Politik

EU-Juncker geht auf Italien los: „Habe die Hände zu Fäusten geballt“

In der EU geht es offenbar drunter und drüber: Mitten in der Euro- und Flüchtlingskrise attackiert EU-Präsident Juncker den italienischen Premier Renzi in geradezu unflätiger Weise. Die Nerven liegen in Brüssel blank, weil die EU in atemberaubendem Tempo auseinanderdriftet.
15.01.2016 16:47
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Brüssel hat offenbar völlig auf Panik-Modus geschaltet. Nach den apokalyptischen Visionen von Juncker und Schäuble zur Zukunft des Euro heißt es nun offenbar: Jeder gegen jeden!

Mit Worten an der Grenze zur Unflätigkeit wies EU-Präsident Jean-Claude Juncker am Freitag die Kritik von Italiens Regierungschef Matteo Renzi an der Brüsseler Behörde zurück. „Ich denke, dass der italienische Ministerpräsident - den ich sehr respektiere - jede Gelegenheit nutzt, um die EU-Kommission zu kritisieren“, sagte Juncker in Brüssel. Er wisse nicht, warum Renzi das mache. Die Stimmung zwischen der EU-Kommission und der italienischen Regierung sei „nicht die allerbeste“, räumte Juncker ein. „Ich habe die Hände zu Fäusten geballt, aber ich lasse sie in der Tasche“, zitiert Reuters den Präsidenten. (Wie das ist, wenn ein Politiker die Fäuste aus der Tasche nimmt, demonstrierte weiland Helmut Kohl in Erfurt - Video am Anfang des Artikels).

Juncker erregte sich darüber, dass sich Italien über die Brüsseler Auslegung der Regeln im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt beschwere. Juncker unterstrich, dass die italienische Regierung von der größeren Flexibilität profitiere, die von der EU-Kommission Anfang 2015 beschlossen worden sei. Mit Verweis auf Deutschland fügte Juncker an, dass er die größere Flexibilität gegen den erklärten Willen anderer Mitgliedsstaaten durchgesetzt habe, „einschließlich des Landes, von dem man sagt, es dominiere Europa“.

Italien hat sich zwar aus einer langjährigen Rezession herausgearbeitet, die Wachstumsprognosen bleiben aber hinter denen von Portugal, Spanien oder gar Irland zurück. Renzi machte die Forderungen der EU-Kommission nach einem Abbau der Staatsverschuldung mitverantwortlich für die schleppende Erholung. Die Brüsseler Behörde wiederum muss noch eine Bewertung dazu abgeben, dass die Regierung in Rom für 2016 mit einem Staatsdefizit von 2,4 Prozent statt wie den zuvor zugesagten 1,8 Prozent rechnet. Die Verschuldungsquote des südeuropäischen Landes liegt bei 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit weit über den Vorgaben der EU-Haushaltsregeln.

Juncker kritisierte Renzi zudem für die „erstaunliche Reserviertheit“ gegenüber der vereinbarten Bereitstellung von drei Milliarden Euro für die Türkei in der Flüchtlingskrise. EU-Diplomaten zufolge hat von allen EU-Staaten nur Italien Vorbehalte gegenüber den Finanzmitteln für die Türkei. Für Ende Februar kündigte der EU-Kommissionschef einen Besuch in Italien an.

Die Kritik der EU an Italien ist unfair: Renzi hat die EU und Angela Merkel seit über einem Jahr auf die kommende Flüchtlingskrise hingewiesen, nachdem über das Mittelmeer immer mehr Flüchtlinge gekommen, in Lampedusa gestrandet waren und es unzählige Todesopfer unter den Flüchtlingen zu beklagen gab. Merkel und die EU haben auf die Warnungen und Hilferufe von Renzi nicht gehört. Darauf begann Italien unauffällig, die Flüchtlinge einfach in Richtung Deutschland weiterreisen zu lassen. Auch das nahm Merkel nicht zum Anlass, zu reagieren.

Bereits im Dezember hatte Renzi beim EU-Gipfel gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel heftige Kritik an den deutschen Positionen zur Einlagensicherung sowie der geplanten Nordsee-Pipeline Nord Stream 2 geübt und in einem Zeitungsinterview beim Thema Flüchtlingspolitik noch einmal nachgelegt.

Renzi steht innenpolitisch durch die EU-kritische 5-Sterne-Bewegung sowie die Lega Nord unter Druck. Die Abwahl der Regierungen in Portugal und Spanien, die einen strikten Sparkurs eingeschlagen hatten, hat diesen Druck weiter erhöht. Laut einer Eurobarometer-Umfrage von Oktober ist die Zustimmung zum Euro in keinem Land der Währungsunion so niedrig wie in Italien. Die aktuelle Entwicklung dürfte diese Zahlen noch weiter nach unten treiben.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Aus Alt wird Auto: EU will Rohstoffe besser nutzen- Mehr Recycling im Auto
17.06.2025

Autos bestehen aus wertvollen Rohstoffen – und viele davon lassen sich wiederverwenden. Damit in Europa künftig mehr Recyclingmaterial...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis vor dem Absturz? Citi warnt vor Ende der Rekordrally
17.06.2025

Der Goldpreis steht auf wackligen Füßen: Nach einem Höhenflug von über 30 % warnt Citigroup vor dem Absturz – kommt jetzt der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft ESG-Wende: Banken öffnen sich für Rüstungsfinanzierung
17.06.2025

Lange galten Rüstungsfirmen als tabu für ESG-Investoren – jetzt vollzieht die deutsche Finanzwelt offenbar eine Kehrtwende. Sicherheit...

DWN
Panorama
Panorama OECD-Bericht zur Klimaentwicklung: Unsere Welt wird trockener – Dürreflächen steigen massiv
17.06.2025

Durch den Klimawandel sind immer größere Flächen von Dürre betroffen – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft, Mensch und Umwelt....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drohnenhersteller Helsing: Deutschlands wertvollstes Start-up erhält 600 Millionen Euro von Investoren
17.06.2025

Der Drohnenhersteller Helsing sorgt für Schlagzeilen: Mit einer Milliardenbewertung steigt das Rüstungsunternehmen zum wertvollsten...

DWN
Technologie
Technologie Made in Germany: Wie Technik und Tüfteln Hoffnung machen
17.06.2025

Deutschland war einmal stolz auf seinen Erfindergeist – heute dominiert die Krisenrhetorik. Doch während Politik und Großindustrie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verdi warnt vor Finanzloch: Kommunen brauchen Milliardenausgleich
17.06.2025

Kurz vor dem Spitzentreffen von Bund und Ländern schlägt Verdi‑Vorsitzender Frank Werneke Alarm. Steuerliche Entlastungen für...

DWN
Politik
Politik Russischer Angriff auf Kiew überschattet G7-Gipfel – mindestens 14 Tote
17.06.2025

Russische Raketen treffen Kiew während des G7-Gipfels. Mindestens 14 Menschen sterben – Selenskyj warnt vor Moskaus Strategie, zivile...