Politik

EU verschiebt Entscheidung über Russland-Sanktionen

Lesezeit: 3 min
20.03.2015 01:07
Niederlage für die Hardliner in der EU: Ein endgültiger Beschluss über die Verlängerungen der Sanktionen gegen Russland soll erst im Juni gefasst werden. Die EU will offenbar zuerst das Griechenland-Problem lösen, um ein Veto aus Athen zu verhindern.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Die EU bleibt über die Haltung gegenüber Russland weiter gespalten: Nachdem der Widerstand gegen die Sanktionen bereits im Vorfeld gewachsen war, konnten sich die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel nicht auf eine klare Linie verständigen: Die EU hat beschlossen, die Entscheidung über das weitere Vorgehen erst beim EU-Ministerrat im Juni zu treffen. Aktuell sollen die Sanktionen im Juli auslaufen.

Die FT notiert, dass diese Entscheidung „die Hoffnungen einiger Hardline-Staaten sowie des Gastgebers des Gipfels, Donald Tusk enttäuscht“ habe, die eine „unverzügliche Verlängerung der Sanktionen“ bei diesem Gipfel angestrebt hätten. Um den Hardlinern um den polnischen Ratspräsidenten Donald Tusk eine gesichtswahrende Verlautbarung zu ermöglichen, stellte die EU lediglich fest, dass die Sanktionen erst aufgehoben werden, wenn die Vereinbarungen von Minsk umgesetzt werden. «Die Dauer der Wirtschaftssanktionen ist gebunden an die komplette Umsetzung des Minsker Abkommens», sagte EU-Gipfelchef Donald Tusk. Das kann nun von den Hardlinern wie eine Vorentscheidung gelesen werden, dass die Sanktionen bis Ende des Jahres laufen, weil das Minsker Abkommen in all seinen Punkten bis zum Ende des Jahres terminiert ist.

Die schwachen Volkswirtschaften im Süden können dagegen hoffen, bis zum Sommer Überzeugungsarbeit geleistet zu haben, dass die Sanktionen ihrer eigenen Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Nach Angaben der spanischen Regierung musste die EU-Wirtschaft bereits Exportverluste in Höhe von 21 Milliarden Euro verkraften. Die Sanktionen sehen etwa ein Verbot der Belieferung russischer Unternehmen mit Spezialtechnik zur Ölförderung oder Exportverbote für Militärgüter vor.

Im Sommer dürfte auch der Druck auf Frankreichs Präsident Francois Hollande gestiegen sein: Frankreich muss in eine Präsidentschaftswahl. Derzeit führt Marine Le Pen alle Umfragen an, eine weitere Verschlechterung der Wirtschaftslage wäre Wasser auf die Mühlen des Front National. Frankreich hat sich als einziger Staat noch bedeckt gehalten. Doch hängt derzeit ein großer Waffendeal in der Luft, den die Franzosen bei aufrechten Sanktionen verlieren würden. Dies würde 2.500 Arbeitsplätze kosten.

Ungemach droht der EU auch von anderen Staaten – Ungarn, Österreich, Italien, die Slowakei und Zypern sind gegen die Sanktionen. Vor allem aber Griechenland könnte eine Verlängerung mit einem Veto blockieren. Der griechische Außenminister Kotzias hatte diese Möglichkeit bereits kurz nach Antritt der neuen Regierung in den Raum gestellt.

Vor einem solchen Schritt scheint sich Brüssel besonders zu fürchten: Aktuell laufen die Verhandlungen mit Griechenland über eine Lösung der Schuldenkrise unproduktiv und stockend. Beide Seiten versuchen, in einem veritablen Poker Druck aufzubauen. So hat die EZB Griechenland gewarnt, mit der Ausgabe von neuen T-Bills eine kurzfristige Finanzierung auf die Beine zu stellen. Die FT berichtet, dass die EZB erwägt, den griechischen Banken den Ankauf dieser Anleihen zu untersagen. Die Begründung: Die Banken werden nur noch von EZB-Krediten liquide gehalten, weshalb die Banken EZB-Gelder zum Ankauf der T-Bills verwenden müssten. Dies sei eine unerlaubte Staatsfinanzierung. Sollte den Griechen dieser Weg abgeschnitten werden, könnte Griechenland per Unfall in eine Staatspleite taumeln.

Doch so sehr von den Euro-Rettern ein „Grexit“ kleingeredet wird, wäre Griechenland damit nicht von der politischen Landkarte verschwunden. Es gibt keine Regelung über den Euro-Austritt eines Landes. Vor allem ist klar, dass Griechenland selbst im Fall eines Euro-Austritts weiter in der EU verbliebe. Damit würde Griechenland weiter in der Lage sein, an allen EU-Entscheidungen mitzuwirken und könnte eine Russland-Entscheidung mit einem Veto stoppen. Sollte sich Griechenland tatsächlich stärker nach Moskau orientieren, um seine Finanzierung zu sichern, könnte Russland eine Zusage an die Bedingung knüpfen, dass Griechenland im Gegenzug die Sanktionen stoppt.

Dieses Risiko ist real – und bringt die EU in eine missliche Lage: Daher werden Angela Merkel und die Euro-Retter alles versuchen, mit Griechenland eine Lösung zu finden, um den Crash zu vermeiden. Dieser wird technisch ebenfalls erst im Juni virulent, wenn die griechische Regierung Staatsanleihen umschulden muss, die 2010 von der EZB gekauft wurden. Daher hofft man in Brüssel, bis zum Juni in beiden Problemkreisen – Griechenland und Russland – etwas mehr Klarheit geschaffen zu haben.

In der Zeit bis dahin werden die EU-Staaten weitere Verluste wegen der Sanktionen verbuchen. Das könnte die Gegner der Sanktionen stärken. Allerdings ist auch zu erwarten, dass die Befürworter der Sanktionen versuchen werden, Russland weiter zu diskreditieren.

Zu diesem Zweck dürfte der Krieg der Worte weitergehen: Als Begründung für die Sanktionen wurde von der EU erneut der Abschuss von Flug MH 17 durch die Russen lanciert. Die Begründung wurde von Nachrichtenagenturen und einigen Medien dankbar aufgegriffen – obwohl der Abschuss, der 298 Menschen das Leben gekostet hatte, bis heute völlig unaufgeklärt ist. Russland hat wiederholt gefordert, die Aufklärung voranzutreiben. Doch die Bundesregierung hält die wichtigen Aufzeichnungen des Funkverkehrs mit dem Tower bis heute unter Verschluss – aus Sicherheitsgründen, wie die Bundesregierung ohne nähere Angaben erklärte.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...

DWN
Finanzen
Finanzen Der Ukraine-Krieg macht's möglich: Euro-Bonds durch die Hintertür
28.03.2024

Die EU-Kommission versucht, mehr Macht an sich zu ziehen. Das Mittel der Wahl hierfür könnten gemeinsame Anleihen, sogenannte Euro-Bonds,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Osterfreude und EM-Fieber: Hoffnungsschimmer für Einzelhandel
28.03.2024

Das Ostergeschäft verspricht eine Wende für den deutschen Einzelhandel - nach einem düsteren Februar. Wird die Frühlingshoffnung die...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkrise für Banken noch nicht überwunden
28.03.2024

Die deutschen (Pfandbrief-)Banken sind stark im Gewerbeimmobilien-Geschäft engagiert. Das macht sie anfällig für Preisrückgänge in dem...