Politik

Think Tank: Wenn Italien scheitert, wird sich die deutsche Haltung ändern

Lesezeit: 5 min
12.07.2012 00:38
Pieter Cleppe vom Think Tank OpenEurope hält die Rettungsschirme EFSF und ESM für zu klein, um den Euro zu retten. Er glaubt, dass die Deutschen in dem Moment umdenken werden, in dem Italien einen Bailout benötigt.
Think Tank: Wenn Italien scheitert, wird sich die deutsche Haltung ändern

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben Sie, dass der ESM jemals in Kraft treten wird? Es scheint, als gäbe es jede Menge Unsicherheiten aufgrund der Ergebnisse des letzten EU-Gipfels?

Pieter Cleppe: Wenn nicht das deutsche Bundesverfassungsgericht mit seiner Tradition, europäische Rettungsschirme durchzuwinken, trotz ein paar kleiner Änderungen am Rande bricht, glaube ich selbstverständlich, dass der ESM in Kraft treten wird. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob die Änderungen am ESM Vertrag, die auf dem letzten Gipfel beschlossen wurden, aber bis jetzt noch nicht durchgeführt sind, jemals in Kraft treten werden. Jedoch erwarte ich, dass auch diese durchgeführt werden. Die erste Hürde stellen die Aussagen von Finnland und den Niederlanden dar, dass sie ihr Veto einlegen würden, wenn der ESM Bonds kauft. Allerdings erlaubt es der Ablauf eines Notfalls im ESM, dass Entscheidungen mit 85 Prozent aller Stimmen getroffen werden. Was es sehr wahrscheinlich macht, dass diese Länder überstimmt werden. Zweitens gibt es für die Möglichkeit, dass der ESM direkt Banken finanziert  jedoch die Bedingung, dass ein überwachender Mechanismus für die Eurozone eingerichtet wird, was laut Offiziellen ein Jahr dauern könnte. Letztendlich wird aber wahrscheinlich ein Deal ausgehandelt werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Südeuropäer wollen eine direkte Finanzierung für ihre Banken aber Deutschland ist nicht dazu bereit. Was kann der ESM in seiner jetzigen Form diesbezüglich ermöglichen?

Pieter Cleppe: Es scheint, als ob Deutschland hierbei nachgegeben hätte. EU-Kommissar Olli Rehn hat nun klar gemacht, dass der ESM die Risiken der Aktien, die er bei der Rettung der Banken aufnehmen wird, in seine Bilanz überträgt. Dabei wiederspricht Rehn auch gleichzeitig Behauptungen von Offiziellen der Mitgliedsstaaten, dass die Risiken bei den betroffenen Mitgliedsländern liegen würden. Natürlich muss immer noch ein Abkommen in Bezug auf die Bankenaufsicht geschlossen werden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EU-Bankenaufsicht ist eine der Bedingung für Deutschland, um der Bankenhilfe zuzustimmen. Wie kann dies in den bestehenden gesetzlichen Rahmen des ESM eingebracht werden?

Pieter Cleppe: Die momentane Version des ESM Vertrages, die verabschiedet wird, ermöglicht es den Banken zu helfen. Dies kann aber nur durch Mitgliedstaaten und mit Bedingungen verknüpft geschehen. Sie versuchen, dies nun durch Artikel 19 des ESM Vertrages zu ändern, welcher es dem ESM Vorstand ermöglicht, die Liste der Instrumente die in Artikel 14 und 18 zur finanziellen Unterstützung zur Verfügung gestellt sind, zu überprüfen. Es ist dem Vorstand jedoch nicht erlaubt Artikel 12 zu verändern, der die Grundsätze des ESM Vertrages regelt. Diese Grundsätze beinhalten, dass einem ESM Mitglied unter strengen Auflagen Unterstützung gewährt wird, was gleichzeitig bedeutet, dass eine Bank keine Hilfe ohne strenge Auflagen bekommt. Dieser Abschnitt wurde auch von Juristen vor dem niederländischen Senat verteidigt, aber die niederländische Regierung hat klar gemacht, dass sie eine neue parlamentarische Ratifizierung vermeiden will.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Läuft Europa die Zeit davon?

