In den vergangenen Wochen war viel über die Strategie der Europäischen Zentalbank (EZB) spekuliert worden. Vor allem Mario Monti und Mariano Rajoy hatten vehement den ungebremsten Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB gefordert. Mario Draghi hatte auf diese Forderungen zwar verbal stark ("der Euro ist unumkehrbar") reagiert, jedoch den Worten keine sichtbaren Taten folgen lassen. Stattdessen hatte Draghi etwas kryptisch von "neuen Instrumenten" gesprochen, die die EZB vorbereite.
In einer Notiz haben nun die Kredit-Strategen von Goldman Sachs Charles Himmelberg und Lofti Karoui etwas Licht in das Dunkel gebracht: Offenbar ist es den EZB-Chefs etwas mulmig geworden bei der Möglichkeit, immer mehr Geld in die Banken zu pumpen, damit diese dann die Staatsanleihen von in Bedrängnis geratenen Staaten kaufen. Dies war die Hauptintention der letzten EZB-Tender (LTRO) gewesen. Auf diese Weise wurden die Zinssätze für Bonds künstlich gedrückt. Bei den Banken häuften sich jedoch die Bestände an riskanten Papieren - womit ein Teufelskreis in Gang gesetzt wurde. Denn nun stellt sich, wie die Citi analysiert, dass ein weiterer LTRO kontraproduktiv wäre: Weil die Banken schon so viele Staatsanleihen halten, sei bei einer weiterer Geldschwemme zu erwarten, dass die Banken dazu übergehen würden, Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt zu verkaufen - um ihre eigenen Bilanzen zu retten. Damit würden jedoch die Zinssätze in die Höhe getrieben, und die Probleme der Staaten würden erneut dramatisch ansteigen.
Daher plane die EZB, so die Golman-Analysten, künftig Anleihen von Unternehmen anzukaufen. Durch einen solchen Einstieg in den "non-financial" Sektor würde eine mögliche Kreditklemme verhindert. Denn von den bisherigen LTROs ist so gut wie nichts in der Realwirtschaft angekommen. Diese Maßnahme könnte auch über einen speziellen Tender geschehen, in dem die Banken gezwungen würden, das Geld direkt in Form von Krediten an die Realwirtschaft weiterzureichen. Die Bank of England praktiziert diese Methode schon seit einiger Zeit.
Nach Goldmans Einschätzung würde eine solche Form der Kreditfinanzierung auch indirekt den Staaten helfen - nämlich durch höheres Wachstum. Interessant ist, dass man bei Goldman die weitere Finanzierung von Staaten über die EZB als moralisch riskant hält. Dies bedeutet, dass die Finanzindustrie selbst nicht mehr davon überzeugt ist, dass Staatsanliehen auch nur eine einigermaßen sichere Anlage seien. Wenn man bedenkt, dass Staatsanleihen noch bis vor kurzem als vollkommen sicher galten und daher als eher unattraktive Anlageform angesehen wurden, kann man ermessen, wie weit die Schuldenkrise die Staaten selbst an den Rand der Finanzierbarkeit getrieben hat. Offenbar glauben die EZB-Banker den Regierungen auch nicht mehr, dass sie ihre Sparversprechungen einhalten können. Die hartnäckige Weigerung Spaniens oder Italiens, einen vollen Bailout für das eigene Land in Erwägung zu ziehen, dürfte die Glaubwürdigkeit der Politik bei der EZB deutlich geschwächt haben.
Das größte Problem einer solchen Maßnahme dürfte jedoch die Inflation sein: Denn wenn das Geld wirklich in den Wirtschaftskreislauf kommt, ist eine Abwertung praktisch nicht zu verhindern. Dies könnte auch einer der Gründe sein, warum die EZB noch recht zögerlich wirkt, wenn es um den Einsatz der neuen Instrumente geht. Es ist auch anzunehmen, das der massive Widerstand von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann genau hier seinen Grund hat: Denn aus deutscher Sicht wäre eine Inflation höchst unwillkommen, weil Deutschland wegen seiner hohen Vermögenswerte von einer deutlichen Entwertung des Euro am stärksten betroffen wäre. Außerdem befindet sich die EZB in der Zwickmühle: Ihr oberstes Ziel ist die Geldwertstabilität. Es scheint jedoch, dass angesichts der sich zuspitzenden Schuldenkrise nun in der Wahl zwischen Pest und Cholera ernsthaft abgewogen werden muss.