Die Bundesregierung folgt auch für 2016 dem Kurs von Angela Merkel und will die deutschen Grenzen weiter für alle Flüchtlinge offen halten. Das Bundesinnenministerium rechnet einem Bericht des Magazins Spiegel zufolge damit, dass sich in diesem Jahr rund eine Million Flüchtlinge aus der Türkei auf den Weg nach Europa machen könnten. Der Spiegel berichtete, diese Zahlen habe der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder am Mittwoch in Brüssel bei einem Treffen genannt, an dem etwa EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos teilgenommen habe.
Demnach geht das Ressort von Thomas de Maiziere davon aus, dass die Türkei höchstens 200.000 der Migranten zurückhalten und selbst unterbringen könne. Ein Ministeriumssprecher kommentierte den Bericht zunächst nicht.
Die Türkei soll nach den Vorstellungen von Kanzlerin Angela Merkel beim Kampf gegen die illegale Einwanderung eine zentrale Rolle spielen. Die EU und die Regierung in Ankara haben dafür eine Vereinbarung geschlossen. Vorgesehen sind im Gegenzug Milliardenhilfen für die Türkei und Visaerleichterungen.
Tatsächlich kracht es gewaltig zwischen der EU und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Denn die EU hat trotz aller Versprechungen die vereinbarte Summe für die Zurückhaltung der Flüchtlinge in der Türkei nicht bezahlt, weil über die interne Finanzierung gestritten wird. Es ist denkbar, dass die Ereignisse von Köln Angela Merkel antreiben dürften, Druck auf die EU zu machen und endlich zu zahlen. Doch die meisten anderen europäischen Staaten haben keine Eile: Die Skandinavier haben ihre Grenzen dichtgemacht, ebenso Ungarn, Spanien und Frankreich. Nach Großbritannien ist eine illegale Einreise faktisch unmöglich. Die Osteuropäer lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen ab.
Damit dürfte klar sein, dass der Großteil der neuen Flüchtlinge nach Deutschland weitergeschickt wird. Auch in Österreich dürften die Zahlen steigen, weil die österreichischen Bundesregierung in der Frage keinen eigenständigen Kurs fährt, sondern sich an Deutschland angehängt hat.
Erdogan hatte bereits vor Monaten Geld von der EU verlangt, damit er die Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten in der Türkei festhält. Doch die EU hat nicht gezahlt - worauf Erdogan die Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa zu lenken begann: So wurden Fälle bekannt, die darauf schließen lassen, dass die türkische Küstenwache im großen Stil Schutzgeld von den Schleppern erpresst. Bei Nichtzahlungen sollen sogar Flüchtlingsboote versenkt worden sein.
Die EU dagegen wiegt sich in der Illusion, Erdogan könne sich an sein Versprechen halten und die Schlepper zurückhalten. Die Drohung der EU, die Vereinbarung in Frage zu stellen, wird in Ankara keinerlei Wirkung entfalten: Erdogan hat die EU in der Hand und wird diese Karte auch wegen der geopolitischen Probleme, in die die Türkei wegen des Eingreifens Russlands in Syrien geraten ist, bis zuletzt gegen die EU ausspielen.