Technologie

IT-Experte: Kognitive Systeme eröffnen neue Freiräume

Computer und Mensch „verstehen“ sich im wahrsten Sinne des Wortes immer besser. Dabei helfen unter anderem neue Techniken wie Dialogfähigkeit und Interpretation von Sprache sowie die Auswertung handschriftlicher Texte. Dazu gehört aber auch der Siegeszug von Smartphones, leistungsfähige Mini-Computer, die mit immer intelligenteren Apps ausgestattet werden können. Watson ist hierfür Wegbereiter der ersten Stunde, seine kognitiven Fähigkeiten finden immer häufiger Eingang in die IT-Systeme von Unternehmen oder lernenden Apps. Wichtig aber auch: kognitive Systeme wie Watson werden den Menschen niemals ersetzen.
26.09.2016 07:46
Lesezeit: 4 min

„Wir befinden uns am Beginn eines neuen Zeitalters“, sagt Alessandro Curioni, Direktor des Forschungszentrums von IBM in Zürich. Allein in den vergangenen zwei Jahren sei ein Datenberg entstanden, der so groß sei wie alle Daten zusammen, die jemals zuvor auf der Welt angefallen sind. Nun gehe es darum, diese Daten intelligent zu nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen und neue Erkenntnisse zu gewinnen.

„Bis 2020 werden rund 93 Prozent aller anfallenden Daten unstrukturiert sein“, zitiert die dpa Curioni. Dazu gehörten neben Videos oder Bildern auch Text und natürliche Sprache. Insbesondere die Auswertung dieser Informationen gehört zu den großen Herausforderungen einer neuen Generation von Computersystemen. Auf der International Supercomputing Conference in Frankfurt (ISC) im vergangenen Juni zeigte IBM daher unter anderen, dass Watson in der Lage ist, Sprache zu verstehen und auch den Sinn und die Feinheiten komplexer Sätze zu interpretieren.

Befreiung aus monotoner Arbeit

Seit Gründung des Unternehmens vor über hundert Jahren hat sich IBM zum Ziel gesetzt, daran mitzuwirken, „eine bessere Welt zu gestalten“ und dafür zu sorgen, Menschen von monotoner Arbeit zu befreien. Die Entwicklung von Watson folgt diesem Credo. Watson bietet vollkommen neue Optionen, den Arbeitsalltag von Menschen zu erleichtern und zu verbessern. „Diese Kombination von Sprache, Lernfähigkeit sowie der Darstellung alternativer Antworten oder Lösungen gab es in der Geschichte der Datenverarbeitung noch nie“, sagt Dirk Heitmann, Director Cognitive Solutions Deutschland, Österreich, Schweiz. Das klingt verheißungsvoll und das ist es auch. Denn Cognitive Computing ist ein echter Game Changer – vergleichbar mit dem Übergang von Tabelliermaschinen zu programmierbaren Computern.“ Es gelte, Menschen von immer wiederkehrenden Arbeiten zu befreien, neues Wissen und neue Erkenntnisse aus ständig wachsenden Mengen an strukturierten Daten und unstrukturierten Informationen zu erlangen, dieses zu teilen und damit gleichzeitig mehr Raum für kreatives Denken und Handeln zu schaffen. Watson finde genau in diesem Spannungsfeld zwischen intelligenter Hilfestellung und der Befreiung von monotoner Arbeit seine Rolle im Arbeitsalltag.

„Kognitive Systeme werden entwickelt, um den Menschen zu entlasten und ihn bei seiner täglichen möglichst intelligent zu unterstützen“, so Heitmann. „Die letzte Entscheidungsinstanz sollte aber in jedem Fall immer der Mensch bleiben.“ Hinzu komme seiner Ansicht nach ein weiterer Aspekt: „Sie können überall da Lücken schließen, wo mangels Rentabilität oder Verfügbarkeit Dienstleistungen nicht oder nicht mehr angeboten werden.“ Die Botschaft des Fachmanns: „Lernende Systeme werden niemals unser eigenes kreatives Denken ersetzen. Aber sie sollen und werden uns sehr wohl von eintönigen, langweiligen und immer wiederkehrenden Aufgaben entlasten, sodass wir sehr viel besser unsere intellektuellen Potenziale nutzen können.“

Das sieht auch Dr. Wolfgang Hildesheim, Watson Solution Sales Manager in Deutschland, Österreich und der Schweiz, so. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung verneint er den Gedanken, Watson ein Bewusstsein geben zu wollen. Er sagt: „Das ist nicht unser Ziel. Uns geht es nicht darum, die Fähigkeiten des Gehirns nachzubilden, sondern die Idee ist vielmehr, ein lernendes System zu entwickeln, das in der Interaktion mit Menschen und gezielten Trainings seine eigenen Fähigkeiten, sein Wissen und Können permanent vertieft und erweitert.“ Watson akkumuliere vielmehr im Laufe dieser Trainings Wissen und entwickle Inselbegabungen, die das System zur Beantwortung thematisch begrenzter Fragestellungen oder für die Bearbeitung bestimmter Aufgaben befähigten, im Idealfall wie ein menschlicher Experte. Aber Watson sei nicht darauf ausgelegt, eine umfassende „künstliche Intelligenz“ zu entwickeln.

