Politik

Schäuble gegen Juncker: EU-Kommission soll entmachtet werden

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist offenbar sehr verärgert über die Rolle von Jean-Claude Juncker in der Griechenland-Krise: Juncker hatte direkt mit Alexis Tsipras verhandelt. Dies steht ihm nach Schäubles Ansicht nicht zu. Nun will Schäuble die EU-Kommission entmachten.
29.07.2015 23:07
Lesezeit: 2 min

Zwischen der EU-Kommission und Deutschland ist ein offener Konflikt entbrannt: Die FAZ meldet, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble habe Pläne vorbereitet, die Kommission zu entmachten. Sie ist nach Schäubles Auffassung keine politische Behörde. Die Beamten seien den Politikern untergeordnet und hätten in politischen Fragen kein Verhandlungsmandat.

In der Sache hat Schäuble recht: Auch wenn bei den Bürgern der Anschein erweckt wurde, Jean-Claude Juncker sei als „Spitzenkandidat“ der Europäischen Konservativen quasi als Sieger der EU-Wahlen eine Art demokratisch legitimierter Präsident: Rechtlich wird der Präsident der EU-Kommission von Rat der Staats- und Regierungschefs ernannt und muss dann vom EU-Parlament bestätigt werden. In der Ausübung ihrer Aufgaben hat die EU-Kommission gemäß der Europäischen Verträge eindeutig die Aufgabe einer Art Verwaltung und kein politisches Mandat.

Schäuble ist über den Helmut Kohl-Freund Juncker besonders verärgert, weil dieses sich im Konflikt um Griechenland eindeutig auf die Seite von Syriza-Premier Alexis Tsipras gestellt hatte. Juncker interpretiert seine politische Tätigkeit als Ableitung des Auftrags, die Kommission müsse die Europäische Union voranbringen. Im Fall von Syriza hat Schäuble hier keinerlei Verständnis: Er war während der gesamten Verhandlungsphase zu keinem Zeitpunkt bereit, mit seinem griechischen Pendant Yanis Varoufakis ernsthaft zu verhandeln.

Varoufakis hatte in einer Telefonkonferenz mit Investoren in London gesagt, Schäuble glaube nicht, dass der Euro in der Form funktioniere, wie er sich heute darstellt. Schäuble habe ihm gesagt, die Euro-Zone in ihrer derzeitigen Form sein nicht nachhaltig. Um Transfers in der Euro-Zone zu ermöglichen, müsse die Zone in sehr disziplinierter Weise geführt werden. Varoufakis sagte wörtlich: „Schäuble hat mir gesagt, dass ein Grexit ihn mit genug Verhandlungsmacht, Macht zu Terrorisieren („terrorizing power) ausstatten würde, um seinen Plan den Franzosen aufzuzwingen.“

Diese Aussage ist Schäuble mit Sicherheit zugetragen worden (hier das gesamte Varoufakis-Gespräch, Passage ab Minute 13:00). Schäuble hält es für unerhört, dass sein Parteifreund Juncker sich für eine Regierung stark macht, die ihn, Schäuble, direkt des „Terrorismus“ bezichtigt.

Daher hat sich Schäuble offenbar mit den Niederländern abgesprochen und will die EU-Kommission zurückschneiden. Die FAZ schreibt, der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem wolle die Neuordnung zum Kern-Programm der niederländischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2016 machen.

Schäuble schlägt vor, dass wichtige Aufgaben, die jetzt die EU-Kommission wahrnimmt, an unabhängige Behörden abgeben solle, wie etwa an ein europäisches Kartellamt oder eine europäische Binnenmarktbehörde.

Juncker hat bei seinem Versuch der Politisierung der Kommission schlechte Karten: Sein Investitionsfonds ist nichts anderes als eine Umschichtung von Finanzmitteln aus anderen EU-Töpfen. Sein Plan einer Flüchtlingsquote ist kläglich gescheitert. Die EU-Staaten sind froh, dass sie als Sündenbock für ihre eigene Abschottung gegenüber den Flüchtlingen die EU vorschieben können. So sagte der mächtige österreichische Landeshauptmann Erwin Pröll am Dienstag im ORF, dass die unhaltbaren Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen das Ergebnis einer unfähigen EU-Politik seien. In Traiskirchen werden derzeit über 4.000 Flüchtlinge in einem Lager zusammengepfercht, das eigentlich nur für 1.800 Flüchtlinge zugelassen ist. Der Vorwurf gegen Juncker ist zwar ungerecht – denn gerade Juncker hatte mit dem Quoten-Vorschlag versucht, Ländern wie Österreich Entlastung zu verschaffen.

