Die Zeitung Il Sole 24 Ore bringt ein originelles Kurz-Interview mit EZB-Präsident Mario Draghi. Die Zeitung beobachtete Draghi auf seinem Heimflug nach dem Gipfel in Brüssel. Er sei auf dem Sitz 1A des Alitalia-Flugs von Brüssel nach Rom gesessen. Er habe mit müde und überarbeitet gewirkt. Man habe ihm die Last des physischen und psychischen Stresses der verschiedenen Gipfel eindeutig angesehen. Nach dem Einsteigen habe er das Wall Street Journal und den Corriere della Sera kurz überflogen. Danach habe er mit einem iPod versucht, einige Musik zu hören. Erst nach der Landung in Rom war Draghi bereit, zwei Journalisten-Fragen zu beantworten. Die erste Frage lautete, ob er glaube, dass es zu einer Lösung im Schuldenstreit mit Griechenland kommen werde. Draghi soll das Gesicht verzogen haben und gesagt haben: „Ich weiß es nicht, diesmal ist es wirklich schwierig.“
Draghi muss nach außen den Eindruck erwecken, er sei an die Grenze seiner Möglichkeiten gekommen, um einen Aufstand der Deutschen zu verhindern. So meldet Bloomberg, dass es in den vergangenen Tagen Diskussionen zwischen der EZB und der EU gegeben habe. Darin sollten Möglichkeiten ausgelotet werden, dass der ESM die ELA-Kredite an Griechenland garantieren könnte. Die EZB will kein Risiko gehen, muss aber, wenn sie auch nur noch im Ansatz eine echte Zentralbank ist, die griechischen Banken mit Liquidität versorgen. Die Garantie der aktuell bei etwa 90 Milliarden Euro liegenden ELA-Notkredite würde die EZB in die Lage versetzen, die griechischen Banken auch noch über die Verhandlungen nach Sonntag zu stützen. Der ESM hat zwar auch nicht unbegrenzt Mittel, aber er ist ein supra-staatliches Finanzvehikel, das schnell und diskret agieren kann.
In seiner Antwort auf die zweite Frage sagte Draghi mit einer Nuance doch viel mehr als es auf den ersten Blick erscheint. Der Journalist der Zeitung fragte ihn, was denn geschehen würde, wenn es zu einem Telefonat zwischen Putin und Tsipras käme? Draghi darauf: „Also ich glaube nicht, das erscheint mir kein wirkliches Risiko zu sein, die haben ja selbst kein Geld…“
Diese kleine Bemerkung zeigt, dass die EU offenbar zumindest finanziell wirklich am Anschlag angekommen. Sonst hätte Draghi nicht gesagt, dass die Russen selbst kein Geld hätten. Dies unterstellt, dass auch die EU kein Geld hat.
Der zweite Punkt: Die Euro Retter fürchten offenbar wirklich, dass Wladimir Putin den Griechen ernsthafte Avancen machen könnte. Dies wiederum könnte bedeuten, dass die Amerikaner die widerspenstigen Osteuropäer und Balten genau mit diesem Trick zur Vernunft bringen. Bisher haben die Osteuropäer und Balten besonderen Widerstand gegen eine Rettung Griechenlands vorgetragen. Der Hauptgrund dafür bestand in der Sorge dieser Staaten, dass neue Töpfe für Griechenland verwendet werden könnten, auf deren Ausschüttung sich eigentlich die Regierungen in Osteuropa und im Baltikum Hoffnung gemacht hatten. Insbesondere Polen hat bisher eine harte Linie gegen Griechenland eingenommen, aber auch die Slowakei und Bulgarien sowie die kleinen Staaten Lettland Litauen fürchten, dass Griechenland bevorzugt behandelt wird.
All jene osteuropäischen Staaten, die nicht im Euro sind, befürchten außerdem, dass die Griechen plötzlich Kostgänger an dem zweiten Rettungstopf der EU werden, der sogenannten „Europäischen Zahlungsbilanzhilfe“. Aus diesem mit Steuergeld gespeisten, in der Öffentlichkeit kaum bekannten parallelen Rettungsschirm werden die nicht zum Euro gehörenden EU-Staaten gerettet. Die Aussicht, mit Griechenland einen weiteren Mitbewerber um diesen Topf zu bekommen, hat dazu geführt, dass sich Bulgarien und Rumänien bisher sehr zurückgehalten haben: Sie möchten, dass Griechenland im Euro bleibt – aus rein egoistischen Gründen.
Für alle Osteuropäer und Balten ist die von der Nato geschürte Angst vor einer russischen Aggression ein willkommener Anlass, über die Sicherheitsschiene an neue Gelder aus den europäischen Steuertöpfen zu kommen. Die Nato hat das Feindbild Russland in den vergangenen Monaten kontinuierlich aufgebaut. Mit jeder Stationierung von Nato-Truppen in einem der betroffenen Länder fließen auch signifikante Summen aus den Militäretats. Der kalte Krieg könnte sich für die Osteuropäer und die Balten als eine Konjunkturbelebung erweisen. Unter Umständen sind sie dafür bereit, neue Kredite an Griechenland zu akzeptieren.