Politik

EU-Ratspräsidentschaft: Nemzow-Mord ist Weckruf für das russische Volk

Die EU-Ratspräsidentschaft Litauen hat das russische Volk aufgerufen, nach dem Mord an Boris Nemzow aufzuwachen und seine „Würde zu verteidigen“. Putin wolle Russland in einen totalitären Staat umwandeln. Michail Gorbatschow warnt den Westen dagegen, den Anschlag für antirussische Tendenzen zu missbrauchen. Putin fürchtet seit längerem, dass der Westen eine „bunte Revolution“ gegen ihn anzetteln könnte.
28.02.2015 13:23
Lesezeit: 3 min

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Nach dem Mord an dem russischen Oppositions-Politiker Boris Nemzow hat sich die lettische Ratspräsidentschaft ungewöhnlich harsch geäußert. Der Kommentar des lettischen Außenministers Edgars Rinkevics entsprach zwar fast wortgleich dem von US-Präsident Barack Obama und enthielt sich einer politischen Schlussfolgerung.

Doch der litauische Botschafter in Washington, Zygimantas Pavilionis, legte in seinem Tweet dagegen die diplomatischen Handschuhe ab. Er schrieb:

Es ist Zeit für das russische Volk aufzuwachen und seine Würde zu verteidigen. Der Mörder Putin (,#Putinkiller‘) bereitet Russland auf ein totalitäres Regime vor. Der Weg zur Hölle. RIP Nemtsov.“

Vor allem die Verwendung des Hashtags #Putinkiller ist in diplomatischen Kreisen eigentlich ein absolutes No-Go: Der Hashtag wird auf Twitter von einer Gruppe verwendet, die besonders aggressiv gegen Putin diskutiert.

Litauen hat einige Experten, die diese Kommunikations-Form pflegen: So postete der Chefredakteur der Zeitung 15min aus Vilnius, Rimvydas Valatka, ein Foto unter diesem Hashtag, das Putin blutverschmiert mit Hakenkreuz und SS-Runen im Gesicht zeigt. Der Botschafter in Washington ist der wichtigste Job im diplomatischen Dienst in den EU-Staaten. Vor allem in den neuen Mitgliedsstaaten in Osteuropa werden die Botschafter sehr eng geführt, weshalb man nicht davon ausgehen kann, dass die Attacke aus Litauen ein Ausrutscher ohne Wissen der Regierung ist.

Der litauische Botschafter in Washington hatte erst kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Delfi gesagt, dass es legitim sei, Putin mit Hitler zu vergleichen. Pavilionis sagte in dem Interview auch, dass die litauische EU-Präsidentschaft darauf setze, dass der US-Kongress ihr „helfen“ werde, die harte Linie in der EU gegen Russland durchzusetzen.

Nach dem Mord haben Botschafter mehrerer EU-Staaten, unter ihnen der Deutsche Rüdiger Freiherr von Fritsch, den Tatort in Moskau besucht. «Dieser hinterhältige und kaltblütige Mord schadet Russland», sagte von Fritsch am Samstag der dpa.

Der Friedensnobelpreisträger und frühere Kremlchef Michail Gorbatschow hat nach dem Mord an dem Regierungsgegner Boris Nemzow vor einer Destabilisierung der Lage in Russland gewarnt. „Das ist ein Versuch, die Situation zu verschlimmern, vielleicht sogar die Lage im Land zu destabilisieren, die Konfrontation zu verschärfen“, sagte Gorbatschow Medien zufolge am Samstag in Moskau. Dies meldet die dpa.

Die Ermittler gehen von einem politischen Auftragsmord aus. Über Täter und Hintermänner ist bisher nichts bekannt. Gorbatschow zeigte sich bestürzt: Es gehe jeden im Land etwas an, wenn gegen Andersdenkende so vorgegangen werde. „Die Verbrecher müssen gefunden werden, aber auf solche Delikte lassen sich Täter ein, die gewöhnlich schwer ausfindig zu machen sind“, sagte Gorbatschow.

Putin fürchtet seit langem, dass es in Russland zu einer Revolution wie in der Ukraine kommen könnte. Er hält es für möglich, dass der Westen in Moskau einen ähnlichen Umsturz versuchen könnte wie in Kiew und gesagt, Russland werde eine „Farben-Revolution“ verhindern. 

US-Geheimdienste hatten schon vor Monaten eingeräumt, ihr Ziel sei der Sturz Putins.  Der russische Staatssender RT berichtete in seinen Kommentaren mehrfach davon, dass der Mord unmittelbar vor einer geplanten Groß-Demo gegen Putin stattgefunden habe. Die Organisatoren wollen die Demo jedoch in eine Gedenkkundgebung umwandeln. Für Sonntag hat die Stadt Moskau einen Trauermarsch für bis zu 50.000 Menschen genehmigt.

Putin und Nemzow hatten vor zwei Jahren einen öffentlichen Disput darüber, wem die Ermordung eines Oppositionsführers am meisten nützen würde. Putin hatte gesagt, er glaube, die Opposition werde einen der Ihren ermorden, um Chaos im Land zu stiften.

Nemzows Parteifreunde sehen das allerdings ganz anders. Ilija Jaschin sagte Echo Moskau: „Nemzow war ein gestandener Oppositionsführer, der die wichtigsten Offiziellen in unserem Land kritisiert hat, einschließlich Präsident Putin. Wie wir gesehen haben, ist solche Kritik gefährlich für das eigene Leben.“

Gorbatschow warnte allerdings davor, die Bluttat im Westen zum Schüren antirussischer Tendenzen zu missbrauchen. Die Hintermänner hätten offenkundig darauf gesetzt, den Druck auf Russland zu erhöhen. „Natürlich versuchen gewisse Kräfte, das Verbrechen für ihre Ziele zu nutzen, sie denken doch alle darüber nach, wie sie Putin loswerden können“, sagte Gorbatschow.

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier haben noch keine politischen Bewertungen des Mordes abgegeben: Merkel forderte Russlands Präsident Wladimir Putin auf, zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen würden. Steinmeier erklärte, er sei „schockiert von der kaltblütigen Ermordung“ Nemzows. Dieser habe sich gegen Korruption und Willkür gestellt, auch wenn seine eigene Freiheit darunter gelitten habe. Mit seiner Ermordung werde „einer furchtlosen Stimme ein jähes und feiges Ende gesetzt“. Die Urheber des Anschlags müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden.

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