Deutschland

Kirill Petrenko: Eine russische Seele erobert die Berliner Philharmonie

Kirill Petrenko, ab 2019 neuer Chef der Berliner Philharmoniker, stand am Mittwoch erstmals am Pult in der Philharmonie. Er dirigierte das fabelhafte Bayrische Staatsorchester und machte klar, dass Berlin nach dem Brexit von Simon Rattle mit Petrenko eine neue Ära erleben wird.
15.09.2016 00:43
Lesezeit: 1 min
Kirill Petrenko: Eine russische Seele erobert die Berliner Philharmonie
Kirill Petrenko am Mittwoch in der Berliner Philharmonie. (Foto: DWN)

Die Berliner Philharmoniker haben mit der Wahl von Kirill Petrenko zum neuen Chefdirigenten eine gewagte Entscheidung getroffen. Petrenko war bisher noch nicht übermäßig als Konzertdirigent tätig, sondern vor allem in der Oper. Doch Petrenkos Auftritt mit dem fabelhaften Bayrischen Staatsorchester im Rahmen des Musikfests Berlin am Mittwochabend in der Philharmonie dürfte, so sie anwesend waren, die letzten Zweifler überzeugt haben: Die Berliner Philharmoniker werden mit dem Russen am Pult eine neue musikalische Welt gewinnen. Denn anders als Simon Rattle, der sich mit seinem persönlichen Brexit ins Vereinigte Königreich verabschiedet, bringt Petrenko eine radikale emotionale Intelligenz mit. Rattle hat mit einer gewissen aufführungspraktischen Komponente und hoher analytischer Kompetenz den Philharmonikern in den vergangenen Jahren zu einem kühlen, fast unbestechlichen  Glanz verholfen.

Petrenko ist nicht nur ein exzellenter Analytiker, sondern getrieben von einem ungewöhnlichen musikantischen Temperament. Schon bei György Ligetis legendärem "Lontano" überraschte Petrenko mit einer Art harmonischem Dekonstruktivismus: Er suchte in dem schwebenden Werk nach Melodien und Höhepunkten und gestaltete sie ohne jeden Manierismus. Béla Bartóks erstes Violinkonzert mit einem herausragenden Frank Peter Zimmermann erklang wie eine Vorahnung auf das Gesamtwerk Bartóks und zugleich wie eine hochwertige Vorlage für alles, was später von vielen Hollywood-Komponisten geschrieben werden sollte - etliche wie Bartók Emigranten aus dem versinkenden Europa. Mit Richard Strauss' schwer zu interpretierenden, eigenwilligen "Symphonia Domestica" zeigte Petrenko, was er aus einem ohnehin schon erstklassigen Orchester herausholen kann: Petrenko emanzipierte die Symphonie von ihrem biederen Theorie-Konzept und arbeitete das Allgemein-Menschliche heraus, wie es sogar in der Familie Strauss in seiner damaligen Charlottenburger Wohnung gelegentlich aufgeblitzt sein könnte. Es ist sehr gut, dass man von Petrenko noch keinen Mahler kennt - er wird ihn hoffentlich mit den Philharmonikern völlig neu entdecken. Unerhörte Konzerte sind zu erwarten.

Als Zugabe wählte Petrenko das Vorspiel zu Wagners "Meistersingern" - eine äußerst geistreiche Idee, mit der Petrenko sein Credo offenlegte: Es geht um die Musik, und sonst um gar nichts.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kurzarbeit auf Rekordhoch: Kritik an Verlängerung des Kurzarbeitergeldes wächst
02.04.2025

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Wirtschaft: Verbände fordern dringenden Kurswechsel der Koalition
02.04.2025

Bitte kein "Weiter-so"! Mit Unmut blicken deutsche Wirtschafts- und Industrieverbände auf das, was die noch namenlose Koalition aus Union...

DWN
Politik
Politik Neue US-Zölle: Was die deutsche Wirtschaft fürchten muss
02.04.2025

Die geplanten Zölle von US-Präsident Trump sorgen für Unruhe in Europa. Niemand weiß genau, welche Branchen betroffen sein werden –...

DWN
Politik
Politik Ukraine erhält massive Militärhilfe aus Schweden und den Niederlanden – Russland weitet Einberufungen aus
02.04.2025

Die Ukraine erhält verstärkte militärische und finanzielle Unterstützung von Schweden und den Niederlanden, während Russland...

DWN
Politik
Politik Migration: Nancy Faeser sieht eigene Migrationspolitik als Erfolg
01.04.2025

Während SPD und Union über eine mögliche Koalition verhandeln: Die geschäftsführende Innenministerin Faeser präsentierte heute...

DWN
Politik
Politik Handelskonflikt eskaliert: EU prüft bislang ungenutztes Instrument
01.04.2025

Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA stehen kurz vor einer Eskalation. US-Präsident Trump plant neue Zölle auf eine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Trumps Zölle - Warum Hyundai jetzt auf Milliarden-Investitionen in den USA setzt
01.04.2025

Geht sein Plan auf? Trumps Zollerhöhungen erzwingen bereits drastische Reaktionen. Hyundai investiert 21 Milliarden US-Dollar in die USA,...

DWN
Politik
Politik AfD holt in Umfrage auf: Union büßt nach Bundestagswahl stark ein
01.04.2025

Nach der Bundestagswahl verliert die Union in den Umfragen, während die AfD kräftig zulegt. Auch SPD und Grüne verzeichnen Rückgänge,...