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Brasilien: Von der Fußball-WM profitieren Konzerne, Politiker und Banken

Die Fußball-WM in Brasilien hat die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft. vielen Arbeitern droht der Absturz in die Armut. Im Land gibt es Millionen Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Hinter zahlreichen Firmen stecken Senatoren und Abgeordnete. Die Politik bedient sich, das Volk bezahlt den Preis.
02.06.2014 02:40
Lesezeit: 4 min

Brasiliens Wirtschaft brummt. „Der Lebensstandard steigt aber nicht für alle. Zahlreiche Menschen bleiben auf der Strecke“, sagt Manuel Campos, langjähriger Leiter der Abteilung Ausländische Arbeitnehmer beim Vorstand der IG Metall.

Campos ist vor 40 Jahren als Arbeitsmigrant aus Portugal nach Deutschland gekommen. Brasilien ist ihm sehr vertraut: Er hat vier Jahre lang als Sozialreferent in der deutschen Botschaft in Brasilia gearbeitet. Danach war er Verbindungsmann der IG Metall beim brasilianischen Gewerkschaftsdachverband CUT in São Paulo.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie ist das Arbeitsleben in Brasilien im Vergleich zu Deutschland und zu Europa?

Manuel Campos: Die Arbeitsbedingungen sind in Europa entschieden besser als in Brasilien. Man spricht in Brasilien immer noch von der Existenz von Sklavenarbeit - nicht in dem Sinne von Sklaverei, wie man sie früher hatte. Es geht um „sklavenähnliche Arbeitsbedingungen“. Es geht um Millionen Menschen, die ohne Arbeitsvertrag arbeiten, die ihre eigene Arbeitskleidung und ihre eigenen Arbeitsinstrumente mitbringen und bezahlen müssen. Bis heute ist so was üblich in Brasilien.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Erlebt man so was auch in den Städten oder nur in abgelegenen Gebieten auf dem Lande?

Manuel Campos: Meistens findet so etwas in abgelegenen Gebieten vor, wo die Behörden das kaum kontrollieren können. Die Regierung versucht ja das Phänomen zu bekämpfen. Das Arbeitsministerium schickt immer wieder Truppen, die sich die Arbeitslokale anschauen. Ein Problem ist, dass hinter diesen ausbeuterischen Betrieben oft ehrenwerte Personen stecken: Senatoren oder Abgeordnete, Großgrundbesitzer. Im Bereich der Landwirtschaft sieht man das sehr oft. Aber auch in der Textilindustrie, wo sehr viele Arbeiter aus dem Ausland arbeiten, zum Beispiel aus Bolivien. Die Firma Zara aus Spanien lässt zum Beispiel viele Produkte in Brasilien fertigen. Von Subunternehmen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen produzieren. Das passiert nicht nur in den abgelegenen Gebieten, sondern auch in Großstädten. Ein anderes Beispiel ist die Gastronomie. Wenn man die Restaurants kontrolliert, dann stellt man fest, wie viele Leute unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Küchen arbeiten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es einen Mindestlohn in Brasilien? Wie hoch liegt er?

Manuel Campos: Der liegt bei etwas weniger als 300 Euro.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Reicht der aus zum Leben?

Manuel Campos: Das ist nicht viel. Gerade in Großstädten wie São Paulo ist das lächerlich. Denn das Leben in São Paulo, wo ich zweieinhalb Jahre gelebt habe, ist sehr teuer. São Paulo ist eine der teuersten Städte der Welt. Viel teurer als zum Beispiel Frankfurt. Als ich 2010 dorthin gezogen bin, war São Paulo die zehnteuerste Stadt der Welt. Frankfurt war auf Platz 50.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und durch die Weltmeisterschaft wird der Lebensunterhalt auch nicht billiger…

Manuel Campos: Alles wird teurer. Für manchen ist das unerträglich. So mancher nutzt die WM, um das große Geld zu machen. Wir machen das hier in Europa genauso: Wenn es Messen gibt, dann sind auch hier die Hotels viel teurer. In Brasilien hat man aber wirklich über das Ziel hinausgeschossen. Die Hotels sind teilweise unbezahlbar.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie lang sind die Arbeitszeiten in Brasilien?

Manuel Campos: Die Verfassung regelt in Brasilien fast alles: Die Arbeitsrechte und auch die Arbeitszeiten. Anders als bei uns sind die Arbeitsrechte in der Verfassung verankert. Es ist sehr schwierig, diese Rechte zu verändern, denn dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Und die Verfassung sagt, die Arbeitszeit beträgt 44 Stunden in der Woche. Es gibt einige Betriebe, die aufgrund von bilateralen Verträgen mit den Gewerkschaften, 42 Stunden-Wochen – in der Regel – oder gar 40 Stunden-Wochen – in Ausnahmefällen – eingeführt haben. Aber wenn ein Arbeitgeber dagegen klagt, dann verlieren diese bilateralen Verträge ihre Gültigkeit und die Belegschaften müssen wieder 44 Stunden arbeiten.

