Die Politik des extrem billigen Geldes stößt nach Einschätzung von EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch allmählich an Grenzen. „Wir haben zwar noch Munition. Aber die Wirkung wäre sehr viel größer, wenn die notwendigen Reformen getätigt würden“, sagte Mersch am Mittwochabend vor Journalisten in Frankfurt. „Ich will nicht in Abrede stellen, dass man eine gewiss Reformmüdigkeit in manchen Ländern spürt.“
Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte vor einer Woche beschlossen, ihre milliardenschweren Anleihenkäufe um ein halbes Jahr bis mindestens März 2017 zu verlängern. Kritiker werfen der Notenbank vor, mit der Geldflut die Lösung der strukturellen Probleme in vielen Euroländern auszubremsen.
„Selbstverständlich sind wir uns im EZB-Rat der Risiken bewusst“, versicherte Mersch. „Wenn man solche Sondermaßnahmen ergreift, macht man das nicht blind, sondern wägt Kosten und Nutzen ab. Dass das nur Nutzen bringt, da machen wir uns nichts vor. Je länger das dauert, umso größer werden auch die Kosten werden.“ Die Mehrheit im EZB-Rat sei jedoch der Ansicht, dass die bisherigen Maßnahmen wirkten. Ohne Eingreifen der EZB „wären wir solide in die Deflation abgerutscht“.
Die Notenbank strebt mittelfristig eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Über ihr Kaufprogramm pumpt sie seit März monatlich 60 Milliarden Euro in die Märkte, zudem verharrt der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,05 Prozent. Das billige Geld soll die Konjunktur anschieben und die seit Monaten extrem niedrige Inflation anheizen.
„Wenn uns der Himmel auf den Kopf fallen sollte, wären wir in der Lage, auf zusätzliche Munition zurückzugreifen“, sagte Mersch. „Man darf aber nicht vergessen, dass wir erst bei der Hälfte unsere Programms angekommen sind und dass noch immer eine ganze Herde von Milliarden darauf wartet, von uns aufgekauft zu werden.“ Werden Anleihen fällig, will die EZB diese Gelder künftig wieder in neue Papiere stecken. „Das, was wir reinvestieren werden bis 2019, kann man auf 320 Milliarden Euro beziffern“, sagte Mersch.
Für unbegründet hält Mersch die Aufregung um angebliche Geheimkäufe der nationalen Euro-Notenbanken. „Es ist unwahr, dass wir nicht wissen, was geschieht. Wir werden wöchentlich informiert, was die nationalen Zentralbanken kaufen. Wir werden monatlich Wertpapier für Wertpapier, ISIN für ISIN über die Käufe informiert.“
Den nationalen Notenbanken sind im Rahmen der „Anfa“-Vereinbarung (Agreement on Net Financial Assets) in gewissem Umfang eigene Wertpapiergeschäfte erlaubt. Weil die Bestände nach Berechnungen eines Berliner Finanzwissenschaftlers in den Jahren 2006 bis 2012 nach oben schnellten, steht der Vorwurf im Raum, die Notenbanken finanzierten Staaten verbotenerweise mit der Notenpresse.
Dies könne ausgeschlossen werden, betonte Mersch: „Beim Thema Staatsfinanzierung machen wir ein permanentes Monitoring.“ Die Anfa-Bestände der nationalen Notenbanken erklärten sich unter anderem durch deren Engagement in Sachen Pensionsvorsorge. Fünf nationale Zentralbanken verwalteten zudem traditionell Wertpapierbestände für Drittländer und internationale Institutionen, einige hätten in Ermangelung eigener Goldreserven ein Investmentportfolio aufgebaut. Zuletzt lag das Volumen der Anfa-Papiere bei 575 Milliarden Euro.
Nach ersten kritischen Berichten zu Anfa hatte in der vergangenen Woche auch EZB-Präsident Mario Draghi betont, man könne sicher ausschließen, dass es sich bei den Käufen der nationalen Euro-Notenbanken um monetäre Staatsfinanzierung handele.