Politik

EU will Zuweisung von Flüchtlingen in unwillige Staaten erzwingen

Lesezeit: 2 min
04.05.2016 17:21
Die EU will künftig unwillige Staaten zwingen, Flüchtlinge aufzunehmen. Für jeden abgelehnten Flüchtling müssten die Staaten dann 250.000 Euro bezahlen. Dieser Mechanismus stößt vor allem in Osteuropa auf erbitterten Widerstand. Ungarn spricht bereits von einer Erpressung.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Nach monatelangen Bitten und Drohen will die EU-Kommission die Flüchtlingsverteilung in der EU nun erzwingen. Sie schlug am Mittwoch eine "automatische" Verteilung von Flüchtlingen vor, um stark belasteten Ankunftsländern zu helfen. EU-Staaten, die sich nicht beteiligen, können sich nur durch ein "Strafgeld" von 250.000 Euro pro nicht aufgenommenen Asylbewerber freikaufen. Gleichzeitig bereitete Brüssel den Weg für verlängerte Grenzkontrollen Deutschlands und anderer Staaten wegen der Flüchtlingskrise.

Die Kommission entschied sich am Mittwoch dafür, das bisherige EU-Asylsystem zu reformieren. Die sogenannten Dublin-Regeln sehen vor, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag grundsätzlich dort stellen müssen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten. Dies führte bisher dazu, dass Hauptankunftsländer wie Griechenland und Italien vollkommen überlastet sind und die Flüchtlinge lange ungeregelt in andere EU-Staaten weiterreisen ließen.

Um dies zu verhindern, schlug die Kommission einen "Fairness-Mechanismus" vor. Er wird demnach "automatisch" aktiviert, wenn die Zahl der Asylbewerber in einem Land eine festgelegte Schwelle im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft übersteigt. Dann werden darüber hinaus gehenden Asylbewerber auf die anderen Mitgliedstaaten nach einem festen Schlüssel verteilt.

Aufnahmeverweigerer können für wiederholte Zwölf-Monats-Zeiträume eine Ausnahme beantragen. Sie müssen dann aber die 250.000 Euro pro Asylbewerber zahlen, den sie nicht aufnehmen. Die Kommission nennt das einen "Solidaritätsbeitrag", denn das Geld sollen diejenigen Länder bekommen, die den Flüchtling stattdessen aufnehmen.

Ungarn bezeichnete das Vorhaben als "Erpressung". Der Vorschlag sei "unzumutbar" und "uneuropäisch", sagte Außenminister Peter Szijjarto. Ungarn hat wie die Slowakei beim Europäischen Gerichtshof bereits Klage gegen eine vorübergehenden EU-Verteilmechanismus eingereicht und will spätestens im Oktober auch eine Volksabstimmung über die Frage abhalten.

Im Rahmen ihres "Fairness-Mechanismus" will die Kommission auch berücksichtigen, ob Mitgliedstaaten direkt von außerhalb der EU Flüchtlinge über Umsiedlungen aufnehmen. Dies soll Anreize geben, legale Wege nach Europa zu schaffen. Dem Vorschlag müssen die EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament noch zustimmen.

Dies gilt auch für Pläne der Kommission, die europäische Asylbehörde Easo mit der Befugnis auszustatten, gegen den Willen eines Mitgliedstaates einzugreifen. Eine "Notfall-Intervention" solle möglich werden, wenn ein EU-Land bei hohen Flüchtlingszahlen nicht Asylverfahren sicherstellt, Empfehlungen der Kommission nicht umsetzt und Hilfsangebote verweigert. Das Vorhaben ähnelt damit Plänen für die neue Europäische Grenz- und Küstenwache.

Asylbewerber sollen ihrerseits rechtlich stärker verpflichtet werden, in dem zugewiesenen Land zu bleiben, um "Asyl-Shopping" - also Anträge in mehreren EU-Ländern - zu unterbinden. Dazu soll eine umfassende EU-Datenbank mit Fingerabdrücken aufgebaut werden - erfasst werden sollen künftig auch Kinder ab sechs Jahren. Mitgliedstaaten können bei der Weigerung, Fingerabdrücke zu registrieren, auch Zwang oder Beugehaft anwenden - aber nur "als letztes Mittel".

Bei den wegen der Flüchtlingskrise eingeführten Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums bereitete Brüssel nun den Weg für eine weitere Verlängerung.

Dies würde es unter anderem Deutschland ermöglichen, seine Kontrollen zu Österreich über Mitte Mai hinaus "für einen Höchstzeitraum von sechs Monaten"

aufrecht zu erhalten. Unter der bisherigen Rechtsgrundlage wäre das nicht mehr möglich gewesen.

Österreich darf nach den Kommissionsangaben seinerseits die Kontrollen an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien beibehalten - bei den von Wien angedrohten Grenzkontrollen am Brenner zu Italien sah Brüssel vorerst keinen Handlungsbedarf. Im Falle Dänemarks geht es um die Kontrollen auf Fähren und an Übergängen nach Deutschland. Auch Norwegen und Schweden dürfen ihre bestehenden Kontrollen verlängern.

Ziel der Kommission bleibt es aber, die Kontrollen bis gegen Jahresende abzuschaffen, wie Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans sagte. "Wir haben eine klaren Zeitplan, um bis November wieder zu einem normal funktionierenden Schengen-Raum zurückzukehren."


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Politik
Politik Krankenhaus-Reform: Weiß der Gesundheitsminister, wohin er das Land lenkt?
16.06.2024

Viel zu teuer, die Versorgung unsicher. Das deutsche Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps, nachdem 20 Jahre die Krankenhäuser im Lande...

DWN
Politik
Politik Der betagte Präsident? Joe Bidens Zustand beim G7-Gipfel sorgt für Gesprächsstoff
15.06.2024

Das Alter von Joe Biden spielt eine zentrale Rolle im US-Präsidentschaftswahlkampf. Auch beim G7-Gipfel in Italien wird über seinen...

DWN
Politik
Politik Inflationsausgleichsprämie: Bis zu 3.000 Euro steuerfrei - wer bekommt sie tatsächlich?
15.06.2024

Seit dem 26. Oktober 2022 können Arbeitgeber ihren Beschäftigten steuer- und abgabenfrei einen Betrag bis zu 3.000 Euro gewähren. Das...

DWN
Politik
Politik Unser neues Magazin ist da: Das neue digitale Gesundheitswesen – Fluch oder Segen für Deutschland?
15.06.2024

Das deutsche Gesundheitssystem kriselt. Lauterbachs Krankenhausreform ist womöglich nicht der Ausweg, stattdessen könnte eine umfassende...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Weinbauern reüssieren im Export - starke Nachfrage aus China 
15.06.2024

Deutschland ist berühmt für seine vorzüglichen Riesling-Weine. Das wird auch international anerkannt. Und es scheint so, als ob...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung bedrohen den ehrlichen Mittelstand: Welche Lösungen gibt es?
15.06.2024

Der Zoll geht aktuell deutschlandweit gegen Schwarzarbeit vor - und das ist dringend notwendig: Deutschen Unternehmen gehen jährlich 300...

DWN
Politik
Politik Deutsche Investitionen bedroht: Würth äußert sich besorgt über AfD-Erfolg
15.06.2024

Der Unternehmer Reinhold Würth äußerte Enttäuschung über das Abschneiden der AfD bei der Europawahl, insbesondere in Künzelsau, wo...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt weiter - Hoffnung auf Trendwende schwindet
15.06.2024

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland steigt weiter an, ohne Anzeichen einer baldigen Trendwende. Experten prognostizieren...