Politik

Gauck: „Europa braucht keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger“

Bundespräsident Joachim Gauck sagte in seiner ersten großen Europa-Rede, dass Deutschland nichts mit dem Dritten Reich zu tun habe. Um aber als Global Player dennoch zu bestehen, brauche Europa noch mehr Vereinheitlichung. Es sei aber schon ein gutes Zeichen, dass die Deutschen Schuhe aus Spanien und Autos aus Tschechien kaufen. Gauck: „Es wächst Frieden aus immer größerer wirtschaftlicher Verflechtung.“
22.02.2013 12:01
Lesezeit: 3 min

Bundespräsident Joachim Gauck hat einen sicheren Instinkt für die Stimmung im Volk. Während er zu Beginn seiner Amtszeit und davor ein glühender EU-Fan war, hat er offenbar mitbekommen, dass sich einige auch in Deutschland nicht ganz so wohlfühlen. Daher fiel seine erste Rede zu Europa deutlich zurückhaltender aus als erwartet. Gauck wirkte etwas orientierungslos und brachte etwas skurrile Vorschläge: Er will einen gesamteuropäischen TV-Kanal, den die „Medienmenschen“ errichten sollen, indem über Europa berichtet wird. Dieser Sender könnte eine „europäische Agora“, sein, ein „Arte für alle“.

Die Medien sollten mehr über Europa berichten. Gauck sagte zwar nicht ausdrücklich wie, aber es war unmissverständlich: Positiver berichten, wie das der Friedensnobelpreis-Träger Herman Van Rompuy von den Europäern verlangt (hier). Gauck forderte außerdem „Mehrsprachigkeit für alle“, was man sich praktisch nicht recht vorstellen kann.

Gauck deutete an, dass Europa vielleicht doch etwas mehr Rücksicht auf die grundlegenden Probleme nehmen sollte. „Takt und Tiefe der europäischen Integration werden von der Bürgern Europas bestimmt“, sagte Gauck. Und: „Die Europäische Vereinigung darf nicht von oben dekretiert werden.“ Die deutschen Bürger seien gute Europäer, weil sie keinen Reisepass mehr brauchen und „Schuhe aus Spanien und Autos aus Tschechien“ kaufen.

Gaucks Rede hatte einen grundsätzlichen Denkfehler, der sich leider durch alle anderen Gedanken zog und die Rede daher eigentlich sinnlos erscheinen lässt. Gauck sagte: „Es wächst Frieden aus immer größerer wirtschaftlicher Verflechtung.“ Und: „Das Vereinte Europa muss ein Global Player bleiben.“

Hier zeigen die Fakten, dass das Gegenteil der Fall ist: Immer größere wirtschaftliche Verflechtung führt zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Sie ist die Grundlage für eine globale Feudalherrschaft, an der Martin Luther als der ehemalige Chef von Gauck wahrlich keine Freude gehabt hätte. Immer größere wirtschaftliche Verflechtung macht auch Kontrolle und Transparenz immer schwerer. Daher kann die Unterwerfung unter einen unkontrollierten Finanz-Kapitalismus nicht im Interesse einer echten Bürgergesellschaft sein. Das hat Gauck allerdings schon bisher nicht verstanden: Seine historischen Äußerungen zum Kapitalismus kann man als ziemlich weltfremd bezeichnen (mehr hier bei DMN). Warum überhaupt irgend ein Global Player sein muss, und ob dieses „Global Play“ nicht vielleicht ein gesellschaftlich gefährliches und wirtschaftlich für die Mehrheit höchst unergiebiges Spiel ist – darüber müsste ein Theologe eigentlich etwas zu sagen haben.

Unlogisch-Logisch ist daher auch die merkwürdige Mischung aus Unterwürfigkeit und Pathos, die Gauck der Brüsseler Zentrale entgegenbringt: Europa brauche „keine Bedenkenträger, sondern Bannerträger“. Und: Die EU sei schrecklich „kompliziert, aber sie muss auch Kompliziertes leisten“.

Bei Gauck hatte man den Eindruck, dass er auch nach 60 Jahren immer noch erleichtert ist, dass die Weltgemeinschaft den Deutschen die Nazi-Verbrechen verziehen hat. Es sei Deutschland erspart geblieben, „eine Existenz als verstoßener Fremdling aus der Völkergemeinschaft“ führen zu müssen.

Das ist ja schön und gut – aber die Einführung des Euro war dann vermutlich doch der eine Schritt zu viel, mit dem das deutsche Schuldbewusstsein direkt in die wirtschaftliche Geiselhaft führte. Denn wirtschaftspolitisch kann ein- und dieselbe Währung für völlig unterschiedliche Volkswirtschaften nur funktionieren, wenn die Währungsunion auch eine unwiderrufliche Transferunion ist. Dass der Nationalismus in einem solchen auf Druck aufgebauten Kunstgebilde die natürlichste Reaktion ist, macht Gauck Angst: „Unsicherheit und Angst dürfen niemanden in die Hände von Populisten und Nationalisten treiben.“ Das ist allerdings so, weil die Bürger sich eben trotz aller Aussicht auf „Freibier für alle“ „Mehrsprachigkeit für alle“ eben immer noch in erster Linie als Zugehörige einer Nation fühlen. Durch Sparzwang und Vernichtung des Vermögens ist Europa jedoch dort angekommen, wo es eigentlich kein denkender Politiker hätte hinführen dürfen: in der vollkommenen Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen, als Spielball der Spekulanten, als Manövriermasse im Monopoly der wirkliche globalen Player des internationalen Finanzsystems.

Dort stehen wir heute, und das hat Gauck – wie die meisten deutschen Politiker – im Grunde nicht verstanden. Was er verstanden hat ist, dass das Ganze irgendwie eine ernste Sache ist. Daher schloss der Bundespräsident seine Rede mit einem religiösen oder heiratstechnischen Bekenntnis, bei dem ihm fast die Tränen kamen: „Wir haben uns Europa versprochen. Heute erneuern wir das Versprechen.“

Auch bei manch einer Goldener Hochzeit denken sich die Jubilare, dass sie in den vielen Jahren vielleicht doch einige gravierende Fehler gemacht haben.

Die gesamte Rede im Wortlaut - hier.

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