Andreas Rinke hat für die Nachrichtenagentur Reuters eine interessante Analyse verfasst, in der er zeigt: Die EU zeigt gefährliche Spaltungstendenzen.
Berlin, 06. Mai (Reuters) - Wenn am 1. Juni der längste Eisenbahntunnel der Welt feierlich eröffnet wird, geben sich die Top-Europäer in der Schweiz ein Stelldichein. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi reisen an, um den Gottardo 2016 zu eröffnen, den neuen Tunnel durch die Alpen. Der Auftritt des Trios wirkt dabei wie ein Zeichen an die Regierung in Wien: Während dort aus Furcht vor Flüchtlingen eine Abschottung des Brenner-Tunnels vorbereitet wird, reisen Merkel, Hollande und Renzi demonstrativ zur Eröffnung einer neuen Verkehrsverbindung innerhalb Europas.
Merkel erklärte am Donnerstag in Rom, was sie von solchen unilateralen Aktionen der Österreicher hält - nämlich nichts. Ohne Not, so heißt es in der Bundesregierung, habe Österreich im Februar einseitig Grenzkontrollen an seiner Südgrenze eingeführt und zusammen mit den Balkanstaaten die Flüchtlingsroute geschlossen - aber nur für sich. Denn in Griechenland stauten sich danach rund 50.000 Flüchtlinge. Die Last sei einfach nur auf den Euro- und EU-Partner Griechenland verlagert worden. Dass Österreich nun noch mit einer Abschottung des Brenner-Tunnels droht, hält auch Renzi „für falsch und anachronistisch“.
PANIK DER KLEINEN, VERANTWORTUNG DER GROSSEN
Das Gottardo-Treffen ist aber nur ein Hinweis darauf, dass sich die großen EU-Gründungstaaten intensiver absprechen wollen. Denn am 23. Juni droht beim Brexit-Referendum ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Vor allem in Osteuropa und Österreich haben antieuropäische und populistische Kräfte massiven Auftrieb. Das stellt auch aus Sicht der EU-Kommission die Solidarität der Europäer untereinander infrage. Um die EU dennoch zusammenzuhalten, müssten Merkel, Hollande und Renzi stärker als bisher an einem Strang ziehen, heißt es in der Bundesregierung. Sie werden geradezu dazu gedrängt: Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch Papst Franziskus haben in den vergangenen Tagen eindringlich den Zusammenhalt und die humanitäre Verantwortung Europas eingefordert.
Das war sowohl eine Unterstützung für Merkels Kurs als auch die klare Aufforderung an die „Großen“ in der EU, mehr Verantwortung zu übernehmen. „Ich habe das Ganze als Ermutigung empfunden“, sagte Merkel am Freitag in Rom. Dann betonte sie die besondere Verantwortung der Gründungsnationen der EU. Mit dem Niederländer Mark Rutte als derzeitigem EU-Ratspräsidenten spricht sie sich ohnehin sehr eng ab.
DIE GROSSEN SPRECHEN AUCH AUSSENPOLITIK AB
Vergangenen Montag hatte sich das Trio bereits mit dem britischen Premierminister David Cameron und Obama zum sogenannten informellen „Quint“-Format getroffen. Dieses Format der vier großen EU-Staaten zusammen mit den USA hatte sich auch am Rande des G20-Gipfels im türkischen Antalya getroffen. Dabei geht es um die Absprache außen- und sicherheitspolitischer Herausforderungen, die man „gemeinsam beschreiben, besprechen und auch unsere Aktionen dann abstimmen“ wolle, hatte Merkel danach gesagt. Denn am Ende müssen es in Syrien, der Ukraine oder Libyen ohnehin die großen EU-Länder richten.
Solche Treffen waren in der Vergangenheit von den kleineren EU-Partnern skeptisch betrachtet worden. Aber für solche Sensibilitäten ist derzeit kein Platz, sagt der Europa-Experte Josef Janning vom European Council on Foreign Relation (EFCR). „Früher hätten Polen und Spanien aufgeschrien, weil sie nicht eingeladen waren“, meint er. Jetzt aber definiert sich die neue nationalkonservative polnische Regierung stärker in Abgrenzung zu den EU-Partnern und Spanien steckt seit Monaten in einer institutionellen Krise fest. Kleinere EU-Partner wie Österreich oder Ungarn gehen in der Flüchtlingskrise selbst unilaterale Wege.
Janning sieht die Treffen der Großen deshalb auch kein Aufbruchsignal, sondern eher ein Krisenzeichen. Das Trio ersetze nun auch die nicht gut funktionierende deutsch-französische Abstimmung. „Aus Merkels Sicht ist dies deshalb durchaus sinnvoll, auch Renzi einzubeziehen“, sagte er. Die Deutsche und der Italiener sind geeint im Kampf für offene Grenzen im EU-Binnenmarkt. Renzi verwies am Donnerstag darauf, dass in Italien in diesem Jahr 26.000 Flüchtlinge angekommen seien - nur 1000 mehr als im Vorjahreszeitraum. „Wenn Sie daran denken, dass wir im Jahr 2015 weniger Migranten hatten als im Jahr 2014, dann verstehen Sie, dass wir keine Notlage haben“, betonte er. Umso unverständlich sei die österreichische Drohung mit Grenzkontrollen am Brenner.
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