Das Geschäftsmodell der Lebensversicherungen setzt auf langfristig zugesicherte Garantien. Damit sind sie Zinsrisiken ausgesetzt. Denn es ist nicht zwangsläufig sicher, ob sie mit ihren Anleihenkäufen zukünftig auch die Rendite erreichen, die sie brauchen, um die versprochenen Zinsen für die Kunden zu zahlen. Die andauernde Niedrigzinspolitik der EZB hat etliche deutsche Lebensversicherer bereits in Schwierigkeiten gebracht. Doch die tatsächlichen Auswirkungen der Draghi-Politik werden sich erst in ein paar Jahren zeigen.
Noch zehren die Versicherer teilweise von den früheren Renditen deutscher Anleihen beispielsweise. Schließlich haben deutsche Staatssanleihen im Schnitt eine Laufzeit von 9,5 Jahren, Unternehmensanleihen fast 7 Jahre. Die Versicherer können sich entsprechend mit den vor ein paar Jahren abgeschlossenen Käufen von Anleihen zurzeit noch gut helfen. Wenn aber demnächst diese Anleihen auslaufen und von den neuen Käufen mit den noch niedrigeren Renditen gezehrt werden muss, wird es eng.
In 8 bis 11 Jahre ist dem Stresstest der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (EIOPA) zufolge in „Deutschland in Österreich und den Niederlanden mit einem negativen Kapitalfluss“ zu rechnen. Wie die Letzte BaFin-Erhebung zeigt, würden 25 Prozent der Versicherungsunternehmen ohne Übergangsmaßnahmen ihren Anforderungen nicht nachkommen können. „Dauert die Niedrigzinsphase weiter an, müssen die Lebensversicherer in der 16-jährigen Übergangsphase erhebliche Anstrengungen unternehmen, um ihre Kapitalbasis zu stärken“, sagte Felix Hufeld, von der BaFin hinsichtlich der letzten Erhebung Ende 2014.
„Die Erträge der Kapitalanlagen gehen unter den herrschenden Zinsbedingungen nun einmal schneller zurück als die garantierten Zinsen im Bestand. Somit stellt ein anhaltend niedriges Niedrigzinsumfeld natürlich eine große Herausforderung für die Lebensversicherer dar“, sagte Dirk Timmermann von der Bafin den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Dadurch seien die Unternehmen gezwungen, ihre Kapitalpuffer zu erhöhen. „Aus Verschwiegenheitsgründen dürfen wir jedoch keine Informationen zur Situation einzelner Unternehmen herausgeben bzw. Namen nennen.“
Die Bundesbank hat sich im Rahmen einer Untersuchung die finanziellen Auswirkungen der niedrigen Zinsen von 85 deutschen Lebensversicherern angesehen. Das Ergebnis: Würde das heutige Zinsniveau der deutschen Bundesanleihen beibehalten werden, würden die Auswirkungen auf die Lebensversicherer überschaubar bleiben, so die Bundesbank. „Aber schon in einem milden Stressszenario, in dem niedrige Renditen simuliert werden, wie sie in Japan längere Zeit vorherrschten, könnten zwölf Lebensversicherer, die immerhin zusammen einen Marktanteil von rund 14% haben, bis zum Jahr 2023 die Eigenmittelanforderungen von Solvency I nicht mehr erfüllen.“
Unter verschärften Stressbedingungen, insbesondere wenn auch die Renditen auf andere Anlagen verstärkt unter Druck gerieten, würden sogar 32 Unternehmen die Eigenmittelanforderungen nicht mehr erfüllen. Um welche Lebensversicherer es sich dabei aber genau handelt, gibt die Bundesbank nicht ebenfalls nicht an.
Ein Ende der Lebensversicherungen ist damit aber nicht eingeläutet. „Lebensversicherungen werden immer relevant bleiben, schon allein wegen der Absicherung der Angehörigen im Todesfalle“, sagte Otmar Issing den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. „Aber unabhängig davon gilt es für das eigene Alter vorzusorgen“, so der ehemalige Chefsvolkswirt der EZB. Dies gelte umso mehr, als die „staatlichen Systeme in Zeiten schrumpfender Erwerbsbevölkerung und steigender Lebenserwartung immer weniger in der Lage sein werden, ein angemessenes Versorgungsniveau zu garantieren“. Neben der aktuellen Geldpolitik der Zentralbanken stelle aber auch die steigende Lebenserwartung eine weitere Herausforderung für die Versicherungen dar.
Seit Beginn dieses Jahres haben bereits 21 Zentralbanken ihren Leitzins gesenkt. Eine
Entwicklung die neben der Politik der EZB auch Auswirkungen für die Versicherer haben kann, so Issing. „Das hängt vom Grad der Synchronisierung der wirtschaftlichen Entwicklung ab.“ Die unterschiedlichen Erwartungen zur Geldpolitik der Fed und der EZB „haben bereits deutliche Spuren im Wechselkursverhältnis Euro zu US-Dollar hinterlassen“, sagte Issing den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
Die Ratingagentur Moody’s hat im Februar noch einmal ihren negativen Ausblick für die Lebensversicherungen beibehalten. „Unseres Erachtens wird 2015 ein entscheidendes Jahr für die deutschen Lebensversicherer, da die wesentlichen Änderungen der letztjährigen Reform greifen und die Versicherer gezwungen sind, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen“, heißt es bei Moody‘s. Zwar werde sich die Reform unter Bonitätsaspekten letztlich positiv auf die Branche auswirken. „Anfänglich werden Umsätze und Gewinne jedoch zurückgehen“. Und weiter:
„Die Vorbereitungen auf die künftigen Solvency-II-Richtlinien bereiten der Branche zusätzliche Kopfschmerzen. Nach Einschätzung von Moody's ist der Übergang zu Solvency II für die Bonität der deutschen Lebensversicherer langfristig positiv. Einige kleinere Gesellschaften weisen aktuell aber eine zu geringe Kapitalausstattung auf, um die Anforderungen zu erfüllen, und sie bzw. die Aufsichtsbehörden müssen diesen Zustand u.U. noch vor Inkrafttreten der neuen Regelungen beheben. Ein Zusammenbruch eines oder mehrerer Akteure auf dem deutschen Markt könnte einen Reputationsschaden für die gesamte Branche bedeuten.“
Ein Blick in das Rating von Standard & Poor’s gibt zumindest eine kleine Einschätzung, welche deutschen Lebensversicherer wanken. Von 20 getesteten Lebensversicherungen haben die der Generali und der Aachen/Münchener nur die Bewertung BBB+ erhalten, wie das Handelsblatt Anfang März schrieb. Ein AAA gab es gar nicht. Mit AA-schnitt die Ergo Lebensversicherung zusammen mit der Allianz (AA) noch am besten ab.
Wie sich die Niedrigzinspolitik in Zahlen ausdrückt, zeigt ein Blick auf das Jahr 2012. Damals haben die deutschen Versicherungskonzerne zinsbedingt vier Milliarden Euro weniger eingenommen. Die wahren Verlierer sind aber die Kunden. Diese haben seit dem Jahr 2000 sage und schreibe 210 Milliarden Euro an Überschussbeteiligungen in den Wind geschrieben. Eine Überschussbeteiligung ist die Beteiligung der Versicherungsnehmer am erwirtschafteten Überschuss bzw. am Gewinn eines Versicherers mit der entsprechenden Versicherung. Dieser Überschuss wird im Jahresabschluss ausgewiesen.