Politik

Streit um deutsch-russische Pipeline spaltet Europa

Die Südeuropäer sind verärgert, weil die EU ihre Pipeline mit Russland gestoppt hat - jene mit Deutschland aber vroantreibt. Die Transatlantiker fallen über Merkel her und werfen ihr vor, die Abhängigkeit von Russland nicht zu verringern. Der Streit ist ein Sittenbild des zerrissenen Europa.
19.12.2015 17:30
Lesezeit: 1 min

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Kreis der EU-Partner wegen des geplanten Ausbaus der Gaspipeline von Russland nach Deutschland erheblich unter Druck geraten. Mehrere süd- und osteuropäische Staaten machten beim EU-Gipfel in Brüssel ihre Einwände gegen das Projekt Nord Stream 2 geltend. Die europäische Energieversorgung werde damit nicht auf eine breitere Basis gestellt, kritisierte EU-Gipfelchef Donald Tusk am Freitag. Merkel (CDU) entgegnete, die Pipeline sei ein wirtschaftliches Projekt mit privaten Investoren.

Merkel verhinderte eine klare Positionierung der EU gegen Nord Stream 2, berichteten Diplomaten. In der Gipfel-Abschlusserklärung wird nicht explizit erwähnt, dass Energieprojekte dieser Art dazu beitragen sollen, Europa unabhängiger von Einfuhren großer Lieferanten wie Russland zu machen.

Tusk verwies darauf, dass der russische Energiegigant Gazprom nach Einschätzung der EU-Kommission mit Nord Stream 2 eine dominierende Stellung auf dem deutschen Markt bekäme. Es gebe aber bisher keine abschließende rechtliche Klärung. Hinter den Kulissen hieß es, das Vorhaben widerspreche den strategischen Interessen der Union.

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi schwang sich zum Wortführer der Kritiker auf und erinnerte, das Pipeline-Vorhaben South Stream sei vor einem Jahr gestoppt worden. «Auf einmal gab es den Versuch, das Prinzip von Nord Stream 2 in aller Stille zu billigen.» South Stream hätte vor allem Südosteuropa mit russischem Gas versorgen sollen. Russland stoppte vor einem Jahr das Projekt nach Einwänden der EU-Kommission.

Renzi verwies auch auf die EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Diese werden wegen unzureichender Fortschritte im Friedensprozess für die Ukraine um weitere sechs Monate verlängert. Die ständigen EU-Botschafter starteten das offizielle Beschlussverfahren, das nächste Woche abgeschlossen werden soll.

Kritische Stimmen gegen die Pipeline kommen mittlerweile auch aus dem Deutschen Bundestag. «Es spricht viel dafür, dass Nord Stream 2 die Ziele der vereinbarten europäischen Energiepolitik konterkariert», sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Wir wollen die Abhängigkeit von Russland in der Energiefrage reduzieren. Nord Stream 2 widerspricht diesem Ziel", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, der FAZ. Spätestens seit der Ukraine-Krise habe man erkannt, dass Energiepolitik Teil der europäischen Sicherheitspolitik sei. Bernd Fabritius, der dem Bund der Vertrieben vorsteht, sagte dem Blatt, Deutschland solle Bedenken Polens gegen Nord Stream 2 berücksichtigen. "Russland hat die Position eines verlässlichen Partners noch lange nicht wiedererlangt, wir sind daher gut beraten, Unabhängigkeit in der europäischen Energieversorgung zu fördern."

Beteiligt an den Nord-Stream-2-Plänen sind neben Russland auch die deutschen Konzerne Eon und BASF sowie das britisch-niederländische Unternehmen Shell, die österreichische OMV und die französische Engie-Gruppe.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Wohntraum wird Luxus: Preise schießen in Städten durch die Decke
13.05.2025

Die Preise für Häuser und Wohnungen in Deutschland ziehen wieder deutlich an – vor allem in den größten Städten. Im ersten Quartal...

DWN
Finanzen
Finanzen Wird die Grundsteuer erhöht? Zu viele Ausgaben, zu wenig Einnahmen: Deutsche Kommunen vorm finanziellen Kollaps
13.05.2025

Marode Straßen, Bäder und Schulen: Fast neun von zehn Städten und Gemeinden in Deutschland droht in absehbarer Zeit die Pleite. Bereits...

DWN
Politik
Politik EU im Abseits: Trump bevorzugt London und Peking – Brüssel droht der strategische Bedeutungsverlust
12.05.2025

Während Washington und London Handelsabkommen schließen und die USA gegenüber China überraschend Konzessionen zeigen, steht die EU ohne...

DWN
Panorama
Panorama Nach Corona nie wieder gesund? Die stille Epidemie der Erschöpfung
12.05.2025

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 600.000 Menschen leiden inzwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtkampf der Tech-Eliten: Bill Gates attackiert Elon Musk – „Er tötet die ärmsten Kinder der Welt“
12.05.2025

Ein milliardenschwerer Konflikt zwischen zwei Symbolfiguren des globalen Technologiekapitalismus tritt offen zutage. Der frühere...

DWN
Politik
Politik Pflege am Limit? Ministerin fordert Reform für mehr Eigenverantwortung
12.05.2025

Pflegekräfte sollen mehr dürfen und besser arbeiten können – das fordert Gesundheitsministerin Nina Warken zum Tag der Pflegenden....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliarden ungenutzt: Irischer Top-Investor fordert Einsatz von Pensionsgeldern zur Stärkung europäischer Technologie
12.05.2025

Die europäische Technologiebranche droht im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten. Der Grund: Staatlich geförderte...

DWN
Politik
Politik Geheime Waffenlieferungen: Kritik an Intransparenz – Ukrainischer Botschafter lobt Merz’ Kurs
12.05.2025

Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hat entschieden, Waffenlieferungen an die Ukraine künftig wieder geheim zu halten – ein...