Politik

Das Ende der Freiheit: Der Polizei-Staat kehrt nach Europa zurück

Die französische Nationalversammlung hat mit überraschend großer Mehrheit ein Gesetz beschlossen, mit welchem die bürgerlichen Rechte dramatisch eingeschränkt werden. Die Geheimdienste erhalten umfassende Rechte der Kontrolle der Bürger. Gerichtliche Beschlüsse zur Überwachung sind kaum noch nötig. Die Entwicklung könnte beispielhaft für die ganze EU sein.
06.05.2015 01:58
Lesezeit: 2 min

Europa wendet sich zur Kontrolle seiner Bürger einem neuen Polizeistaat-Modell zu. Die französische Nationalversammlung hat am Dienstag ein revolutionäres Gesetz beschlossen. Demnach können Geheimdienste und Polizeibehörden künftig die Bürger weitgehend ohne richterliche Kontrolle überwachen. Wie Bloomberg berichtet, können künftig Telefonleitungen angezapft werden, die Bürger über ihre Mobiltelefone lokalisiert werden, E-Mails abgefangen werden, heimliche Fotografien gemacht und Wohnungen verwanzt werden. All diese Maßnahmen bedürfen künftig keine richterlichen Erlaubnis mehr. Eine neue Behörde soll vom Premierminister kontrolliert die Arbeit der Geheimdienste überwachen. Das erste Mal in der Geschichte Frankreichs kann der oberste Verwaltungsgerichtshof darüber bestimmen, wann eine Überwachung zu beenden ist.

In der französischen Nationalversammlung stimmten 438 Abgeordnete für das neue Gesetz, 86 stimmten dagegen, 42 enthielten sich der Stimme. Das Gesetz geht nun in den Senat, welche Änderungen vorschlagen, das Gesetz jedoch nicht mehr überstimmen kann.

Bürgerrechtsgruppen, Wirtschaftsverbände und Anwälte protestieren heftig gegen das Gesetz. Der frühere Chef der französischen Wirtschaftsvereinigung Medef, Laurence Parisot, sagte, das Gesetz sei ein „Freiheits-Killer“. Pierre-Olivier Sur, Präsident der Pariser Anwaltsvereinigung, sagte, das Gesetz „bedroht die bürgerlichen Freiheiten ernsthaft“. Eva Joly, die frühere Antikorruptionsbeauftragte und ehemalige Kandidatin der Grünen für die Präsidentschaft, sagte, der Fokus des Gesetzes auf das massenhafte sammeln von Daten und die elektronische Überwachung sei „teuer, ineffizient und schafft eine Überwachungsgesellschaft“.

Auch die Leserkommentare in den franzöZeitungen sprechen eine klare Sprache. So schreibt etwa ein Kommentator im Figaro, dass der französische Weg nun darin bestehe, dass nicht mehr die Rechte der Bürger geschützt werden, sondern sich der Staat vor den Bürgern schützen wolle.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte bereits vor der Beschlussfassung gesagt: „Entscheidende Fehler an dem neuen Gesetz beinhalten die expansiven Machtbefugnisse für den Premierminister, um eine Überwachung anzuordnen, die weit über das hinausgeht, was in den Gesetzen zu internationalen Menschenrechten anerkannt ist.“ Die Organisation kritisiert außerdem, dass private Unternehmen der Bürger überwachen und ihre Daten analysieren können und dann Verdachts Protokolle entwerfen.

Premier Manuel Valls verteidigte das Gesetz und sagte, es sei streng darauf begrenzt, die Gesellschaft vor ernsten Bedrohungen zu schützen: „Die Kritik und die Behauptungen, das neue Gesetz führe zu einem französischen Patriot Act oder einem Polizeistaat sind unverantwortliche Lügen.“ Mit dem Patriot Act hatte der damalige US Präsident George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eine signifikante Einschränkung der Bürgerrechte in den USA verfügt.

Das neue Gesetz ist eine Konsequenz der Anschläge auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo. In Frankreich ist seit der Anschlägen die Präsenz von Militär und Polizei in der Bevölkerung deutlich verstärkt worden. Bis zum heutigen Tag ist vollkommen unbekannt, wer die Hintermänner für die Anschläge auf das Magazin und auf einen jüdischen Supermarkt in Paris gewesen sind. Obwohl Frankreichs Präsident François Hollande eine vollständige Aufklärung versprochen hatte, sind bis heute keine Erkenntnisse über die Hintergründe bekannt geworden.

Mit dem Gesetz legt Frankreich eine mögliche Blaupause für die EU vor. Auch wenn vergleichbar radikale Pläne noch in keinem anderen Staat zu erkennen sind, so ist zu erwarten, dass nach möglichen Anschlägen oder politisch motivierten Gewalttaten auch andere Staaten auf das französische Modell zurückgreifen werden. Mit dem Gesetz werden die Bürgerrechte in einem der größten EU-Staaten drastisch eingeschränkt. Der Polizeistaat kehrt nach Europa zurück.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Bionik, KI und Robotik: Der Innovationsschub, der alles verändert
16.08.2025

Von der Bionik bis zur KI-Konvergenz: Neue Technologien versprechen einen Innovationssprung – und könnten Wirtschaft, Gesellschaft und...

DWN
Panorama
Panorama Datenschutz und Oktoberfest - was sich im September ändert
16.08.2025

Die Tage werden kürzer und der Herbst naht im September. Welche Neuerungen bringt der neue Monat für Verbraucherinnen und Verbraucher?...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Business Angels sind keine Almosen-Geber: So knackt man sie trotzdem
16.08.2025

Sie heißen Engel, aber verschenken nichts: Warum Business Angels für Start-ups goldwert sind – und wieso Gründer trotzdem mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft 150 Jahre ohne Steuerprüfung? Personalmangel bremst Steuerkontrollen in Deutschland aus
16.08.2025

In Deutschland können Kleinstbetriebe statistisch gesehen 150 Jahre lang einer Steuerprüfung entgehen – während dem Staat Milliarden...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bahn: Vor diesen Herausforderungen steht der künftige Bahn-Chef
16.08.2025

Richard Lutz muss seinen Posten als Bahnchef räumen - und übergibt dabei zahlreiche Probleme an seinen Nachfolger. Kann der erfolgreicher...

DWN
Technologie
Technologie Laser gegen Putins Drohnen: Europas Hightech-Antwort auf den Krieg
16.08.2025

Während russische Drohnen den Himmel über Europa testen, setzen die Ukraine und die EU auf eine futuristische Waffe: Laser, die für...

DWN
Finanzen
Finanzen Europas Bankenaufsicht warnt: Drei Risiken können das Finanzsystem erschüttern
16.08.2025

Er führt Europas Bankenaufsicht – und sieht drei Gefahren, die selbst starke Institute ins Wanken bringen könnten: geopolitische...

DWN
Politik
Politik Spitzbergen: Russland hat 100 Jahre nach dem Spitzbergen-Vertrag die Arktis genau im Blick
15.08.2025

Vor 100 Jahren wurde der Spitzbergen-Vertrag unterzeichnet – ein Abkommen mit besonderer geopolitischer Brisanz. Heute sorgen Norwegen...