärt: Wenn ihr 1.000 Euro im Haushaltsbuch fehlen, schreibt sie einfach in ihre Planung, dass sie am Ende des Jahres 1.000 Euro auf ein Sparbuch legen wird. Keine besonders solide Planung, würden die Schwaben sagen.
Die Welt hält die spanischen Projektionen ebenfalls nicht für unglaubwürdig. Analysten sagten dem WSJ und der FT, dass sie diese Berechnungen nicht für realistisch halten. Und dass es die Märkte sich bereits ihre eigene Meinung über das Ausmaß der spanischen Bankenkrise gebildet hätten und nicht von schönen Modellrechnungen zu beeindrucken seien. Interessanterweise glaubt auch der Chef der Euro-Gruppe, Jean Claude Juncker, den Projektionen offenbar nicht: Er reagierte beim Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg kühl auf die Projektionen und sagte, es sei Sache der Euro-Zone und nicht Spaniens zu bestimmen, wie viel Geld die Banken brauchen. Dies werde bis zum 9. Juli festgelegt werden.
Die spanische Bankenkrise ist keine Modelleisenbahn, bei der man den Zug nach dem Entgleisen einfach wieder auf die Schienen stellt, die Tränen trocknet und das kleine Unglück nach wenigen Minuten wieder vergessen hat. Die spanische Bankenkrise als Kombination einer gewaltigen Immobilienblase und einer veritablen Staatsschuldenkrise ist, wie Nouriel Roubini vom ganzen Euro-Desaster nicht müde wird zu sagen, ein Eisenbahnunglück in Zeitlupe. Die spanischen Stresstests – der zweite wurde von Roland Berger durchgeführt und kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie der von Oliver Wyman – sind nichts anderes als Verzögerungsmanöver. Mit ihnen versucht die spanische Regierung, Zeit zu gewinnen – wenngleich nicht klar ist, wofür sie die gewonnene Zeit nutzen will. Oliver Wyman kann man da keinen Vorwurf machen. Allerdings hat der Vorschlag des amerikanischen Finanzblogs Zerohedge einen gewissen Charme: Es sei zu hoffen, schreiben die ewigen Nörgler von Zerohedge, dass Oliver Wyman mit Aktien von spanischen Banken bezahlt werden. Haltefrist für die Aktien: drei Jahre.