Pieter Cleppe: Nicht unbedingt. Bis jetzt hat die Europäische Zentralbank den Euro durch das zur Verfügung stellen von Geldern im Gegenzug auf fragwürdige Staatsanleihen zusammen gehalten. Weitere Maßnahmen waren das Aufkaufen von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, massive langfristige Refinanzierungsgeschäfte und das gewähren von Nothilfen für Griechenland, Irland und Zypern. Demzufolge war es den Zentralbanken dieser Länder möglich, ihre Banken mit ungefähr 150 Milliarden Euro auszustatten. Allerdings stellt die Spitze des Eisbergs das Target 2 System dar. Dies war entscheidend, um die EU Mitgliedsländer auszubeuten, was natürlich Deutschland mit einschließt, und es ermöglichte, fast 500 Milliarden Euro allein an Griechenland zu transferieren. Es gibt keinen Grund, warum die Europäische Zentralbank nicht mit diesem bisherigen Kurs weitermachen sollte, für den Fall, dass ein neuer Notfall ausbricht. Ab einem gewissen Punkt ist es wahrscheinlich, dass die Konsequenzen all dessen ans Tageslicht kommen. Dies könnte sich beispielsweise in den Inflationszahlen oder auch den wirtschaftlichen Zahlen ausdrücken, wobei der Widerstand in der deutschen Politik dann wahrscheinlich ansteigen würde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Manche Analysten sagen, dass Deutschland die meiste Zeit als Gewinner dasteht. Auf dem Gipfel haben sie keine substantiellen Zugeständnisse machen müssen. Stimmen Sie dem zu?

Pieter Cleppe: Nein. Deutschland hat ganz klar eingeräumt, dass der ESM nicht nur in der Theorie in der Lage sei, Bonds zu kaufen, sondern auch in der Praxis. Des Weiteren wurde festgelegt, dass es möglich sein wird, Banken direkt über den ESM zu finanzieren. Natürlich gibt es immer die üblichen Diskussionen nach jedem Gipfel, was jetzt eigentlich genau beschlossen wurde, aber wie viel klarer können die Ergebnisse dieses Mal denn sein?

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Im Grunde genommen ist der ESM zu klein, um Spanien und Italien zu retten. Was muss unternommen werden um den Euro zu retten?

Pieter Cleppe: Um die Eurozone zusammen zu halten, sind die derzeitigen massiven Rettungsschirme immer noch nicht ausreichend. Die Rettungsfonds müssten in der Lage, sein mindestens zwei Billionen Euro zu verleihen, um die Eurozone nur ein paar Jahre bis Ende 2014 zusammen zu halten, wenn man die Refinanzierungsbedingungen der bedeutenden Peripherieländer Spanien und Italien zu Grunde legt. Momentan entspricht die kombinierte Feuerkraft von ESM und EFSF gerade einmal 500 Milliarden Euro. Diese unglaublichen Finanztransaktionen in Form von Rettungsfonds oder Eurobonds sind jedoch ungeeignet, um irgendetwas Nützliches dazu beizutragen, wenn es darum geht, die Währungsunion auf lange Sicht nachhaltiger zu gestalten. Das Geld wird nur dazu reichen, die Arbeitslosenunterstützung in den Peripherieländern zu zahlen. Daher sollten wir darüber nachdenken, welche Alternativen es zum ESM gibt: Eine Aufstockung ist aus meiner Sicht in keinem Fall anzustreben. Vielleicht muss man dann den Mut haben, auch einmal ernsthaft über das Aufbrechen der Euro-Zone nachzudenken.

