Politik

EU will Verteilung der Flüchtlinge mit Mehrheit erzwingen

Die EU-Innenminister haben einen mehrheitlichen Beschluss zur Aufteilung von 120.000 Flüchtlingen in der EU gefasst. Die Quote wird jedoch nicht verbindlich sein. Kroatien hat nach einem Ultimatum Serbiens seine Grenzen wieder für Flüchtlinge geöffnet. Ob Kroatien nun die zehntausenden Flüchtlinge in die EU weiterleitet ist unklar.
22.09.2015 17:51
Lesezeit: 3 min

Die EU-Innenminister haben Diplomaten zufolge die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen beschlossen. Die Vereinbarung wurde mit qualifizierter Mehrheit, also nicht einstimmig, getroffen. Dies dürfte zu erheblichen Spannungen vor allem mit den osteuropäischen Staaten führen: Diese hatten sich erst vor einigen Tagen gegen ein Quote ausgesprochen. Ungarns Premier Viktor Orban hatte allerdings erklärt, er werde sich einer Mehrheitsentscheidung beugen.

Einem Tweet des tschechischen Innenministers zufolge stimmten mit seinem Land, der Slowakei, Rumänien und Ungarn vier Länder gegen das Vorhaben. Finnland habe sich der Stimme enthalten. Deutschland hatte sich vor dem Treffen noch zuversichtlich gezeigt, eine einvernehmlichen Lösung innerhalb der EU zu erreichen. Das Vorhaben gilt als erster Schritt hin zu einem neuen "Verteilmechanismus". Polen, das zunächst ebenfalls Bedenken gegen die Verteilung hatte, scherte aus der Visegrad-Gruppe der Gegner aus und stimmte im Rat für das Vorhaben. „Für uns war wichtig, dass Polen dabei ist“, sagte De Maizière.

Den Umschwung scheint mehreren Medien zufolge die überraschende Zustimmung Polens gebracht. Polen hatte seit Monaten blockiert und zuletzt kaum Flüchtlinge aufgenommen. Allerdings ist Polen der Frontex-Standort - als jener Einheit, der als EU-Polizeitruppe für den Schutz der Grenzen zuständig ist. Es ist anzunehmen, dass Polen weitreichende finanzielle Zusagen gemacht wurden. Polen ist außerdem der treueste US-Verbündete in der EU. Die Polen wollen seit langem dauerhafte Nato-Stützpunkte. Es ist denkbar, dass die Nato diesem Wunsch nun nachkommen könnte. Wie das Paket genau aussieht, ist unbekannt. Die EU pflegt bei solche Deals strengstes Stillschweigen.

Die Verteilung der 120.000 Flüchtlinge hatte vorher zu schwerem Streit unter den EU-Ländern geführt. Die EU-Kommission hatte die Umverteilung zur Entlastung von Griechenland, Italien und Ungarn vorgeschlagen, wo besonders viele Migranten ankommen. Aus Italien sollen es 15.600 sein, aus Griechenland 50.400. Auf Deutschland würden von den 120.000 etwa 31.000 Flüchtlinge entfallen.

Die wesentlichste Frage haben die Innenminister jedoch ausgeblendet: Die Quote wird nämlich nicht rechtsverbindlich sein, wie aus dem Kreis der Minister verlautete. Die Slowakei kündigte an, sich nicht an die Quote halten zu wollen.

Der Beschluss der EU-Innenminister stellt nach Einschätzung des slowakischen Regierungschefs Robert Fico einen beispiellosen Vorgang in der EU-Geschichte dar. Solange er Ministerpräsident sei, würden verpflichtende Quoten zur Aufnahme von Migranten nicht in der Slowakei umgesetzt, sagt Fico. Die Länder, die die Quoten "unsinnigerweise" durchsetzten, hätten einen tiefen Graben gezogen.

Eine „Strafzahlung“ für Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, fand laut Diplomaten keine Mehrheit. In einem Entwurf für die Konferenz hatte es zunächst geheißen, dass die Länder für jeden Flüchtling, dessen Aufnahme sie verweigern, einmalig 6.500 Euro zahlen sollten. Bei besonderen Umständen - etwa Naturkatastrophen - könnten Staaten die auf zwei Jahre eingeplante Aufnahme um ein Jahr strecken. Allerdings ist dies nur für 30 Prozent der Zahl vorgesehen.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR glaubt allerdings nicht, das Vorhaben, 120.000 Hilfesuchende aufzunehmen, werde ausreichen. Wegen des Kriegs in Nahost rechnet UNHCR mit einer wesentlich größeren Zahl an Vertriebenen, die sich auf den Weg nach Europa machen müssen.

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien hat nach einem Ultimatum seines Nachbarns Serbien seine Grenze wieder geöffnet. Nach einem Tag setzten sich am Dienstagnachmittag am wichtigen Grenzübergang Bajakovo-Batrovci auf der E70 zwischen Belgrad und Zagreb die Lastwagen wieder in Bewegung. Der LKW-Stau hatte zuletzt elf Kilometer betragen. Zuvor hatte Serbiens Regierungschef Aleksandar Vucic der EU und Kroatien mit nicht näher beschriebenen «Gegenmaßnahmen» gedroht.

Vucic hatte die Schäden für den In- und Export seines Landes, das EU-Beitrittskandidat ist, auf 20 Millionen Euro beziffert. Er werde nicht zulassen, dass Kroatien sein Land «erniedrigen und dessen Wirtschaft zerstören kann», hatte er kritisiert. Sein kroatischer Amtskollege Zoran Milanovic hatte ihn wegen des Ultimatums mit den Worten angegangen «Mensch, komm mal runter!».

Kroatiens Innenminister Ranko Ostojic hatte angekündigt, die Grenzen würden erst dann wieder geöffnet, wenn Serbien den Transport Zehntausender Flüchtlinge an seine Grenze mit Kroatien stoppe. Ob Serbien jetzt, wie von Zagreb verlangt, die Flüchtlinge über andere Länder umleitet, blieb zunächst offen.

Die EU hatte ursprünglich versucht, Serbien und andere Nicht-EU-Staaten wie die Türkei als Wartesaal für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten zu instrumentalisieren. Doch die Strategie, die Länder mit Geld zu überzeugen, ist nicht aufgegangen - wie eine Analyse der Ereignisse zeigt.

Berlin, 23. Sep (Reuters) - Unmittelbar vor dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise wird die Europäische Kommission einem Zeitungsbericht zufolge an diesem Mittwochmorgen 40 Vertragsverletzungsverfahren gegen 19 EU-Länder einleiten. Ihnen werde vorgeworfen, die bestehende europäische Asylgesetzgebung bisher nicht ausreichend umgesetzt zu haben, berichtete die "Welt" unter Berufung auf EU-Kreise. Betroffen seien davon neben Deutschland unter anderem auch Frankreich, Italien, Österreich, Spanien, die Niederlande und Ungarn. Dem Bericht zufolge sind Dänemark, Irland und Großbritannien von dem Verfahren ausgenommen. Für diese Länder gelten Sonderregeln im Asylrecht.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits vor zwei Wochen Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten angekündigt, die die Beschlüsse der gemeinsamen Asylpolitik nicht umgesetzt haben.

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