Die Verfassung regelt sogar die Länge der Mittagspausen in den Betrieben. Diese sollen eine Stunde betragen. Es gibt viele Firmen, die mit den Gewerkschaften ausgehandelt haben, nur eine halbe Stunde Mittagspause zu gewähren und dafür entsprechend früher Dienstschluss zu machen. In Einzelfällen ist aber dagegen geklagt worden. Deshalb musste die Mittagspause wieder auf eine Stunde verlängert werden. Inzwischen fordern sowohl die Arbeitgeber als auch einige Gewerkschaften mehr Flexibilität in der Arbeitsgesetzgebung. Aber viele Gewerkschaften sind auch sehr konservativ und wollen nichts verändern. Sie wollen, dass alles so bleibt wie bisher. Sie leben bislang sehr gut von den Zwangsbeiträgen ihrer Mitglieder.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Brasilien wurde acht Jahre lang von Lula da Silva, einem ehemaligen Gewerkschaftsführer regiert. Nun seit vier Jahren von Dilma Roussef. Linke Regierungen, denen aber manchmal vorgeworfen wird, eine Unternehmer-freundliche Politik zu machen…

Manuel Campos: Lula hat bei Amtsantritt gesagt: Ich werde als Präsident meine Herkunft nicht verleugnen, aber ich will Präsident aller Brasilianer sein. Tatsächlich hat er oft die Vertreter der Gewerkschaften empfangen, aber auch die Vertreter der Großkonzerne. Dilma empfängt noch öfter die Vertreter der Großkonzerne. Die Gewerkschaftsvertreter empfängt sie aber immer seltener. Diese Aufgabe hat sie an einen Minister und einen Staatssekretär abgegeben. Eine direkte Kommunikation zwischen den Gewerkschaften und der Präsidentin findet nicht mehr statt. Die Positionen der Gewerkschaften erreichen Dilma nur noch in gefilterter Form. Und darüber beschweren sich die Gewerkschaften sehr…

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Gewerkschaften drohen damit, das Land lahmzulegen während der WM…

Manuel Campos: Die Gewerkschaften haben schon immer für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Korruption demonstriert. Die sozialen Bewegungen, die gegen die WM auf die Straße gehen, setzten sich aber nicht in erster Linie aus Gewerkschaftern zusammen. Es sind aus Menschen aus allen sozialen Schichten, darunter viele Studenten. Sie protestieren gegen Missstände in den Schulen und im Gesundheitswesen. Unmittelbar nach der WM geht schon der Wahlkampf in Brasilien los und die Proteste werden sich verschärfen…

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das Thema der Verschuldung der privaten Haushalte ein großes Problem in Brasilien?

Manuel Campos: Für die Familien ist es ein großes Problem. Für manche Banken ist es ein Segen. Für mich ist es eine logische Entwicklung. Viele Menschen, die zu der ärmsten Schicht der Bevölkerung gehörten, haben eine große Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren, als Lula die Macht übernommen hat. Mit Dilma wurde diese Entwicklung fortgesetzt. Im Zuge des Kampfs gegen die Armenviertel, die Favelas, ist das Angebot an preisgünstigen Wohnungen stark gestiegen. Viele Leute haben die Favelas verlassen, haben dann angefangen, sich mehr zu leisten. Und danach wollten sie sich noch mehr leisten. Es wurden auch Kleinkredite zur Verfügung gestellt. Per Gesetz wurde auch bestimmt, dass jeder ein Anrecht auf ein Bankkonto haben sollte. Ob er Geld hatte oder nicht, jeder sollte das Recht haben, ein Bankkonto zu eröffnen. Das war ein Segen für die Banken, denn es hat ihnen ermöglicht, den neuen Kunden Kredite anzudrehen. Und viele arme Familien haben die Kontrolle über ihre Finanzen verloren. Die Menschen in Brasilien werden dazu angehalten, Konsumgüter auf Kredit zu kaufen. Fernseher, Mikrowellen, Autos, Kleidung. Viele verkalkulieren sich und schaffen es nicht, ihre Schulden zurückzuzahlen…

Das vollständige Interview im Audio-Mitschnitt:

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Der renommierte Investigativ-Journalist Antonio Cascais begleitet für die Deutschen Wirtschafts Nachrichten in den kommenden Wochen die Entwicklung in Brasilien. In der Rubrik „Das andere Tagebuch der Fußball WM“ wird Cascais über die sozialen Probleme und die Proteste der Brasilianer gegen das Kommerz-Spektakel berichten. Cascais hatte zuletzt mit seiner TV-Dokumentation „die story – Geschäfte wie geschmiert?“ (mit Marcel Kolvenbach) für Aufsehen gesorgt. In der Doku zeigten die Autoren die Hintergründe eines U-Boot-Deals in Portugal auf. Der Film ist in der Mediathek des WDR abrufbar.

Teil 1: Die Revolution hat in Brasilien Feuer gefangen

Teil 2: Brasilien: Künstler protestieren gegen die Fußball-WM

 

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