Watson erschließt neue Geschäftsmodelle

„Lernende Systeme repräsentieren nicht nur eine weitere neue Technologie, sondern leiten eine vollkommen neue Ära ein, die den Umgang mit Computern massiv verändern wird“, sagt Heitmann. In der Interaktion mit Menschen könnten diese ihre eigenen Fähigkeiten, ihr Wissen und ihr Können permanent erweitern.“

Die neuen Möglichkeiten der Datenauswertung sind auch eine wichtige Voraussetzung für die schnelle Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Insbesondere Start-ups profitieren davon und werden damit zu ernsthaften Konkurrenten etablierter Unternehmen. Nach einer Studie von IBM rechnet jedes zweite Unternehmen in Deutschland damit, dass branchenfremde Wettbewerber das eigene Geschäftsmodell attackieren werden. Doch auch die Etablierten wittern Morgenluft: Fachliche Kompetenz werde nun mit den Möglichkeiten von kognitiven Technologien und Industrie 4.0 kombiniert (Link auf Artikel 6/ Fabrik/John Deere).

Die IBM Experten Niklaus Waser und Friedrich Vollmar skizzieren in einem Beitrag in der FAZ vom 23. November 2015 unterschiedliche Einsatzszenarien von Industrie 4.0. Zum einen gelte es, direkt in den Fabrikhallen anzusetzen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass „Maschinen beziehungsweise Fertigungsmodule miteinander kommunizieren und zu jedem Zeitpunkt an jeder Stelle im Produktionsprozess ausgetauscht oder modifiziert werden können“. Andererseits ergäben sich Ansatzpunkte im Bereich neuer oder erweiterter Services durch die Nutzung und Auswertung von Maschinendaten. Das Stichwort hier laute Internet der Dinge oder auch Industrial Internet. „Das Potenzial ist enorm: Bereits heute gibt es rund neun Milliarden vernetzte Geräte, aber rund 90 Prozent dieser Daten können gegenwärtig nicht genutzt werden, obwohl sie wertvolle Informationen liefern könnten, etwa zu aktuellen Betriebszuständen oder Verbrauchsdaten“, so die Autoren. „Diese Daten helfen auch bei der Gestaltung neuer Geschäftsmodelle.“

In Mittelpunkt stünden die Entwicklung neuer Services und Betreibermodelle. Interessante Optionen ergäben sich etwa in der Kombination von Services mit Leasing- oder Mietmodellen. Das reiche von der Kaffeemaschine über Lackieranlagen bis zur Turbine: „Dabei bleiben die Anlagen und Maschinen im Besitz des Herstellers, bezahlt wird nach Leistung und Verfügbarkeit – also etwa dem Kaffeeverbrauch, der Anzahl der lackierten Karosserien oder den Flugstunden.“ Dieses Vorgehen, so die Autoren, sei zwar nicht grundsätzlich neu, doch der wesentlich verbesserte direkte Zugriff auf die Betriebsdaten, wenn nötig auch in Echtzeit, biete auch hier enorme Vorteile: „Zum Beispiel im Hinblick auf die rechtzeitige Anlieferung neuer Kaffeebohnen oder die vorausschauende Instandhaltung von Triebwerken.“

„Vom Industrial Internet wird auch das Smart Home profitieren“, sagen Waser und Vollmar. Fragestellungen wie vorausschauende Wartung, Software-Updates aus dem Netz, Steuerung, Ferndiagnosen und Fehlerbehebung in Echtzeit seien bis her nur in Ansätzen gelöst. Daher hat Diehl Controls, ein Hersteller für intelligente Sensoren und Steuerungstechnik, gemeinsam mit IBM eine Cloud-Plattform entwickelt, in der erstmals die Daten vernetzter Geräte auch unterschiedlicher Hersteller gesammelt, überwacht, ausgewertet und analysiert werden können. „Im Sinne neuer Services-Modelle wird es damit auch möglich, dass Hersteller oder Versorger Dienstleistungen direkt online erbringen oder veranlassen können“, so die Autoren.

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