In der Theorie sind diese Staaten in der Lage eine interne Abwertung vorzunehmen, wie es Lettland getan hat, aber in der Realität sind sehr große Risiken damit verbunden. Allerdings würde selbst dann das Problem bestehen bleiben, da es für die Europäische Zentralbank virtuell unmöglich ist, ein einzelnes Zinsniveau zu beschließen, welches für eine ganze Anzahl verschiedener Wirtschaften geeignet wäre.

Dies hat Spanien und Irland, welche beide den Stabilitätspakt eingehalten haben, in ernste Schwierigkeiten geführt. Hauptsächliche Ursachen waren ein Immobilienboom und eine Pleite, welche durch eine sehr hohe Privatverschuldung verursacht wurde. Es ist natürlich möglich, dass die Wirtschaften der Eurozone sich mit der Zeit angleichen, aber dies ist in den letzten zehn Jahren nicht passiert. Deutschlands Altersproblem, welches den eigenen Sozialstaat belasten wird, schränkt darüber hinaus die Möglichkeit der deutschen Wirtschaft ein, als Rückgrat der kompletten Eurozone zu fungieren. Daher ist es auf längere Sicht gesehen wichtig, eine Debatte über die Länder zu führen, welche die tatsächliche Fähigkeit haben, an einer nachhaltigen Währungsunion teilzuhaben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Es gibt einen Mangel an Selbstvertrauen in der Politik. Die Märkte vertrauen den Regierungen schlicht und einfach nicht. Könnte dies dem ESM zum Verhängnis werden?

Pieter Cleppe: Eine Menge an politischem Kapital wurde in den ESM investiert und nicht nur in Deutschland. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es komplett zu den Akten gelegt wird, nur weil es nicht funktioniert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Geldmarktfonds ziehen sich aus dem Euro zurück. Sehen Sie die Möglichkeit, dass den Machthabern das Geld ausgeht?

Pieter Cleppe: Unglücklicherweise ist dies bereits passiert. Italien und Spanien mussten schon im Sommer 2011 durch die Europäische Zentralbank gerettet werden. Dies bedeutet, dass alle fünf betroffenen Peripherieländer und Zypern sich nun in der Obhut der EZB befinden. Auf kurze Sicht gesehen kann der italienische Finanzierungsbedarf gedeckt werden, allerdings wird das zunehmend negative wirtschaftliche Wachstum zu einer ernstzunehmende Belastung für das Budget werden. Italien hat immer noch ein starkes verarbeitendes Gewerbe. Dies bedeutet, dass große Wettbewerbsreformen durchaus durchführbar sind, jedoch nur in einem sehr schwierigen Umfeld. Wenn Italien scheitert geht und einen umfassenden Bailout braucht, denke ich, dass sich die generelle Einstellung in Deutschland schnell ändern würde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In der Struktur des ESM gibt es keine Zuverlässigkeit und Transparenz. Wohin wird das führen?

Pieter Cleppe: Viele europäische Rechnungshöfe haben den ESM als nicht transparent genug kritisiert. Dies ist eine berechtigte Sorge im Hinblick auf die Tatsache, dass die Institution in der Lage sein wird, über hunderte von Milliarden Euro der Steuerzahler zu entscheiden. Ungeachtet dessen scheint die Konstruktion des ESM immer noch zu demokratisch, um effektiv zu sein. Um es klar zu sagen: Für mich ist Demokratie jedoch wichtiger als Finanzinstrumente zur Schuldenunion. Die Entscheidungen, die getroffen werden müssten, um die Eurozone zu stabilisieren, sind nicht vereinbar mit der Demokratie. Daher muss auch hier über Alternativen nachgedacht werden - die Demokratie können wir auf keinen Fall für die Euro-Rettung preisgeben. Das Dilemma der Währungsunion wird jedoch bleiben, solange es keine grundsätzliche Änderung gibt: In Deutschland wollen viele Menschen nicht länger zahlen und im Süden wollen viele Menschen einfach nicht auf das hören, was andere ihnen raten. Wer kann es ihnen verdenken?

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manch Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...