Politik

„Viele Regierungen wissen nicht, was ihre Bürger wollen“

Lave Knud Broch war einer der Organisatoren des dänischen Referendums gegen die Aufgabe der Polizei-Hoheit an die EU. Broch hält es für einen Fehler, dass die Bürger in den EU-Ländern nicht gefragt werden, was sie wollen. Die demokratischen Defizite dürfen nicht einfach hingenommen werden.
22.12.2015 02:03
Lesezeit: 3 min
„Viele Regierungen wissen nicht, was ihre Bürger wollen“
Lave Knud Broch. (Foto: Lave Broch) Foto: FRIHEDSFOTOGRAFERNE

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Volksentscheid in Dänemark über die Übertragung weiterer Macht an die EU in Sachen Sicherheit hat mit einem klaren „Nein“ geendet. Warum?

Lave Knud Broch: Ich denke, es wurde in Dänemark hauptsächlich deshalb ein „Nein“, weil die Mehrheit der Dänen der EU keine überstaatliche Macht über Justizpolitik geben wollte. Und auch, weil die Nein-Fraktion generell bessere Argumente und eine bessere Kampagne als die Ja-Seite hatte.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was wird mit den Bürgerrechten in der EU geschehen, wenn die Sicherheit (bzw. die Polizei) eher durch Europol als auf einer nationalen Ebene geführt wird?

Lave Knud Broch: Die Justizpolitik der EU beeinflusst die Bürgerrechte und Privatsphäre/Datenschutz bereits jetzt. Ich denke nicht, dass es schon möglich ist, sich ein klares Bild davon zu machen, da niemand weiß, welche Gesetze in Zukunft noch kommen werden.

Das Wichtigste im Moment ist, der Demokratie die besten Umstände zu verschaffen, sodass wir von Fehlern lernen und bessere Gesetze machen können. Manchmal können auch nationale Gesetze schwierig sein. Sie können jedoch einfacher geändert werden als EU-Gesetze.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Dänische Regierung hätte die Änderung unterstützt – hat aber verloren. Wissen Regierungen in Europa nicht, was ihre Bürger wollen?

Lave Knud Broch: In vielen Ländern gibt es einen großen Unterschied zwischen den Ansichten der Bürger und denen der Regierung, was die EU betrifft. Ich würde sagen, dass die Regierung in Island und ihre Bürger in Sachen EU übereinstimmen. Aber in vielen anderen Ländern der EU sieht es nicht so gut aus.

Die meisten Regierungen versuchen Volksentscheide bezüglich der EU zu vermeiden und ich denke, das ist sehr undemokratisch. Beispielsweise hatten nur zwei Länder Entscheide zum Euro. Das waren Dänemark und Schweden und wir haben „Nein“ gesagt. Keines der Euro-Länder hat seine Bevölkerung in speziellen Entscheiden zum Euro befragt und ich weiß, dass Umfragen zum Beispiel im Baltikum gezeigt haben, dass die Menschen den Euro nicht wollten.

Wenn es um überstaatliche Gesetzgebung geht, ist Dänemark das einzige Land, in dem es einen entsprechenden Volksentscheid gab. Also vermute ich, dass viele andere Nationen gar nicht wissen, was mit der Gesetzgebung geschieht, und dass ihre Demokratien in Zukunft eingeschränkter sein werden...

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wird sich die EU in ein Gebilde entwickeln, das Bürgerrechte eher unterdrückt als sie zu schützen?

Lave Knud Broch: Es ist schwer zu sagen, wohin sich die EU entwickeln wird. Doch eine Union mit einem demokratischen Defizit zu bilden, ist kein guter Weg. Ich denke, es bestehen große Probleme mit Terrorismus-Fahndungslisten, Fluggastdatensätzen, dem Europäischen Haftbefehl und Facetten der EU-Terrorgesetze. Ich begrüße aber die Entscheidung des EUGH bezüglich Aufzeichnungen - etwa von E-Mail-Listen, SMS etc. - , also gibt es auch Licht im Dunkel.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wir sehen, wie die NATO mehr und mehr die Agenda in der EU bestimmt. Wird das Militär nun mächtiger als gewählte Regierungen?

Lave Knud Broch: Ich denke, dass es nicht die NATO ist, die die Agenda bestimmt, sondern Politiker und Regierungen, die manchmal undemokratische Entscheidungen fällen. Ich bin nicht glücklich über die Entwicklung, in der das menschliche Leben nicht mehr als das Wichtigste verstanden wird, das es gibt. Ich denke, dass jedes menschliche Leben verteidigt werden sollte.

Sogar viele westliche Länder haben Dinge getan, die die Menschenrechte untergraben, zum Beispiel Folter zu unterstützen. Das muss aufhören und wir müssen beginnen, uns anzuschauen, wie man nachhaltigen Frieden schaffen kann. Das schließt den Stopp von Waffenlieferungen an Länder, die Menschenrechte konstant verletzen, ein. Die EU fördert den Export von Waffen und das ist eine Bedrohung für Menschen in anderen Ländern.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was Krieg betrifft, so befürworten Sie eine gewaltfreie Lösung von Konflikten. Aber im Moment scheint es, dass Krieg das bevorzugte Mittel geworden ist, um Konflikte zu lösen. Wohin wird das führen?

Lave Knud Broch: Der Weg, den viele Länder momentan beschreiten, ist ein gefährlicher. Ich denke, es ist an der Zeit für uns, auszuwerten, was wir tun. Wir müssen verstehen, dass alle Menschen Sicherheit wollen und brauchen. Ein menschliches Leben in Dänemark oder Deutschland ist nicht mehr wert als ein menschliches Leben in einem anderen Land. Ich denke, dass weitere Bombardierungen und mehr Gewalt uns keine sicherere Welt bescheren werden. Natürlich brauchen wir Militär zur Verteidigung (so wie die Welt heute aussieht), doch uns zu verteidigen, bedeutet keine Handlungen, die anderen Völkern schaden. Wir müssen den tieferen Ursachen für Konflikte nachgehen und die Dinge stoppen, die wir tun und die Konflikte anheizen (wie zum Beispiel Waffenlieferungen an Länder, die ständig Menschenrechte verletzen). Wenn wir militärische Handlungen weiterführen, die Menschenrechte und internationales Recht missachten, könnte das dazu führen, dass wir zerstören, was nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde. Ich bin ein überzeugter Unterstützer der Vereinten Nationen und ich werde weiterhin aktiv für eine stärkere UN arbeiten. Ich hoffe, dass wir wieder auf einen friedvollen Weg in der Welt zurückfinden werden.

Lave Knud Broch ist dänischer Politiker und Vizepräsident der Europeans United for Democracy (EUD). Er war einer der führenden Köpfe des Referendum in Dänemark gegen die Abgabe der Polizei-Kompetenzen an die EU.

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