Doch in einem Klima, in dem die EU von den nationalen Regierungen zum Feindbild aufgebaut wird, spielt Differenzierung keine Rolle mehr. Schäubles Vorschlag könnte daher auf breite Zustimmung bei all jenen Regierungen in der EU stoßen, denen die Kommission seit langem ein Dorn im Auge ist.

Schäuble wirft der Kommission laut FAZ vor, „sich immer mehr als Europa-Regierung in Szene zu setzen“. Schäuble ist nicht prinzipiell gegen eine europäische Regierung: Doch er will sie nur mit Staaten teilen, die sich an die Regeln der fiskalischen Disziplin halten, die in Deutschland offiziell hochgehalten werden. Dass genau Deutschland das erste Land war, das unter Rot-Grün wegen der Landtagswahlen in NRW als erstes Land die Maastricht-Kriterien über Bord geworfen hat, ist in der aktuell aufgeheizten Diskussion längst vergessen.

Frankreich will schon bald Vorschläge für eine neue, integrierte Euro-Zone vorlegen. Italien unterstützt Frankreich dabei. Die Osteuropäer und die Balten stehen eher auf der Seite Deutschland. Die Konflikt, der das klare Potenzial einer Spaltung der EU in sich birgt, steuert auf seinen nächsten Höhepunkt zu.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Militär statt Frieden? Was das EU-Weißbuch 2030 wirklich bedeutet
19.07.2025

Mit dem Weißbuch „Bereitschaft 2030“ gibt die EU ihrer Sicherheitspolitik eine neue Richtung. Doch Kritiker warnen: Statt...

DWN
Politik
Politik Nordkoreas Kronprinzessin: Kim Ju-Ae rückt ins Zentrum der Macht
18.07.2025

Kim Jong-Un präsentiert die Zukunft Nordkoreas – und sie trägt Handtasche. Seine Tochter Kim Ju-Ae tritt als neue Machtfigur auf. Was...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Birkenstock: Von der Orthopädie-Sandale zur globalen Luxusmarke
18.07.2025

Birkenstock hat sich vom Hersteller orthopädischer Sandalen zum weltweit gefragten Lifestyle-Unternehmen gewandelt. Basis dieses Wandels...

DWN
Politik
Politik 18. Sanktionspaket verabschiedet: EU verschärft Sanktionsdruck mit neuen Preisobergrenzen für russisches Öl
18.07.2025

Die EU verschärft ihren wirtschaftlichen Druck auf Russland: Mit einem neuen Sanktionspaket und einer Preisobergrenze für Öl trifft...

DWN
Politik
Politik China investiert Milliarden – Trump isoliert die USA
18.07.2025

China bricht alle Investitionsrekorde – und gewinnt Freunde in aller Welt. Trump setzt derweil auf Isolation durch Zölle. Wer dominiert...

DWN
Finanzen
Finanzen Energie wird unbezahlbar: Hohe Strom- und Gaskosten überfordern deutsche Haushalte
18.07.2025

Trotz sinkender Großhandelspreise für Energie bleiben die Kosten für Menschen in Deutschland hoch: Strom, Gas und Benzin reißen tiefe...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzen: Deutsche haben Angst um finanzielle Zukunft - Leben in Deutschland immer teurer
18.07.2025

Die Sorgen um die eigenen Finanzen sind einer Umfrage zufolge im europäischen Vergleich in Deutschland besonders hoch: Acht von zehn...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kursgewinne oder Verluste: Anleger hoffen auf drei entscheidende Auslöser für Börsenrally
18.07.2025

Zölle, Zinsen, Gewinne: Neue Daten zeigen, welche drei Faktoren jetzt über Kursgewinne oder Verluste entscheiden. Und warum viele...